Nationalrat macht Verweigerungsaufruf notwendig

Redebeitrag von Pia Hollenstein, Grüne

Ein Nein zum Militäreinsatz ist ein Ja zur Diskussion

Die Schweiz ist ein Land des Tourismus und der Konferenzen. Daran ist nichts auszusetzen. Doch wenn eine Konferenz Jahr für Jahr nicht nur ein massives Polizeiaufgebot benötigt, sondern es auch erfordert, dass Tausende von Soldaten zu Schutzzwecken abkommandiert werden, sollte dieser Anlass und seine Ziele hinterfragt werden.
Es geht mir ums World Economic Forum (WEF). Hier treffen sich die politischen und wirtschaftlichen Spitzenvertreterinnen und -vertreter aus aller Welt. Selbstverständlich müssen solche Exponentinnen und Exponenten vor terroristischen Übergriffen geschützt werden. Dafür haben wir schliesslich eine gut ausgebildete und für solche Einsätze ausgerüstete Polizei.

Allerdings, zunehmend wird der Anlass mit rund 1000 geladenen Teilnehmenden zum Grosseinsatz der Schweizer Armee. Am WEF 2001 noch waren es erst 1300 Soldaten. 2003 stieg die Zahl bereits auf 1800 Armeemitglieder. Und im kommenden Jahr sollen es bereits 6500 Militärangehörige sein. Eine solche Militarisierung ist alles andere als schleichend, sie verläuft beängstigend schnell. Im Handumdrehen und ohne dass die Bevölkerung dies realisiert, wird ein politisch höchst umstrittener Grossanlass zum Aufmarschgebiet der Schweizer Armee umfunktioniert. Ein derartiger Einsatz der Armee im Innern ist einzigartig und mit der Verfassung nicht vereinbar. Denn darin heisst es, dass mit der Armee nur «ausserordentliche Lagen bewältigt» werden sollen.

Doch ist das WEF, dessen Termin ein Jahr im Voraus feststeht, eine «ausserordentliche Lage»? In gewissem Sinn schon. Denn in Davos wird vorgedacht und diskutiert, was die so genannten Eliten aus Politik und Wirtschaft mittelfristig mit der Welt vorhaben. Kein Rückblick, keine kritische oder gar selbstkritische Analyse ist gefragt, sondern es dominiert ein allgemeines Schulterklopfen. Die Teilnahme von Vertreterinnen und Vertretern von Nichtregierungsorganisationen beschränkt sich auf ein paar wenige Alibi-Delegierte. Der Protest von der Strasse, von der Bevölkerung, welche die am WEF ausgeheckten neoliberalen Strategien ausbaden müssen, hat keine Stimme.

Wir Grünen sind zwar dafür, dass internationale Konferenzen in der Schweiz weiterhin ihren Platz haben. Aber die uneinsichtige Abschottungspolitik des WEF hat sich definitiv überlebt. Wenn die offizielle Schweiz mit massivem Militäreinsatz verhindert, dass es in Davos zu demokratischen Protesten kommt – und mit der Gefahr  wird der diesjährige Einsatz  ja begründet – , ergreift sie Partei. Die Schweiz ergreift Partei für die Reichen und Mächtigen dieser Welt – obwohl sie es mit ihrer humanitären Tradition besser wissen müsste.

Wenn jetzt Soldaten nein sagen zum Einsatz am WEF, ist dies ein ebenso mutiger wie notwendiger Entscheid. Mutig, weil ein nein heutzutage alles andere als populär ist. Notwendig, weil damit die Diskussion um die Verbandelung der Schweizer Armee mit dem wohl umstrittensten Grossanlass hierzulande in der Öffentlichkeit geführt wird. Ich unterstütze deshalb auch den Verweigerungsaufruf der GSoA ausdrücklich. Auch wenn damit die Armee nicht in Nöte kommen dürfte und trotzdem mit 6500 Soldaten am WEF 2004 präsent sein wird, so ist dies doch ein Zeichen, dass die zunehmende Militarisierung des Zivillebens nicht unwidersprochen weitergehen darf. Denn waren es 2001 noch 56’000 Diensttage für zivile Einsätze, so waren es 2003 bereits 375’000. Die Grünen fordern zusammen mit dem Soldatenkomitee, dass zivile Aufgaben wie die Bewachung von Veranstaltungen und Botschaften oder der Grenzschutz auch von zivilen Staatsangestellten ausgeführt werden muss. Eine entsprechende Parlamentarische Initiative reichte ich im Namen der Grünen Fraktion im September 2004 ein; sie ist noch nicht behandelt worden.

