Am 7. Juni übten Genfer Territorialfüsiliere in Day (VD) das scharfe Vorgehen der Armee gegen als demonstrierende Arbeitslose auftretende Markeure. Die selbst von EMD-Chef Ogi als «verunglückt» bezeichnete Übung offenbart ein gravierendes Problem der Armee: ihre existentielle Feindildnot; weil kein äusserer Feind mehr auszumachen ist, müssen Ersatzfeinde im Inneren gesucht werden.
«Love, Peace, Unity» wurde am vergangenen 10. August an der Street Parade in Zürichvon jung und alt gefeiert. Noch nie tanzten hier so viele Menschen auf den Strassen (350000). Ohne jede Diskriminierung durfte jede und jeder seiner ekstatischen Freude und ihrer weltumspannenden Liebe Ausdruck geben. Das ist der Beginn des Wassermann-Zeitalters, in welchem Nationen, Grenzen und Armeen überflüssig werden. Probleme wie Hunger, Umweltzerstörung und Armut sind nicht mehr national, sondern nur noch global lösbar. In uns reift das Bewusstsein, dass wir Menschen alle im gleichen Boot sitzen.
Feindlos, sinnlos, chancenlos
Wenn die Welt langsam aber sicher zum Global Village wird, macht es immer weniger Sinn, Kanonen und Panzer zwischen die Häuser zu quetschen und Kampfflugzeuge wie Hornissen zwischen den Gartenlampen herumschwirren zu lassen. Kopfschüttelnd ob solchem Unsinn lächeln wir unseren Nachbarn zu. Eine Menge Herausforderungen gibt es, die wir zusammen anpacken müssen – aber weit und breit keinen Feind.
Was uns freut, bringt aber all diejenigen in arge Nöte, die sich von ihrem Kriegsspielzeug im Gärtchen nicht trennen können und das Gefühl haben, nur bei Hornissengesumm ruhig schlafen zu können. Wo kein Feind mehr ist, verliert die Armee ihren Sinn. Ihre Chancen, als geldfressender Koloss weiterzubestehen, schwinden.
Ein ungutes Gefühl im EMD ist deshalb verständlich. Nach dem schweren Schlag der Affäre Nyffenegger soll das ramponierte Image aufpoliert werden. Da kommt die skandalöse «Arbeitslosenübung» vom 7. Juni natürlich ungelegen. Auf den Transparenten der «Demonstranten» stand «Arbeit für Alle!» und «Nein zu höheren Steuern!» Den Soldaten wurde unter anderem beigebracht, einem Demonstranten innerhalb 1,5 Sekunden zwei Kugeln in die Brust zu schiessen und, falls er sich noch bewegen sollte, eine in den Kopf. Ein beteiligter Offizier verkündete zudem, der von der Genfer GSoA organisierte Protest gegen das Defilee vom November 1995 sei eine typische Situation, in der die Territorialfüsiliere zum Einsatz kommen könnten. Die Armee wird zur konkreten Gefahr für die Bevölkerung.
Die Aufrechterhaltung der inneren Ordnung wird zwar gerne als Rechtfertigungsgrund für die Armee herbeigezogen. Dennoch hat der Generalstab verboten, in der aktuellen politischen Situation Übungen betreffend Aufrechterhaltung der inneren Ordnung durchzuführen. Das EMD seinerseits hat beschlossen, dass die Truppe nicht im Ordnungsdienst instruiert wird. Dies beweist das ungute Gefühl der Militärverantwortlichen und zeigt im übrigen, wie schwach das Argument des «subsidiären Einsatzes» tatsächlich ist.
Eine Feindbildnot in blau und rot…
…offenbart nun der EMD-Appell, welcher nach der peinlichen «Arbeitlosenübung» an die Kommandanten der grossen Verbände ging: In Übungsanlagen für subsidiäre Sicherheitseinsätze dürften Angreifer niemals personifiziert beschrieben oder sozialen Gruppen zugeordnet werden, sodass sich niemand desavouiert vorkommen könne. Zurück also zu alten Manöver-Zeiten, wo der Feind noch mit einer Farbe bezeichnet wurde? Immerhin war auch dies nur eine versteckte Form der Personifizierung, wurde doch für den BöFei zur Zeit des kalten Krieges meist die Farbe rot gewählt, nicht etwa braun oder blau.
Der EMD-Appell an die Kommandanten, wonach sich niemand als «Angreifer» desavouiert vorkommen dürfe, mag PR-mässig klug gewesen sein – er löst aber nicht das Feindbildproblem der Armee. Wozu denn soll sie, positiv umschrieben, da sein? Damit blau gegen rot siegt?
Gewehre, Kanonen, Flugzeuge, überhaupt ihre ganze Ausrüstung und ihre Arbeitsweise sind derart, dass die Feinde Menschen sein müssen. Die Armee lässt es sich, wie die Übung vom 7. Juni 1996 zeigt, nicht nehmen, ihre Feinde zu personifizieren. Nicht nur wurden die angreifenden Markeure als Arbeitslose deklariert, die um ihre Rechte kämpften. Sie wurden bewusst aus denjenigen Soldaten rekrutiert, welche lange Haare trugen. Wie überflüssig ist doch eine Armee, die auf das Feindbild des langhaarigen Arbeitslosen zurückgreifen muss! Die Kanonen sind für die Spatzen, die Milliarden für die Katze!
Schlagstöcke und Handschellen…
…sollen deshalb ein neues Armeezeitalter einläuten. Wo ausserhalb der Landesgrenzen weit und breit kein Feind mehr zu sehen ist, müssen Ersatzfeinde im Inneren gesucht werden – eine neue Variante der Salami-Taktik: Die Schweizer Wurst, um die es früher bei der «Landesverteidigung» ging, muss in Scheiben geschnitten werden, um die Armee noch zu rechtfertigen. Während die Welt um sie herum zum Dorf schrumpft, greift die kleine Schweiz zum Mikroskop und will ihre 24 neuformierten Territorialregimenter als kantonale Truppen auf neugebildete Feinde im Innern losgehen lassen, beispielsweise auf demonstrierende Arbeitslose oder ArmeekritikerInnen. Und am Buurezmorge-Tisch der SVP werden weitere Salamischeiben zu Feindbildern: Lesben und Schwule, Asylsuchende, Drogensüchtige und sonstige «Randgruppen».
Möglichst unter Ausschluss der Öffentlichkeit will das EMD nun Teile der Territorialeinheiten mit Schlagstöcken, Handschellen und Tränengas ausrüsten. In Sachen Bürgernähe hat die Schweizer Milizarmee offenbar grosses vor.