Frauen in der Friedensbewegung

Annemarie Sancar und Jacqueline Fehr berichten im Interview über ihre Erfahrungen im Spannungsfeld zwischen Frauenbewegung, Friedensbewegung und Sicherheitspolitik.

Annemarie, was sind deiner Meinung nach Errungenschaften der Frauen in der Friedensbewegung?

Annemarie Sancar: Da ist für mich einerseits die Thematisierung der Zusammenhänge von Geschlecht und Krieg, Geschlechterhierarchien und Armee, Geschlecht und Gewalt in der Öffentlichkeit. Andererseits ist es die Tatsache, dass Frauen über die Friedensbewegung öffentlichen Raum gewonnen haben, wie zum Beispiel die Geschichte von swisspeace zeigt.

Die Frauenbewegung war stark verknüpft mit Friedensbewegungen. Wie hat euch die Friedensbewegung geprägt?

Jacqueline Fehr: Die Frauenbewegung, die mich politisierte, war jene der 90er Jahre. Aspekte der Gewalt waren das zentrale Thema der Frauenbewegung: Häusliche Gewalt, Missbrauch und die systematische Gewalt gegen Frauen im Krieg. Dies war eine starke Bewusstseinsbildung: Die Instrumente im Privaten werden in der Öffentlichkeit wiederholt und wieder ins Private zurückgespiegelt. Diese wechselseitige Bedingtheit von Gewalt (Gewalt führt zu mehr Gewalt) in der Öffentlichkeit und im Privaten hat mich stark geprägt.

A: Was wichtig ist: Die Frauen-/Friedensbewegung basiert auf internationalen Themen, oft als Reaktion auf konkrete Ereignisse. Die Frauen für den Frieden haben sich international stark gemacht, z.B. im Kontext der Jugoslawienkriege und bezogen auf die UN-Resolution 1325 (Women, Peace and Security). Andere Überlegungen zu Gewalt, wie sie Jacqueline formuliert hat, sind typischer für Innenpolitisches.

Eine Frage zur Geschlechter-Hierarchie: Jacqueline, du hast die letzten zwei Jahrzehnte im Nationalrat erlebt: Wie kann man den Wandel in Bundesbern bezüglich des Umgangs mit Frauen beschreiben?

J: In den letzten 20 Jahren ist viel passiert, aber natürlich zu wenig. An der Armeepolitik kann man sehr gut festmachen, dass es immer wieder Frauen gegeben hat und gibt, die eine prägende Rolle spielen. Es ist sicher nicht mehr so, dass die Sicherheitspolitische Kommission (SiK) eine reine Männerdomäne ist. Aber es ist wie bei allem: Man geht zunächst in bestehende Strukturen und versucht innerhalb dieser etwas zu verändern. Aber gewisse Dinge sind natürlich strukturinhärent.

Aber du würdest keiner jungen Frau anraten, der Armee beizutreten, um die Strukturen von Innen zu verändern?

J: Nein. Man kann feststellen, dass die Verfügungsgewalt der Armee gegenüber dem Individuum gesunken ist. Die Armee ist somit ziviler geworden im Umgang mit den Menschen, aber nicht in ihrem Auftrag.

A: Die Armee kann nie eine geschlechtergerechte Sicherheitspolitik betreiben, das ist aufgrund ihres Auftrags gar nicht möglich. Ob aus der Armee heraus überhaupt eine genderbewusste Friedenspolitik kommen kann, bezweifle ich. Die Armee zementiert vielmehr Geschlechterhierarchien, diese sind Teil ihrer Logik.

Könnte man überspitzt sagen, dass die Armee friedfertiger wäre, bestünde sie aus Frauen?

J: Nein, die Armee bewegt sich ja in einem Extrempunkt der Gesellschaft; dort wo es darum geht, im Notfall Leben zu zerstören, um ein anderes Ziel zu erreichen. Damit einher geht eine Hierarchie mit allem was dazu gehört: Gehorsam, Unterwerfung, Aufgabe des Individuums etc.

A: Alle staatlichen Institutionen reproduzieren diese Geschlechterrollen, wenn auch nicht immer gleich offensichtlich. Diese unterschiedlichen Geschlechterrollen zeigen sich auch in den Möglichkeiten, Ressourcen und Strategien, mit Situationen umzugehen. Mich interessiert nicht die Frage nach besser oder schlechter, sondern «Inwieweit breiten sich patriarchal geprägte Geschlechterstereotypen, wie sie die Armee reproduziert, auf zivile Bereiche aus?»

