«Nicht tödliche» Waffen

«Non lethal weapons» («nicht tödliche Waffen») und ihre härteren Verwandten «less lethal weapons» («weniger tödliche Waffen») sind ein weitgehend unerschlossenes und deshalb Profit versprechendes Feld auf dem internationalen Rüstungsmarkt.

Angesichts Situationen wie der im Irak, wo die hoch technologisierte US-Armee zwar militärische Überlegenheit, aber keine Sympathie in der Bevölkerung erlangen kann, erwecken nichttödliche Waffen immer mehr Interesse bei Militär und Polizei.

Das Bedürfnis nach «non lethal weapons» (NLW) ist im letzten Jahrzehnt bei Armeen weltweit markant angestiegen. Kein Wunder, hat sich in diesem Bereich also ein lukrativer Markt gebildet. Ein Beispiel für das steigende Interesse ist unter anderem auch das vom «Fraunhofer Institut Chemische Technologie» organisierte «European Symposium on Non-Lethal Weapons», an dem im September 2001 und im Mai 2003 Experten, Polizei- und Armee-Vertreter und Rüstungsfirmen-Vertreter zusammenkamen. 160 Wissenschaftler (darunter auch acht Schweizer) erklärten den anwesenden Militär- und Polizeikräften, wie mit Gas, Schall, Strom und Licht gezielt Menschen ausgeschaltet werden können.

Einsatz auch im Inneren

NLW erfreuen sich nicht nur beim Militär immer grösserer Beliebtheit. Auch im Bereich der inneren Sicherheit gewinnen sie immer mehr an Bedeutung. Dass Waffen unterhalb der Kriegsschwelle oder eben NLW ihren Weg vom Militär in den zivilen Ordnungsdienst finden, ist übrigens nichts Neues. Bereits ab den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts experimentierte die Schweizer Armee unter dem Eindruck der Giftgaseinsätze im ersten Weltkrieg mit Senf- und Tränengas. Das Programm wurde jedoch nach diversen Unfällen (verätzte Soldaten, tausende verendete Kühe) abgebrochen. Während das Senfgas vernichtet wurde, sollten die 25t Tränengas einer neuen Bestimmung zugeführt werden: Emil Sonderegger, der damalige deutschnationalfreundliche Chef der Generalstabsabteilung, dachte nach dem Generalstreik 1918 laut darüber nach «den Gaskrieg im Ordnungsdienst bei Unruhen im Innern» anzuwenden.

Hightech statt Gummiknüppel

Neben Tränengas und Gummischrott, welche bereits seit einigen Jahrzehnten verwendet werden, kommen seit den ersten «Globalisierungsunruhen» auch vermehrt neuartige Waffen zum Einsatz. So wurden beispielsweise im April 2003 in Oakland (USA) FriedensdemonstrantInnen mit Holzgeschossen, Schockgranaten, Tränengas und kleinen, mit Metall gefüllten Säckchen (abgeschossen mit einem Spezialgewehr) angegriffen und viele AktivistInnen verletzt. Auch in der Schweiz gab es im Zusammenhang mit den Protesten gegen den G-8 Gipfel in Evian einige Verletzte durch Markiermunition und Schockgranaten. So wurde etwa die Gewerkschaftssekretärin Denise Chervet durch ein Geschoss einer FN303, eine Waffe, welche dabei schweizweit zum ersten Mal im Einsatz war, am Kopf getroffen und ihr Wangenknochen zertrümmert. Ein weiteres Beispiel ist der «Taser», welcher auch bereits im Besitz von einigen Schweizer Polizeikorps ist. Über zwei abgeschossene Pfeile wird dem getroffenen einen Elektroschock von 50’000 Volt verabreicht. Das soll zwar keine bleibenden Schäden hinterlassen, jedoch sehr starken Schmerz auslösen.

«Nichttödlich» ist relativ

Ganz so harmlos wie der Name eigentlich vermuten lässt, sind NLW aber keineswegs. Der Begriff «nichttödlich» ist irreführend; je nach Definition der Hersteller können an solchen Waffen zwischen 4 – 25 von 100 Menschen sterben, die Waffe gilt trotzdem noch als «nicht tödlich». Gerade neue NLW-Technologien werden von verschiedenen Ärzteorganisationen kritisiert, da über mögliche bleibende Schäden kaum Informationen vorhanden sind.

Auch die rechtliche Situation ist undurchsichtig: Verschiedene Friedensforscher und Juristen sehen in «mass incapacitation tools» Mittel zur flächendeckenden Ausserkraftsetzung grösserer Menschengruppen sowie Folterwerkzeuge einer neuen Generation.

Auch wenn Hersteller von NLW ihre Waffen als Ablösung der tödlichen Waffen sehen: In der Realität dürften sich NLW eher als Erweiterung zur tödlichen Schusswaffe etablieren. Die Vermutung liegt nahe, dass NLW wegen ihrer im Gegensatz zu tödlichen Waffen geringen Hemmschwelle auch viel zu unbedacht eingesetzt werden könnten, beispielsweise im Gefängnis oder an Demonstrationen. Leider scheint sich diese Befürchtung immer mehr zu bestätigen. Im Oktober dieses Jahres forderte der Einsatz einer FN303 – also der gleichen Waffe welche bereits in Genf Verletzte forderte – in Boston (USA) ein erstes Todesopfer. Victoria Snelgrove starb, als sie ein Geschoss einer nicht-tödlichen Waffe am Kopf traf. Anlass zur Schussabgabe waren Baseball-Fans, welche ausgelassen, aber friedlich den Sieg ihres Teams auf der Strasse feiern wollten.

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