Allein in den 1970er- und 80er-Jahren wurde knapp 10‘000 junge Schweizer wegen Militärverweigerung ins Gefängnis gesteckt.
Ab dem Ende der 1960er-Jahre bis zur Einführung des Zivildienstes 1996 waren die Militärverweigerer eines der heissesten Themen in der Schweizer Politik. Hatte deren Zahl bis 1965 durchschnittlich knapp 40 pro Jahr betragen, schnellte sie 1966 auf 122 hoch. Allein in den 70er und 80er Jahren wurden 9’832 Andersdenkende verurteilt.
Am Amnesty-Pranger
Die Schweiz wurde wegen diesen Menschenrechtsverletzungen in den Jahresberichten von Amnesty International regelmässig an den Pranger gestellt. Der erste Satz begann meistens mit Formulierungen wie: «Amnesty International war besorgt über die Inhaftierung von Militärdienstverweigerern aus Gewissensgründen sowie über das Fehlen jeglichen zivilen Friedensdienstes.» Im Jahre 1984, in dem der zitierte Bericht erschien, wurden 788 Militärverweigerer zu Gefängnisstrafen verurteilt.
Das macht drei Verurteilungen pro Werktag. Diese Verurteilungen waren häufig mit schulischen und beruflichen Nachteilen verbunden. Die Prozesse an den Divisionsgerichten waren häufig Anlass für Solidaritätskundgebungen und publikumswirksame Auftritte, beispielsweise von Schriftstellern wie Friedrich Dürren – matt oder Adolf Muschg. Es gab immer wieder Diskussionen über die Militärjustiz, einer verfassungswidrigen Sonderjustiz. Auch im Parlament gab es etliche Vorstösse für die Schaffung eines Zivildienstes. 1967 überwies der Bundesrat ein Postulat, welches die Schaffung einer Verfassungsgrundlage für den Zivildienst forderte, an die Arbeitsgruppe für die Vorbereitung einer Totalrevision der Bundesverfassung. Im gleichen Jahr gab es im Rahmen der Teilrevision des Militärstrafgesetzes Straferleichterungen für Militärverweigerer in schwerer Gewissensnot. Aber der Skandal der strafrechtlichen Verfolgung blieb und vergrösserte sich. Deshalb wurden die Münchensteiner- und die Tatbeweis-Initiative gestartet.
Bodigung des Zivildienstes
Am 4. Dezember 1977 wurde die erste Zivildienst- Vorlage, die nur für «unpolitische» Militärverweigerer und bloss einen «Ersatzdienst» vorsah und deshalb auch von einem Teil der PazifistInnen abgelehnt wurde, mit 37,6 Prozent Ja-Stimmen bachab geschickt. Auch die Tatbeweis-Initiative, die auf eine unwürdige Gewissensprüfung verzichtete, blieb am 26. Februar 1984 bei einem Ja-Stimmenanteil von 36,2 chancenlos, obwohl sie breit ab – gestützt war. Es war der finanzstarken «Aktion Freiheit und Verantwortung», ihrem «Verein zur Förderung des Wehrwillens und der Wehrwissenschaft», der «Arbeitsgemeinschaft für gleiche Wehrpflicht und eine friedenssichernde Milizarmee», dem «Eidgenössischen Komitee für allgemeine Wehrpflicht», dem «Schweize rischen Aktionskomitee gegen die Aushöhlung der Allgemeinen Wehrpflicht», dem «Überparteilichen Komitee gegen die Unterwanderung unserer Milizarmee», dem «Komitee gegen die Dienstverweigerer-Initiative» und der «Aktion wehrhafte Friedenssicherung» gelungen, aus der zweiten Zivildienstinitiative eine Armeeabschaffungsinitiative zu machen. Diese Erfahrung bewog viele Verweigerer und Zivildienst-AktivistInnen, der 1982 gegründeten Gruppe für eine Schweiz ohne Armee beizutreten. Deren Erfolg 1989 machte zwar die Militärjustiz nicht gnädiger, bewirkte aber ein Umdenken in der Bevölkerung. Am 17. Mai 1992 stimmten 82,5 Prozent der Schaffung eines zivilen Ersatzdienstes zu. Es dauerte dann noch vier Jahre, bis dieser am 1. Oktober 1996 endlich geschaffen wurde.
Menschenrechtsverletzungen anerkennen
Es ist an der Zeit, dass sich die Schweiz diesen Menschenrechtsverletzungen stellt und die Tausenden von Verurteilten rehabilitiert. Das soll mindestens für jene gelten, die nach dem Jahre 1967, als der Bundesrat und das Parlament das Problem anerkannten, ins Gefängnis gesteckt worden sind.
Nachtrag: Der Autor dieser Zeilen ist kein Militärverweigerer. Allerdings hat er 1992 den letzten Ergänzungskurs nicht geleistet, um im Rahmen der GSoA-Kampagne «Aufruf zur Tat» Druck für die zügige Einführung eines Zivildienstes auszuüben. Die Gesamtstrafe für die zwei verweigerten Militärwochen belief sich auf 45 Tage Gefängnis.