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Der Nationalrat hat am 2. Dezember 2004 mit 109 gegen 45 Stimmen die Entsendung von bis zu 6500 Soldaten an das World Economic Forum (WEF) in Davos bewilligt. Der Einsatz wurde vom Bundesrat mit der Begründung vorgeschlagen, dass die Gefahr von «gewalttätigen Demonstrationen verbunden mit Plünderungen» bestehe. Der Einsatz ist damit klar gegen diejenigen Menschen in der Schweiz gerichtet, die aus Gründen ihrer Überzeugung gegen die untransparenten Machenschaften am WEF in Davos protestieren wollen.

Doch Schweizer Soldaten – das ist eine Lehre der Geschichte – dürfen in der Schweiz niemals wieder gegen ZivilistInnen eingesetzt werden. Aus diesem Grund zwingt der Entscheid des Nationalrates uns Soldatten vom «Soldatenkomitee gegen innere Einsätze» den Einsatz zu verweigern. Die GSoA sieht sich, mit Unterstützung nationaler ParlamentarierInnen, dazu gezwungen, Soldaten in der Schweiz zur Verweigerung des Dienstes in Davos aufzurufen.

An der Medienkonferenz nahmen neben einem Vertreter des Soldatenkomitees und der GSoA die Nationalrätinnen Valérie Garbani (SP) und Pia Hollenstein (Grüne) teil. Die Grüne Fraktion unterstützt den Verweigerungsaufruf der GSoA.

Statements: Marc Kalbermatter, Tom Cassee, Valérie Garbani, Pia Hollenstein

 

Redebeitrag von Marc Kalbermatter, Soldatenkomitee gegen Innere Einsätze

Fahren wir bald mit Panzern über Demonstranten?

So abwegig das tönt: heute hat der Nationalrat beschlossen die Armee gegen DemonstrantInnen einzusetzen.

Was passiert, wenn verunsicherte Soldaten mit Schiessbefehl einer Menge DemonstrantInnen gegenübersteht, die sich ihre Bewegungsfreiheit nicht durch die Wirtschaftsbosse der Welt einschränken lassen will?

Wie wenig braucht es, bis sich ein Schuss löst?

Warum sollte die Schweiz einen Privatclub mit einer Armee beschützen?

Das sind Fragen, welche wir uns stellen müssen, wenn wir über innere Einsätze der Armee sprechen.

Ich möchte drei gute Gründe geben, einen Einsatz der Armee bei Anlässen wie dem WEF zu verweigern.

  1. Es ist nicht die Aufgabe der Armee.
    Die Aufgabe der Armee ist die Verteidigung unseres Landes. Nicht mehr. Polizeiliche Aufgaben hat die Polizei zu übernehmen, die dafür ausgebildet wurde. Es ist unsinnig, der Armee Aufgaben zu übertragen, für die sie nicht geeignet ist, nur um ihr eine Legitimation zu verschaffen, die sie nicht mehr hat.
  2. Wir Wehrpflichtigen sind nicht ausgebildet für Einsätze dieser Art.
    Es ist absolut fahrlässig, unerfahrene junge Erwachsene mit einer Waffe und Schiessbefehl auszurüsten und an Grossanlässen wie dem WEF Polizeiaufgaben übernehmen zu lassen. Wir Soldaten sind nicht ausgebildet, um solche Aufgaben ausführen zu können. Ich möchte mir nicht vorstellen müssen, was passieren könnte, wenn DemonstrantInnen eine verbotene Zone stürmen würden. Niemand von uns Soldaten will auf Zivilisten schiessen.
  3. Es ist nicht zu verantworten, die Meinungsfreiheit mit der Armee zu unterdrücken.
    Das WEF hat keinerlei demokratische Legitimation. Die dort gefassten Beschlüsse und Absprachen werden von einer selbsternannten Elite höchst undemokratisch getroffen. Es ist das gute Recht jeder Person, den Protest gegen solche Veranstaltungen kund zu tun. Wenn es schon höchst fragwürdig ist, die demokratischen Grundrechte der SchweizerInnen zugunsten einiger Reicher einzuschränken, so ist es komplett unverhältnismässig zur Durchsetzung dieses Verfassungsbruchs die Kriegsmaschinerie des Landes aufzubieten.

