«Man kann nie wissen … »

Über 11000 Unterschriften für die kantonale Volksinitiative «Genève République de paix» haben ein gutes Dutzend GSoA-AktivistInnen zusammen mit vielen SympathisantInnen in den vier Monaten zwischen Mai und August gesammelt. Von den unterstützenden Parteien, Gewerkschaften und sonstigen Gruppierungen kamen nur wenige Unterschriften.

Am 1. Mai sammelten wir 300 Unterschriften unter gleichgesinnten Stimmberechtigten, 1500 weitere kamen an unserem Stand im «Village alternatif» im Salon du Livre zusammen: Für die Besucher und Besucherinnen, die das Village besuchten, brauchte es natürlich keine grosse Überzeugungsarbeit mehr.

Kein Spaziergang

Dennoch war die Sammelkampagne kein Spaziergang. Am Abstimmungswochenende von Anfang Juni bekamen wir vor etwa 10 Stimmlokalen nur 1500 Unterschriften zusammen. Dies obwohl es bei der kantonalen Abstimmung um den Brücken- oder Tunnelbau über den See ging; man erreicht bei solchen Anlässen immer weniger Leute, da die Hälfte der Stimmenden ihre Unterlagen per Brief einreichen. Nur tausend Unterschriften sammelten wir in sechs Tagen (und Nächten) in Nyon, 50 Meter vor dem Eingang zum Musikfestival, das täglich von gegen 30000 ZuschauerInnen besucht wurde. Von diesen war vielleicht jeder achte in Genf stimmberechtigt, und von diesen hatten einige schon unterschrieben. Sehr vielen schien es aber lästig zu sein,während einer kurzen Minute einen Sammelstand zu besuchen.
Am Schlussabend jubelten 20000, als Renaud den «Déserteur» sang («Monsieur le Président … je n’irai pas à la guerre …»); auf dem Heimweg zog dann die übliche Schafherde am Sammelstand vorbei. Im Festival-Areal war die GSoA unerwünscht – im Gegensatz etwa zu Greenpeace, die dem Image der Massenkulturindustrie offensichtlich zuträglicher ist. In Nyon sammelten wir zusammen mit Régis, dem – damals noch – Verantwortlichen für die Halbierungsinitiative in der Romandie , etwa zwei- bis dreimal mal so viele Unterschriften auch für diese Initiative. Sie scheint durchaus mehrheitsfähig zu sein, doch Wellen des Enthusiasmus löst sie keine aus. Es tauchte denn auch nur ein einziger Nicht-GSoAt einen halben Tag lang auf, um mitzusammeln. Es war schon seltsam: Um eine Unterschrift zu erhalten, mussten wir einmal erklären, dass es leider nicht um die Abschaffung des Militärs, aber immerhin um einen Schritt in die richtige Richtung gehe, und dann, zwei Minuten später, dass die Initiative ja nicht die völlige Abschaffung, sondern nur die Halbierung der Armee wolle.
Im Areal des Festival pour l’Europe in Genf wurde ein GSsA-Stand rausgeschmissen. Luc Mégroz, Präsident von Génération Europe und Organisator des Grossanlasses (mit u.a.Cheb Khaled, Züri West), kam gleich persönlich mit vier Sicherheitsleuten, um den Stand räumen zu lassen. Ironischerweise war Mégroz 1989 bei der GSoA dabei; heute ist er nur mehr für eine Abspeckung der Schweizer Armee, und dies ausdrücklich im Rahmen einer Euro-Armee. Als Grund für die Räumung wurde uns angegeben: «Wir wollen hier keine Gruppen, die Politik machen».
Die Reaktionen der angefragten Personen haben bei mir gemischte Eindrücke hinterlassen. Numerisch überwiegen die positiven Erfahrungen.Viele finden wirklich gut, was die GSoA macht. Bei ganz Jungen, oft RS-Absolventen, löste mehrmals nur schon das Wort GSoA Strahlen in den Gesichtern aus. Andere, auch wenn sie einer Armeeabschaffung eher skeptisch gegenüberstehen, sind dankbar dafür, dass wir «wenigstens die Dinge etwas bewegen».

