Newsletter Ukraine 35

Liebe Leser*innen

Die Nachricht ist noch einigermassen aktuell und daher auch mit Vorsicht zu behandeln. Jewgeni Prigoschin ist tot. Das zumindest behauptet der Kreml offiziell. Das Gesicht der Gruppe Wagner und weiterer Führungskräfte sollen an Bord des Flugzeuges gesessen haben, das am 23. August in der Nähe von Moskau abgestürzt ist. 

Die Nachricht hat sich verbreitet wie ein Lauffeuer. Die Tamedia-Zeitungen schrieben in der Headline: “Prigoschins Anhänger sprechen von Mord”, andere Zeitungen aktualisierten ihren Online-Artikel stündlich. In russischen, Wagner-nahen Telegram-Chatgruppen wurde hingegen war bereits von Mord die Rede. Eine faktische Bestätigung des Todes Prigoschins lag lange nicht vor. DNA-Tests bestätigen inzwischen den Tod, so zumindest bestätigt es die russische Nachrichtenagentur. Es  ist ein Paradebeispiel dafür, wie heikel die Berichterstattung in Kriegen ist und wie hinter jeder Meldung ein politisches Kalkül stecken kann. 

Berichterstattung aus dem Ukraine-Krieg (Klassische und soziale Medien)

“Besonders zu hinterfragen sind Informationen von Kriegsparteien. Denn alle Kriegsparteien machen Propaganda – in diesem Angriffskrieg vor allem die russischen, offiziellen Quellen.” So beschreibt SRF den eigenen Umgang mit Informationen aus dem Ukraine-Krieg und bringt damit die Problematik sehr gut auf den Punkt. Denn einerseits müssen und sollen alle Informationen aus einem Krieg sehr kritisch beäugt werden – schliesslich achtet auch die  ukrainische Seite auf eine Kommunikation, die ihr in der Zusammenarbeit mit der internationalen Staatengemeinschaft sowie landesintern von Vorteil ist. Andererseits hat gerade der russische Staatsapparat als Aggressor ein besonderes Interesse daran, Informationen zu steuern und somit die öffentliche Wahrnehmung massgeblich beeinflussen zu können. Und: Die Medien in Russland sind praktisch zu 100% staatsnah. Dies hat im Endeffekt sowohl gegen aussen als auch gegen innen massive Auswirkungen, etwa wenn ausschliesslich von einer ‘militärischen Spezialoperation’ und nicht von ‘Krieg’ gesprochen wird. Es gibt zwar durchaus auch Oppositionsmedien, wie das Nachrichtenmagazin DOXA, doch haben diese ihre gute Mühe, Gehör zu finden. Ein Interview mit zwei Journalist*innen jenes Magazins findet sich übrigens in unserer aktuellen GSoA-Zeitung. Doch natürlich: Auch “westliche Medien” schreiben nicht per se neutral, auch sie sind gefärbt, auch sie verfolgen teilweise eine Agenda und auch sie gehen mal mehr und mal weniger vorsichtig mit Meldungen und Quellen um. Jeder unglücklich gewählte Titel, jede übereifrig kommunizierte Botschaft kann falsche Neuigkeiten vermitteln. Und vor allem: Medien sind politisch kaum neutral. Ob in der Schweiz die rechtsnationale “Weltwoche” den Krieg beurteilt, die linksliberale WoZ oder die freisinnige NZZ macht einen massiven Unterschied.

Dennoch hält eine Studie der Universität Zürich aus dem letzten Jahr fest: Schweizer Medien machen ihren Job im Zusammenhang mit dem Ukraine-Krieg gut. Der Studienleiter wird folgendermassen zitiert: «Grosse kriegerische Auseinandersetzungen führen zu einem steigenden Bedürfnis nach Information und Orientierung. Medien spielen dabei eine wichtige Rolle. Sie operieren jedoch unter erschwerten Bedingungen, etwa weil der Zugang zu Informationen schwieriger ist, oder weil die Medien teilweise der Zensur unterworfen sind». Dennoch bemerkt die Studie einige Mängel: So werden längst nicht alle direkt oder indirekt vom Krieg betroffenen Weltregionen in der Berichterstattung ähnlich gut abgedeckt. Neuigkeiten aus Ländern des globalen Südens etwa, die aufgrund des Ukraine-Krieges teils unter massiven Hungersnöten leiden, werden viel spärlicher abgedeckt. Ausserdem wird bemerkt, dass die grundsätzliche Quellenlage oft zu wünschen übrig lässt. Dies liegt daran, dass das Korrespondenznetzwerk verschiedenster Medien immer kleiner wird und Social Media je länger je mehr zu einer wichtigen Informationsquelle wird, was wiederum Folgeprobleme verursachen kann. So ist die Gefahr von Fake News auf den sozialen Medien vermutlich grösser. Das liegt in der Natur von Sozialen Medien, wo doch alle die Möglichkeit haben, wo doch alle die Möglichkeit haben, auch unfundierte Informationen ins Netz zu stellen. Es können Informationen mit dünner Quellenlage geteilt werden, die dann unkritisch übernommen werden. Des Weiteren kann künstliche Intelligenz Informationen und Bilder erstellen, die es so nie gab und damit die Wahrnehmung verzerren. Nicht zuletzt erhöht Social Media als Quelle die Wahrscheinlichkeit undifferenzierter Übernahme von Narrativen der Kriegsparteien.  

