Mal eben schnell einen Krieg beginnen

Ein gefährlicher Aspekt der ganzen «Cyber – war»-Diskussion ist die schleichende Militarisierung zentraler Bereiche unserer Gesellschaft. Sie ist der Traum aller MilitaristInnen zur Durchsetzung ihrer Ziele und senkt dadurch die Schwelle zum Krieg. Von Adi Feller

Es gibt viele neue Entwicklungen im Bereich «Cyber», die Begrifflichkeiten und Konsequenzen sind oft völlig unklar. Ab wann ist Krieg im Zeitalter täglicher Drohnenangriffe ohne Kriegserklärung wirklich Krieg? Und wieso ist die Rolle des Militärs in diesem Bereich so stark? Der Schutz kritischer Infra – struktur ist eine Aufgabe ziviler Institutionen, wenn nicht in jedem relevanten Betrieb plötzlich Soldaten rumstehen sollen. Durch die immer totalere Digitalisierung unseres Alltagslebens entsteht das Gefühl von Angst und Bedrohung ähnlich derjenigen durch den Terrordiskurs. Viele Menschen wissen nicht, was alles möglich ist und was nicht. Die Armee nutzt dies geschickt, um sich neue Möglichkeiten zu schaffen, sich zu legitimieren und in breitere gesellschaftliche Bereiche vorzudringen. Sie behauptet, vor einer neuen Gefahr zu schützen, vor der sie sich nicht einmal selber schützen kann. Die Vorstellung der Einfachheit eines Cyberangriffs und das Gefühl, das Ganze unentdeckt durchführen zu können, verstärkt diese Problematik weiter. Welcher Militär hat sich nicht schon immer eine Erstschlagswaffe gewünscht, die er unerkannt einsetzen kann? Wie weit Cyberattacken bisher in oder zur Vorbereitung von Kriegseinsätzen verwendet wurden, ist beinahe nicht festzustellen. Sicherlich verwendeten gewisse Armeen Cyber-Elemente, vorausgehend vor konventionellen Angriffen.

Präzendenzfall
Das Paradebeispiel ist die Bombardierung eines im Aufbau befindlichen Atomreaktors in Syrien durch die israelische Luftwaffe im Jahr 2007, die sogenannte «Operation Orchard». Dabei gelang es Israel, in die Computersysteme der syrischen Luftabwehr einzudringen und diesen einen leeren Luftraum vorzugaukeln, während die israelischen Kampfflugzeuge quer durch das Land flogen, um den Reaktor zu zerstören. Ohne diese Fähigkeit, hätten sie den Angriff vielleicht nicht gewagt. Dieses Vorgehen hätte durchaus zu einer militärischen Reaktion seitens Syrien führen können. Doch beide Länder entschieden sich, über das Vorgefallene zu schweigen. Es wird wohl nicht mehr allzu lange dauern, bis solche Einsätze vermehrt zu beobachten sein werden.

Die konkreten Entwicklungen in der Schweiz sind bisher auf den ersten Blick noch eher unscheinbar, doch der Diskurs ist spannend. Im Cyber-Bereich gibt sich sogar die Schweizer Armee völlig unverhohlen angriffig, als ob wir uns in den konzeptionellen Zeiten der sogenannten «Vorwärtsverteidigung» des Kalten Krieges befänden. Gemäss Aussage von Bundesrat Parmelin in Zeitungsinterviews besitzt die Schweizer Armee offensive Cybermöglichkeiten und ist auch bereit, diese einzusetzen. Ziel ist der Angriff auf Gegner ausserhalb der Landesgrenzen. Ob diese Angriffskapazitäten momentan etwas taugen, bleibt zu bezweifeln, doch für eine Armee, die von all ihren BefürworterInnen immer als reine Verteidigungsarmee bezeichnet wird, ist dieser Paradigmenwechsel doch erstaunlich und beunruhigend.

Neue Wahrscheinlichkeitsrechnungen des Kampfes
Cyber-Angriffe versprechen viel. Beispielsweise sollen vor einem Angriff unerkannt gegnerische Infrastruktur und Waffensysteme lahmlegen werden können. Ob dies tatsächlich der Fall ist, ist eine andere Frage. Doch stelle man sich vor, gewissen Präsidenten würde momentan versprochen werden, sie könnten einen Angriff ohne Konsequenzen befehlen, weil die gegnerischen (Atom-)Waffen durch Cyberattacken unschädlich gemacht worden seien. Gut möglich, dass der Mythos des Cyberkrieges bereits eine grössere Wirkungsmacht hat, als seine realen Möglichkeiten. Die Stärke dieser Mythen und ihre Auswirkung auf die Realität sollten wir nicht unterschätzen. Die Zukunft wird es zeigen.