Ich werde aus diesen Gründen im WK jegliche Aktivitäten zugunsten des WEF kategorisch verweigern.

Ich möchte nun noch kurz das Soldatenkomitee vorstellen. Damit ein breiter Diskurs über den Unsinn von inneren Einsätzen zustande kommt, habe ich zusammen mit anderen Soldaten das «Soldatenkomitee gegen innere Einsätze» gegründet. Damit wollen wir Soldaten gegen innere Einsätze der Armee kämpfen. Wir sind sehr erfreut, dass sich innert kürzester Zeit über 20 Soldaten uns angeschlossen haben. Auch Roger Nordmann, Nationalrat ist als Soldat beigetreten. Mit diesem Soldatenkomitee möchte ich auch in Zukunft weitere aktiv bleiben, damit das Parlament in Zukunft keine inneren Einsätze mehr bewilligt. Denn letztlich müssen wir Soldaten ans WEF und sind direkt betroffen. Von den 6500 Angehörigen der Armee werden wohl die wenigsten Nationalräte sein.

www.soldatenkomitee.ch

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Redebeitrag von Tom Cassee

Der heutige Entscheid des Nationalrates ist gefährlich und Sicht der GSoA unverantwortlich. Dies aus verschiedenen Gründen:

  • Die Einsätze verletzen die Verfassung. Hierzu möchte ich Giorgio Malinverni, Professor für Verfassungsrecht in Bern zitieren, welcher sich in Bezug auf innere Einsätze so äussert: «Die Bestimmungen in Bundesverfassung und Militärgesetz sind für Ausnahmefälle konzipiert».
    Aus der Sicht der GSoA kann beim WEF-Einsatz nicht von einem Ausnahmefall gesprochen werden. Vor allem, weil der Bundesrat seit dem Jahre 2000 das WEF jedes Jahr als ausserordentliches Ereignis qualifiziert. Und heute wird der Verfassungsbruch richtig offensichtlich, denn die bürgerliche Mehrheit hat mit dem heutigen Entscheid den Einsatz für die nächste zwei Jahre bewilligt. Der Schutz einer privaten Veranstaltung kann in unserer Auffassung unmöglich das sein, was die Schreiber der Verfassung mit einer ausserordentlichen Lage gemeint haben.
  • Ein weiterer Grund, innere Einsätze kategorisch abzulehnen ist der folgende. Die Soldaten sind nicht ausgebildet, um innere Einsätze durchführen zu können, ohne sich oder andere zu gefährden. Die Ausbildung in der Schweizer Armee ist konzipiert für die Landesverteidigung und sicher nicht für Polizeiaufgaben.
  • Und auch die Geschichte der Schweiz zeigt klar auf, was passieren kann, wenn Soldaten innerhalb der Schweiz eingesetzt werden. So wurden um eines der vielen Beispiele zu nennen, 1932 13 Demonstrationsteilnehmer von der Armee erschossen.
    Dies darf in der Schweiz nie wieder geschehen.

Doch skandalös wird der heutige Entscheid des Nationalrates vor allem, wenn die Botschaft des Bundesrates dazu gelesen wird.

So schreibt der Bundesrat: “Das Risiko eines Terroranschlages oder eines gezielten Angriffes aus der Luft wird als gering beurteilt.” Und weiter schreibt er, dass aber dennoch grundsätzlich das “Risiko der Beeinträchtigung der inneren Sicherheit in Form von gewalttätigen Demonstrationen verbunden mit Plünderungen, von Angriffen auf Personen, und von Sabotageaktionen bestehe.
Es wird also sehr deutlich, dass die 6500 Angehörigen der Armee nicht zur Abwehr von terroristischen Gefahren ans WEF geschickt werden sollen. Nein, die Armee soll aufgrund dieser Botschaft, der der Nationalrat heute zugestimmt hat, wieder gegen Demonstrationsteilnehmer eingesetzt werden.