Der blinde Fleck

Während die Berichterstattung über den laufenden Krieg sehr gut ist, kommt die Frage, welchen Beitrag die Schweiz zu diesem Krieg geleistet hat und wer dafür die politische Verantwortung trägt, viel zu kurz. Aus der Schweiz wurde Putins Kriegskasse massiv gefüllt. Die politische Partei, die über den Standort Zug oder über die Schonung der Anwälte im Geldwäschereigesetz am meisten dazu beigetragen hat, ist die CVP/Mitte. Ins Bild passt auch der Umstand, dass die Präsidentin der Handelskammer beider Basler, in der jene Pharma dominiert, die ihre Exporte nach Russland massiv ausgeweitet hat, Mitte-Nationalrätin ist. Dass Putin die Ukraine mit Bombern und Raketen angreifen kann, verdankt er stark der FDP Schweiz, die 2016 die strikte Seco-Praxis zugunsten Russlands gelockert hat. Der damalige Vorsteher des Volkswirtschaftsdepartements, der freisinnige Bundespräsident Johann Schneider-Ammann, hatte die Lieferung von Dual-Use-Maschinen an Russland trotz Krim-Annexion so begründet: „Keine ideologische Prüfkriterien.“ Und die SVP unterstützt Putin vor allem mit ihrer Kampagne gegen Sanktionen. 

Medien haben ein friedensförderndes Potenzial” 

Dieser Satz stammt aus dem Antrag der letzten GSoA- Vollversammlung (siehe P.S.). Sowohl klassische als auch soziale Medien haben das Potential, die Debatte um Krieg und Frieden so zu lenken, dass letztlich der Frieden gefördert wird. Wie wir am Beispiel der Ukraine sehen können, berichten die Medien per se nicht schlecht und auch nicht falsch vom Kriegsgeschehen. Doch gerade die Abonnementsmedien berichten zu 41% mit einordnenden Artikel zum Ukraine-Krieg. Das heisst, es wird eingeordnet, schlussgefolgert und analysiert. Dass gerade in solchen Artikeln viel lieber über die Kriegsereignisse an der Front, also die klassische militärische Berichterstattung,  geschrieben wird, anstatt friedensfördernde Massnahmen zu diskutieren, ist in Sachen Clickbaiting nachvollziehbar. Dennoch ist es eine verpasste Chance. Analysen, Hintergrundstories und Meinungsartikel bieten nämlich die perfekte Plattform, um nach vorne gerichtet über Frieden und dessen Erreichung diskutieren zu können. Oder es böte die Möglichkeit, halt mal mit Friedensaktivist*innen, über alternative Friedensprojekte oder allgemein mit den Menschen vor Ort zu sprechen, die gerade keine Waffe oder keinen Tarnanzug tragen. Es liegt letztlich in der Verantwortung der Medien und der Journalist*innen, wieviel Platz sie friedensfördernden Beiträgen einräumen oder ob sie doch lieber dem medial “attraktiveren” Katastrophenjournalismus zu frönen. Auch Social Media hat – zwar schwer vorstellbar – positives Potential. Obwohl die heutige Wahrnehmung von Social Media oftmals zu Recht eher von Fake News, verzerrter Wahrnehmung und radikalisierenden Echokammern geprägt ist: Schlussendlich sind es Plattformen, auf denen alle alles teilen können (zumindest innerhalb demokratischer Strukturen) und man so fast unbegrenzte Möglichkeiten hat, auch über Frieden zu sprechen.  Gerade junge Friedensaktivist*innen und Vertreter*innen von Demokratiebewegung nutzen die Sozialen Medien für ihre kämpferischen Friedensbotschaften. Auf der anderen Seite kann Social Media auch als Instrument der Analyse und Früherkennung von bestehenden oder sich anbahnenden Konflikten dienen. 

Fazit

Wie so vieles bieten auch Medien sehr viel Potential, um Schaden anzurichten, aber auch um positiv zu wirken. Um Ersteres zu verhindern und Zweiteres zu stärken, müssen aber zuerst einige Hürden überwunden werden. Denn niemand kann das Problem der Sozialen Medien als Fake News Multiplikator mit einem Fingerschnipp lösen. Auch niemand kann leugnen, dass Kriegsberichterstattung zu oft den medialen Alltag überschattet, anstatt dass alternative, friedensfördernde Stories Platz in den Schlagzeilen fänden. So müssen wir – wohl oder übel – damit leben, dass die Medienlandschaft kompliziert und der Umgang mit Informationen und Quellenlagen gerade in Kriegszeiten ein schwieriger ist. Dass wir mit jeder Information sorgfältig umgehen müssen und wir nichts für bare Münze nehmen, bleibt unsere Pflicht. Denn sonst befeuern wir die Situation und reproduzieren im schlimmsten Fall sogar Kriegspropaganda. 

Dieser Newsletter ist in keiner Weise abschliessend, doch er versucht, die mediale Berichterstattung in Zeiten des Krieges einzuordnen. Wie nehmen Sie die Berichterstattung zum Ukraine-Krieg wahr? Was können Medien tun, damit sie der Rolle von Friedensförderung gerechter werden? Wir freuen uns über konstruktive Rückmeldungen und Beiträge.

Pazifistische Grüsse

Joris Fricker, GSoA-Sekretär

P.S:  Dieser Newsletter widmet sich in aller Kürze dem Thema “Medien”. Im Mai dieses Jahres hat  die GSoA ein antimilitaristisches Manifest veröffentlicht. Doch selbst ein solches Manifest kann nicht alle Fragen, die mit der GSoA und ihren peripheren Themen zusammenhängen, klären. Somit hat zum Beispiel das Thema “Krieg und Medien” keinen Platz bekommen. Dies wurde in der Diskussion rund um das Manifest an der Vollversammlung im Mai auch angemerkt und mittels eines ähnlich lautenden Antrags gefordert. Zwar wurde der Antrag abgelehnt, dennoch wollen wir dem Thema in dieser Weise Rechnung tragen: Daher wurde dieser Newsletter dem Thema “Medien” gewidmet.

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