Lieber ein Boxkampf

Je zwei Offiziere und Zivildienstleistende diskutieren über ihr Gewissen, Frauen am Gewehr und Krieg – ein kontradiktorisches Gespräch.


Die Diskutierenden:

Simon Gaus ist Zivildienstleistender. Derzeit absolviert er einen Einsatz bei der Umweltstiftung Schweiz in einem Projekt, bei dem es um die Pflege und Erhaltung von Trockenmauern geht.

Tobias Kaufmann arbeitet bei der Beratungsstelle für Militärverweigerung und Zivildienst mit. Er wird im kommenden Frühling seinen ersten Zivildiensteinsatz leisten.

Michael Kauflin ist Offiziersanwärter und Wirtschaftsinformatikstudent.

Christian Fokas arbeitet beim Forum Jugend und Armee mit, das sich als Anlaufstelle für Armeefragen versteht. In der Armee ist er Hauptmann.

Das Gespräch leitete Stefan Luzi.


Michael und Christian sind beide in der Armee und haben weitergemacht. Was könnte aus der Sicht von Zivildienstleistenden ihre Motivation sein?

Simon: Ich kann kaum nachvollziehen, warum sich jemand für die Armee entscheidet. Vielleicht gehört es einfach zur Tradition eines Schweizer Bürgers, vielleicht gefällt ihnen diese Organisation, oder sie haben gute Freunde gefunden. Für mich war es eine Selbstverständlichkeit, Zivildienst zu leisten. Die Tatsache, dass der Zivildienst anderthalb mal so lange dauert wie der Militärdienst und die Gewissensprüfung sind aber für viele eine abschreckende Hürde.

Tobias: Michael und Christian sind wohl überzeugt, etwas Sinnvolles zu machen. Sie denken vielleicht, dass man sie im Ernstfall brauchen kann. Ich habe mich aus Gewissensgründen für den Zivildienst entschieden. Rückblickend hat mich das Zulassungsverfahren, die Auseinandersetzung mit meiner Überzeugung, auch persönlich weitergebracht.

Tobias und Simon machen Zivildienst. Was denken die Offiziere über den Zivildienst, und warum habt ihr euch für die Armee entschieden?

Michael: Es ist gut, dass es eine Alternative zum Militär gibt. Der Allgemeinheit in irgendeiner Art zu dienen, sei das nun im Militär oder im Zivildienst, erachte ich als Pflicht. Wer es nicht mit seinem Gewissen vereinbaren kann, im Ernstfall auf andere Menschen zu schiessen, soll etwas Gemeinnütziges machen können. Das Militär braucht aber eine gewisse Anzahl Soldaten; daher ist es auch richtig, mit der höheren Dauer des Zivildienstes eine Hürde einzubauen. Ich selber bin ohne lange darüber nachzudenken in die Armee gegangen. Sie haben mich dann gefragt, ob ich weitermachen wolle. Korporal wollte ich nicht bleiben, und so bin ich dann in die Offiziersschule. Ich bin überzeugt: Jedes Land braucht eine Armee, denn sich im Kriegsfall auf jemanden anderen zu verlassen, ist blauäugig.

Christian: Ich denke, dass Zivildienstleistende aus ethisch-moralischen Vorstellungen handeln. Sie wollen nicht ins Militär, weil sie nicht lernen wollen, wie man jemanden umbringt oder weil sie die Armee aus politischen Gründen ablehnen. Ich habe mich aber fürs Militär entschieden, weil ich voll und ganz hinter der Armee stehe

Michael hat von der Pflicht eines Dienstes für die Allgemeinheit gesprochen. Müsste nach dieser Logik die Wehrpflicht nicht auch für Frauen gelten? Und sollten Frauen nicht auch gleichberechtigt die Möglichkeit bekommen, in Kampf-Einheiten Dienst zu leisten?

Tobias: Frauen sollen nicht zu Militärdienst verpflichtet werden – ebensowenig Männer. Solange es die Armee gibt, sollten aber auch Frauen mitmachen dürfen.

Michael: Ich bin skeptisch, was Frauen in Kombattanten-Einheiten angeht. Es war schon immer so, dass Männer Krieg geführt haben. Sie wurden quasi dazu geboren.

Geboren um zu sterben?

Michael: Um das Land zu verteidigen. Die Männer haben das Land verteidigt, die Frauen sorgten dafür, dass es zuhause genug zu essen gab.