Dieser ausserordentliche Entscheid des Nationalrates, der so nicht akzeptiert werden kann, erfordert von uns eine aussergewöhnliche Reaktion. Die Gruppe für eine Schweiz ohne Armee GSoA fühlt sich daher gezwungen, öffentlich zur Verweigerung des Dienstes aufzurufen. Wir fordern alle Soldaten, welche von der Schweizer Armee ans WEF in irgendeiner Weise aufgeboten wurden, auf, diesen Einsatz zu verweigern. In der Hoffnung und Überzeugung, dass die betroffenen Soldaten mehr überlegen werden, als dies die Mehrheit im Nationalrat heute getan hat!

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Redebeitrag von Valérie Garbani, SP

Ce matin la majorité bourgeoise du parlement a décidé d’engager l’armée suisse pour la “protection” d’un évènement privé, le World Economic Forum (WEF) de Davos. La nouveauté est que cette année le Conseil fédéral a motivé le recours à la troupe non seulement avec le risque d’attentats terroristes, mais aussi en raison du “risque fondamental d’atteinte à la sécurité intérieure par des manifestations violentes accompagnées de pillages (…) ainsi que des actions de blocage.”1

La décision du Conseil national d’engager l’armée en raison d’éventuelles manifestations rouvre la possibilité que des soldats suisses se retrouvent, avec armes et munitions, face à des civils. Rien que ce constat devrait alarmer au plus haut degré toute force démocratique de ce pays.

N’a-t-on rien appris de l’Histoire? En Suisse romande l’année 1932, quand un engagement de l’armée provoqua 13 morts et 65 blessés, tous des civils désarmés, est encore dans les mémoires. “Plus jamais ça” est l’inscription sur le monument qui rappelle ce massacre à Genève. Plus jamais l’armée ne doit intervenir contre des manifestations. Il est scandaleux que la majorité du Conseil national ait choisi d’ignorer une telle leçon de l’histoire.

Qu’en est-il de la base légale de cet engagement? La Constitution fédérale n’autorise l’engagement de soldats à l’intérieur que dans des “situations d’exception”2. En qualifiant depuis l’an 2000, la tenue du WEF, évènement privé et annuel, comme une “situation d’exception” pour justifier l’engagement de l’armée, le Conseil fédéral et la majorité du Conseil national détournent le sens de la Constitution. Ceci d’autant plus que la “situation d’exception” n’est pas le fait d’une menace de “terroristes”, mais celle venant de personnes qui entendent manifester leur protestation. Cela constitue non seulement une offense pour tous les manifestants pacifiques qui sont ainsi disqualifiés et assimilés à des criminels constituant une “menace grave pour la sécurité”, c’est aussi une justification dangereuse pour un engagement dangereux, au cours duquel des soldats dépassés pourraient se trouver face à des civils.

Même si on estime que la tenue du WEF exige des mesures de sécurité accrues, cela ne saurait justifier l’engagement de soldats face à des civils. A ce propos j’aimerais citer M. Schweizer, professeur de droit constitutionnel à l’Université de Saint Gall: “un manque de policiers n’est pas, au sens de la loi, une situation d’exception pour la sécurité, mais plutôt c’est une défaillance politique des cantons.” Si le Conseil national constate depuis des années que pendant le WEF il existe un besoin accru de sécurité et que le personnel n’est pas suffisant, il aurait du soutenir depuis longtemps une augmentation des forces de police au lieu de poursuivre l’effacement de la séparation des tâches entre l’armée et la police.

A mon avis l’engagement de l’armée à Davos, et surtout avec la motivation de mettre des soldats face à des manifestants, se place en dehors des bases constitutionnelles. C’est pourquoi je comprends entièrement les soldats qui refusent l’engagement au WEF. Il faut mettre un verrou à la volonté de constamment réduire la distance entre soldats armés et population civile. Pour ces raisons je soutiens également l’appel du GSsA aux soldats et soldates suisses de refuser l’engagement au WEF contre des manifestations.


1: Message du CF du 15 sept. 2004.

2: D’après l’Art. 58 de la Constitution l’armée ne peut être mobilisée en appui aux autorités civiles qu’en cas de «grave menace pesant sur la sécurité intérieure ou à d’autres situations d’exception».

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