Staatliche verordnetet Zwangsarbeit

Ein Gespenst geht um in der Schweiz – das Gespenst der allgemeinen Dienstpflicht. Obwohl schon 1996 die Studienkommission Allgemeine Dienstpflicht (SKAD) zum Schluss kam, dass eine solche nicht eingeführt werden sollte, wird das Thema durch diverse parlamentarische Vorstösse, ein Büchlein von Avenir Suisse sowie durch die vom Bund eingesetzte Studiengruppe Dienstpflichtsystem (SGDP) wieder heiss diskutiert. Diese Diskussion findet aber unter den völlig falschen Vorzeichen statt.

Die allgemeine Dienstpflicht war zu Beginn dieses Jahres wieder in aller Munde: Avenir Suisse, der neoliberale Think Tank der Reichen und Mächtigen, schlug vor, die Wehrpflicht durch eine allgemeine Dienstpflicht zu ersetzen. Dies, da Schweizer Führungskräfte immer weniger Freiwilligen- und Milizarbeit leisten. Dabei befand bereits die SKAD 1996, dass keine allgemeine Dienstpflicht eingeführt, und die bestehende Wehrpflicht nicht auf Frauen ausgedehnt werden soll, da «fachliche, ökonomische und rechtliche Überlegungen» dagegen sprechen. Zudem befürchtete sie, dass die Einführung einer allgemeinen Dienstpflicht das Primat der Armee gefährden würde.

Damit ist der zentrale Knackpunkt der aktuellen Debatte erreicht: Die arg angeschlagene Stellung der Militärdienstpflicht. So steht im Zentrum der Diskussionen der SGDP die «Wehrgerechtigkeit», was verrät, dass es bei ihr lediglich um die Rettung der Wehrpflicht geht. Auch für Avenir Suisse stellt die Armee immer noch eine conditio sine qua non für jegliches Dienstpflichtsystem dar.

Dass Avenir Suisse lediglich die Armee ins 21. Jahrhundert retten will, wird vollkommen offensichtlich bei ihren Erwiderungen auf das gewichtigste Gegenargument: Dem Zwangsarbeitsverbot in Artikel 4 der Europäischen Menschenrechtskonvention. Dort heisst es: «Niemand darf gezwungen werden, Zwangs- oder Pflichtarbeit zu verrichten.» Eine Ausnahme sind «Dienstleistungen militärischer Art». Der Zivildienst oder eine allgemeine Dienstpflicht, stellen also lediglich einen Ersatz zur Wehrpflicht dar. Gegen diese grundlegende Problematik führt die Avenir Suisse nicht ein Gegenargument ins Feld. Über diese Grundsatzfrage hinaus würden sich für eine konkrete Umsetzung diverse weitere Probleme ergeben, die sich bereits heute in der Ausgestaltung des Zivildienstes zeigen. Unter anderem im Pflegebereich mangelt es den Zivis an einer angemessenen Ausbildung. Häufig können sie deshalb nur unterstützend tätig, was zwar sozial wertvoll ist, den Personalmangel im Pflegewesen aber nicht löst. Die Kosten für solche Einsätze können dabei relativ hoch sein, da die öffentliche Hand für den Erwerbsausfall des Zivis aufkommt. Mit demselben Geld könnte zusätzliches Personal ausgebildet werden oder dessen Löhne erhöht und der Beruf attraktiver gemacht werden. Zuletzt bleibt die Frage der Freiwilligkeit: Zu einem Sozialeinsatz gezwungene Personen leisten mehrheitlich wohl nicht so gute Arbeit, wie motivierte Freiwillige. Die Grundprobleme der Allgemeinen Dienstpflicht sind markant genug, um auf dieses Experiment zu verzichten.