Christian: Man sollte den Begriff der Emanzipation nicht überstrapazieren. Das heisst: Keine Verpflichtung für Frauen, in die Armee zu gehen, aber die Möglichkeit. Ich habe schon mit Frauen Dienst geleistet und ich kann sagen, dass das Niveau des Benehmens dadurch sehr angehoben wird. Gleichzeitig muss man aber die Unterschiede zwischen Mann und Frau akzeptieren. Der Mann ist physiologisch stärker gebaut und vielleicht schmerzunempfindlicher. Ich finde es nicht gut, wenn Frauen in Kombattanten-Einheiten wären. Mir wurde da schon vorgeworfen, ich sei ein Sexist oder Macho. Aber was ich für mich als Offizier nicht verantworten könnte, ist, eine Frau in den quasi sicheren Tod zu schicken. Das geht mir einfach gegen die Natur.

Und Männer in den Tod zu schicken macht dir nichts aus?

Christian: Natürlich schon, aber ich kann es mir bei einem Mann eher vorstellen. Frauen, welche die Kinder erziehen, haben eine andere Beziehung zum Leben. Sie sind wahrscheinlich viel weniger bereit, anderes Leben zu zerstören. Es ist doch für eine Frau noch viel perverser als für einen Mann, wenn sie, die doch Leben gibt, dann Leben noch zerstören muss.

Sind Frauen denn friedlicher?

Simon: Das ist ein Cliché. Ich erlebe Frauen und Männer, was Emotionalität und Friedfertigkeit anbelangt, sehr ähnlich.

Tobias: Frauen sind nicht so leicht steuerbar. Männer sind wohl die besseren Soldaten – sie gehorchen besser. Frauen würden wahrscheinlich viel weniger mit sich machen lassen.

«Inmitten dieser wunderbaren Tessiner Berglandschaft befindet sich die Basis der traditionellen Kampfausbildungsstätte der Grenadiere, der Elite unserer Milizarmee. Hier werden Männer zum zweiten Mal geboren. Kameradschaft, Diszipin und Durchhaltevermögen verbinden sich auf Lebzeiten mit den Erfahrungen einer harten Zeit.» Das sagte ein Grenadierkorporal. Was meint ihr dazu?

Christian: Das ist jugendlicher Übermut. Ich habe Mühe mit dem Ausdruck, dass die Armee quasi Mutter wird. Jemand wird dann zum Mann, wenn er für sich selber sorgt, wenn er nicht mehr immer die Wäsche heimbringt. Was man im Militär erlebt, beschleunigt diese Entwicklung zum Mann – du lernst, für dich selbst zu schauen, Verantwortung zu übernehmen. Das ist auch für das spätere Leben prägend.

Michael: Viele sagen, dass man in der Armee zum Mann wird. Aber es gibt doch Männer, die schon vor der Rekrutenschule Männer waren. Man geht einen Reifeprozess durch, passt sich der Erwachsenenwelt an. So wirst du zum Mann. Dazu braucht es kein Militär.

Michael und Christian haben betont, es entspräche eher der männlichen Eigenschaft, in der Armee zu kämpfen. Zivildienstleistende pflegen alte Menschen, betreuen Behinderte usw. Wären das denn klassische weibliche Eigenschaften und bei den Zivildienstleistenden tickt etwas nicht ganz richtig?

Tobias: Männer, die Zivildienst leisten, haben sicher eine andere Vorstellung von Männlichkeit. Für sie ist ein Leben vielleicht wertvoller und sie finden es pervers, ein Leben zu zerstören. Viele arbeiten in Berufen, die bisher mehr die Domäne von Frauen waren.

Christian: Die Unterscheidung zwischen männlichen und weiblichen Eigenschaften kann man nicht so machen. Ich habe im Militär auch Arbeiten gemacht, die eigentlich traditionell weibliche sind: Du musst manchmal in der Küche helfen, du musst dir die Knöpfe selber annähen. Du übernimmst fast eine Mutterfunktion für deine Leute. Ich denke, im Militär lernt man auch, das Leben zu respektieren. Denn du kannst dir doch erst Gedanken über die Sinnlosigkeit des Krieges machen, wenn du die Bestialität einmal selbst gesehen hast.

Was bedeutet für euch Krieg?