Das erinnert stark an die Weiterentwicklung der Armee, in deren Folge weitere zivile Aufgaben von der Armee übernommen werden könnten. Kann man sagen, dass ein konservativer Trend in Richtung patriarchaler Strukturen zu verzeichnen ist?

J: In der SiK ist die Sprache extrem. Zivildienst darf nicht sein, weil dadurch Männlichkeit verloren ginge. Wie stark das «Männlichkeitsversprechen» der Armee Wirkung zeigt, ist eine Frage nach Alternativen. Kommt ein junger Mann zu Anerkennung, wenn er ein anderes Männlichkeitskonzept hat? Oder wird er verlacht, isoliert, nicht verstanden? Diese Frage nach Alternativen ist letztlich auch der Weg aus der militärischen Logik.

A: In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage nach der Verantwortung des Staates: Wie viel Demokratie, wie viel Vielfalt hält ein Staat aus und wie viel fördert er sogar? Wenn nur ein Männlichkeitskonzept belohnt wird, fällt die Vielfalt weg, was natürlich begünstigt, autoritäre Entscheide durchzusetzen.

Könnte man sagen, dass der feministische Kampf um die Rechte der Frau einhergeht mit einem antimilitaristischen Kampf durch die verbindende Forderung nach Emanzipation?

J: Das Militär und militärische Strukturen müssen Gegenstand feministischer Kritik sein, da dort viel von dem Konzept genährt wird, gegen das der Feminismus ankämpft. In der Armee wurden Geschlechterstereotypen in konzentriertester Form befördert. Wenn wir die Rolle des Militärs in der Gesellschaft marginalisieren können, gäbe es mehr Raum für andere Geschlechtermodelle. Durch die Relativierung der Armee entstand bereits eine Auffächerung der Geschlechterrollen, diese Wechselwirkung war sehr stark. Natürlich war es damals förderlich, dass die Wirtschaft über den fehlenden Sinn der Armee nachzudenken begann.

A: Im Zentrum friedenspolitischer Motivation stehen für mich die Fragen, wer was unter welchen Bedingungen tut, mit wie vielen Ressourcen und für welche Gegenleistung, wie sich Veränderungen darauf auswirken und welche Rolle dabei die Geschlechterkomponente spielt. Die Sozialpolitik ist daher wichtig für das, was eigentlich Sicherheitspolitik wäre, die Grundlage sozusagen. Dennoch ist es enorm schwierig, diese Verknüpfung zu machen und eine Sicherheitspolitik zu formulieren, die auch losgelöst von Armee und Militär verstanden und umgesetzt werden kann.

J: Ein wichtiges Stichwort ist der Alltag. Aufgrund der heutigen Rollenverteilung sind Frauen häufig stark mit Alltagsproblemen beschäftigt und sehen aus dem Alltag heraus andere Sicherheitsbedürfnisse. Ich glaube, dass wir im Moment im Kulturkampf an einem Punkt stehen, wo das Erreichte bald unumkehrbar wird. Die konservative Bewegung erscheint mir dabei wie ein Baum, der, kurz bevor er verdorrt, noch einmal mit letzter Kraft ausschlägt und neue Triebe produziert.

A: Allerdings: in der ganzen Geschlechterdebatte kommt meiner Meinung nach oft zu kurz, dass auch unter Frauen aufgrund der unter- schiedlichen Möglichkeiten und Ressourcen enorme Hierarchien bestehen. Zu fest verankert (auch im Verständnis des Gender Mainstreaming) ist das neoliberale Prinzip, dass alle, die sich anstrengen und individuelle Verantwortung übernehmen, Erfolg haben könnten. Die Verknüpfung von Geschlechterhierarchien und sozialer Zugehörigkeit sind aber zentral, weil sie Aufschluss über Machtverhältnisse und Ausbeutung geben – also den Kern der Geschlechterungleichheiten.

Annemarie Sancar ist Gender-Beauftragte KOFF/swisspeace (http://koff.swisspeace.ch),
in der Gleichstellungskommission der Grünen Partei und im Vorstand WIDE (Women In Development Europe), Schweizer Sektion.

Jacqueline Fehr ist Vizepräsidentin und Nationalrätin der SP Schweiz und kandidiert am 12 April für den Zürcher Regierungsrat.

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