Reaktionen

Ein Verfassungsartikel, der den Kanton bewegen soll, pazifistische Politik zu betreiben, ist nicht einfach an die Leute zu bringen: «Ist denn Genf nicht friedlich genug?» – Ja, sicher, aber wir könnten viel mehr tun; «Armee gegen die Bevölkerung? Das ist ja seit 60 Jahren nicht mehr geschehen.» Da kam der Übungs-Einsatz eines Genfer Bataillons gegen demonstrierende Arbeitslose gerade zur rechten Zeit. Mit diesem Argument konnte ich sogar eine 19jährige MFD-Rekrutin in Ausgangsuniform vor dem Eingang des Schwimmbades in Carouge zur Unterschrift bewegen: Sie sei in den Dienst getreten, um die Bevölkerung – ganz nach dem Motto der Armee 95 – zu schützen. Vor einem Stimmlokal in Petit-Lancy fanden auch zwei ältere Damen die Initiative eine gute Sache: «Ich weiss von meinem Land her, wozu die Militärs fähig sind» sagte die erste mit einem leichten spanischen Akzent. «Woher sind Sie denn, etwa aus Lateinamerika?» fragte ich. – «Nein, aus Spanien». Ihre Begleiterin war am 9. November 1932, damals 18jährig, mit einer Gruppe von Freundinnen nach Plainpalais1) gegangen. «Was haben Sie damals gesehen?» – «Nicht viel, sobald es zu knallen begann, sind wir fortgerannt».

Enttäuschungen

Wie kommt es, dass alles, was mit Politik zu tun hat – auch mit Friedenspolitik –, so viele Menschen gleichgültig lässt, ja sogar vergrault? Wieso schlucken noch viele, auch junge Leute die offiziellen Stereotypen zur Rechtfertigung der Armee und verweigern oft jede Diskussion darüber? Im Campingplatz von Nyon bin ich auf einen langhaarigen 25jährigen gestossen, mit abgedrucktem Hanfblatt auf dem Hut. Er hielt den Militärdienst zur Charakterbildung der Jungen für nötig und gab daher auch keine Unterschrift für die Verankerung der Friedenspolitik in der Genfer Verfassung.
Das häufigste Argument für eine Ablehnung bezog sich eher generell auf die Armeefrage und nicht auf die Initiative selbst. «Wir brauchen eine Armee, um uns zu verteidigen, denn man kann ja nie wissen. Die Welt verändert sich so schnell. Schau was in Bosnien passiert ist … und Terrorismus … und der Libanon hatte auch keine Armee.». «Die Armee garantiert 50000 Arbeitsplätze, habt ihr darüber schon mal nachgedacht?» Viele haben sich den offiziellen Diskurs zu eigen gemacht: Die Armee habe sich sehr verbessert, die Ausgaben reduziert, leiste sinnvolle Hilfe für die Bevölkerung usw. Die meisten Nicht-Stimmberechtigten (fast die Hälfte der Genfer Bevölkerung) antworteten: «Ich würde gerne, kann aber nicht». Viele FranzösInnen fügten noch hinzu, dass es ja in Frankreich auch bald keine Armee mehr geben werde. Und die Profiarmee, die Atombomben und die Fremdenlegion? «Ja ja, aber das ist nicht mehr l’Armée wo jeder hingehen muss, und sowieso wird das jetzt alles europäisch», war die häufigste Antwort.
Persönlich hat mir diese Sammelkampagne den Eindruck vermittelt, dass viele Leute, in Genf warscheinlich die Mehrheit, Armeen – auch die schweizerische – als falsche Lösung für Sicherheitsprobleme empfinden. In den heutigen unsicheren Zeiten dominieren jedoch die Armee-BefürworterInnen die öffentliche Diskussion über dieses Thema deutlich: Mehr Sicherheit durch mehr Gewalt ist ihre Devise. Nur schon deswegen sind GSoA-Initiativen nötig.

Worum es geht

Die GSoA Genf hat eine Initiative lanciert, deren Ziel ist, ein Stück Friedenspolitik auf kantonaler Ebene zu realisieren. Bei der Ausarbeitung des Initiativtextes musste sie sich innerhalb der engen Grenzen bewegen, die die kantonale Verfassung setzt. Ursprüngliches Ziel war gewesen, den Kanton Genf aus der bewaffneten Landesverteidigung auszugliedern – denn Genf hatte sowohl die Armeeabschaffungs- wie auch die Stop F/A-18-Initiative angenommen. Das Bundesrecht lässt eine solche Initiative jedoch nicht zu. Einige Punkte liessen sich aufgrund der Bedingung der Einheit der Materie nicht genauer ausformulieren. Diese Situation bewog die GSoA, nicht eine antimilitaristische, sondern eine pazifistische Initiative zu lancieren. Sie fordert eine gewaltfreie Politik des Kantons; er soll sich für die Reduktion der Militärausgaben, für Rüstungskonversion und für eine Rückgabe der Armee-Einrichtungen an den Kanton einsetzen. Er soll die Friedensforschung, Friedenserziehung und den Zivildienst fördern und auf jede Zurschaustellung militärischer Aktivitäten verzichten (Defilee u.ä.). Die Pflichten des Kantons zum Schutz der Bevölkerung sollen zivilen Organen übertragen werden; der Kanton zieht für den Ordnungsdienst keine militärischen Truppen bei und sichert in Zukunft die internationalen Konferenzen mit nichtmilitärischen Mitteln.

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