Tobias: Krieg ist Konfliktlösung durch Gewalt. Und Gewalt ist das schlechteste Mittel, um Konflikte zu bearbeiten. Gewalt ist ein Zeichen von Schwäche.

Christian: Für mich ist Krieg das Allerschlimmste. Krieg ist nicht selektive Gewalt, sondern einfach Gewalt gegen ein Land, gegen ein Volk. Ich erinnere mich gut an eine Stelle im Buch «Im Westen nichts Neues», wo sich die Soldaten im Schützengraben beklagen, dass die Politiker Deutschlands und Frankreichs ihre Differenzen nicht einfach in einem Boxkampf tilgen. Es sind nie die Verantwortlichen, die wirklich unter einem Krieg leiden.

Ihr beiden Zivis habt sicher die folgende Frage an der Anhörung zur Zulassung gehört: Was würde in euch vorgehen, wenn euer Leben oder euer Land bedroht wäre? Würdet ihr euch verteidigen?

Simon: Ich wäre in einer solchen Situationen im wahrsten Sinne des Wortes machtlos. Ich habe nicht den Reflex, auf einen Angriff mit Gewalt zu reagieren. Doch ich kann nicht ausschliessen, dass ich unkontrolliert handeln würde.

Tobias: Ich renne lieber davon, als Gewalt anwenden zu müssen. Das tönt vielleicht egoistisch, aber mein Leben ist mir wichtiger als das Land. Wenn mein Leben bedroht ist, dann würde ich mich wahrscheinlich auch verteidigen. Aber Krieg ist nicht einfach von heute auf morgen. Wir müssen vielmehr schauen, dass es gar nie so weit kommt. Dafür muss ich aber nicht in der Armee sein. Ich möchte nie in einer Situation sein, wo mir einfach ein Weg vorgeschrieben wird, wie es in der Armee geschehen würde. Da könnte ich nicht wählen, ob es für mich einen Sinn macht, den Gegner zu töten. Ich wäre ganz einfach gezwungen. So wird man doch zur Kampfmaschine…

Michael: Klar hast du in der Armee keine Wahlmöglichkeit mehr. Im Militär sagt man dir: «Wenn das passiert, reagierst du so und so» und du kannst so vielleicht ohne zu überlegen auf jemanden schiessen. Aber wer sagt dir, was nachher in dir passiert?

Simon, Tobias, Michael und Christian, herzlichen Dank für das Gespräch.


Zur Entstehungsgeschichte dieses Gesprächs

(sl) Na ja, man hat mal die seltsame Idee, Zivildienstleistende und Armeeoffiziere an einen Tisch zu bringen (sind sie doch beide beim Ausscheiden aus der Armee froh gewesen, einander los zu sein…). Man hat die Idee und ist nicht bereit, einfach so schnell aufzugeben. Also fragt man ein paar befreundete Zivildienstleistende an, die ein mulmiges Gefühl nicht ganz verbergen können. Vielleicht, wenns sein muss, muss das sein? Das kann ja heiter werden, denkt man, wenn schon die Zivis so skeptisch sind… Man findet doch zwei motivierte, kann sich mal um die Offiziere kümmern. Warum nicht die Berufsoffiziere fragen, die da so in der ETH rummarschieren? Ein aufmerksamer Blick auf zwei, drei Gesichter: An ihren Kahlköpfen sollt ihr sie erkennen. Aufs Schlimmste gefasst, mit instinktiver Abwehrhaltung lauscht es meiner Anfrage, das zukünftige Berufskader der Schweizerarmee – Panik in den Augen, einige schleichen sich unauffällig weg. Wir einigen uns schliesslich darauf, dass sich das Klima zwischen Armeegegnern und Befürwortern doch entspannt habe; nun gut, mir wird versprochen, dass ich meine zwei Interview-partner bekomme. Bald darauf wird aber zum Rückzug geblasen. Er wolle seine Schüler, die halt noch Greenhorns seien, nicht einfach meinen Fragen aussetzen, erklärt mir der zuständige Oberst im Stab der Militärischen Führungsschule. Eine Woche und ein peinliches Telefongespräch mit Professor M. Gabriel (Lehrbeauftragter für Angewandten Autoritarismus an der ETH Zürich) später bin ich wieder auf der Suche nach Interviewpartnern… Zum Glück gibts da noch das Forum Jugend und Armee – von mir aus kann das auch weitermachen, wenn es die Armee schon lange nicht mehr gibt.