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Desillusioniert von den Zyklen der Militärregierungen, den wiederkehrenden Reformen und dem blossen Wechsel der Galionsfiguren, rief die Bevölkerung dazu auf, das gesamte Regime und die bestehenden Systeme zu stürzen.
von Jamal Mahmoud
Die aktuellen Kämpfe zwischen den militärischen Fraktionen im Sudan müssen vor dem Hintergrund der sudanesischen Revolution betrachtet werden, die im Dezember 2018 begann. Im Prozess schlossen sich unzählige Bündnisse und Koalitionen zusammen, auch die Nachbarschafts-Widerstandskomitees. Der Aufstand führte zwar zum Sturz der 30-jährigen Diktatur Omar al-Bashirs im April 2019, doch konnte sich das Volk nicht vollständig von den Fesseln des Militärs befreien. Die Menschen fanden sich sofort in einem komplexen geopolitischen Netz wieder. Internationale Kräfte mit unterschiedlichen Interessen unterstützten entweder offen die Militärs oder drängten im Namen eigennütziger Aussenpolitik auf “friedliche” Gespräche. Daraufhin wurde eine zivil-militärische Übergangsregierung eingesetzt, die den Übergang zur Demokratie leiten sollte.
Die beiden derzeit kämpfenden Fraktionen – die sudanesischen Streitkräfte unter General Abdel-Fattah al-Burhan und das Paramilitär der Rapid Support Forces (RSF) unter “Hemeti” (Mohamed Hamdan Dagalo) – teilten sich die Macht in einem Militärrat, in dem Burhan Präsident und Hemeti Vizepräsident war. Doch bereits im Oktober 2021 haben sie die Zivilregierung durch einen Militärputsch gestürzt und die für 2022 geplanten Wahlen abgesagt.
Die Widerstandskomitees, welche über die ganze Zeit vom Übergangsprozess ausgegrenzt wurden und diesem misstrauisch gegenüberstanden, sahen ihre Stärke darin auf den Strassen zu agieren. Nach dem Staatsstreich setzten sie im ganzen Land einen Bottom-up-Prozess zur Erreichung eines Konsens über die Zukunft des Sudan in Gang. Dieser Prozess brachte nicht nur eine, sondern zwei Chartas hervor. Aufstrebend, organisch, pluralistisch, dezentralisiert, führungslos. Unter dem Motto “Keine Verhandlungen, keine Legitimation, keine Partnerschaft” lehnen die Widerstandskomitees und andere Gruppen weiterhin jede ausländische Intervention, Gespräche unter Leitung der UNO und Einladungen von Putschisten und politischen Parteien ab.
Eines der Ziele der Revolution ist es, den militärischen, sicherheitspolitischen und kommerziellen Komplex zu zerschlagen, der die Ressourcen des Landes kontrolliert. Ressourcen, die auch bei uns in der Schweiz landen, wie etwa aus RSF kontrollierten Goldminen. Neben dem Goldhandel gibt es eine weitere internationale Stütze in der Machtverwaltung der sudanesischen Militärs: die europäische Migrationsabwehr. Der Sudan ist Mitglied des sogenannten Khartum-Prozesses der als ein wichtiges Standbein bei der Externalisierung der europäischen Flüchtlingsabwehr gilt. Die Schweiz beteiligt sich seit 2016 mit fünf Millionen Franken am milliardenschweren EU-Treuhandfonds, der die sogenannte “Fluchtursachenbekämpfung” finanzieren soll.”
Das obsessive Drängen ausländischer Mächte auf einen Übergangsprozess hat schlussendlich die Generäle gestärkt, die Position der Aktivist*innen geschwächt und so den Weg zum Krieg geebnet. Auch jetzt, mitten im Krieg, legitimieren Friedensgespräche die Kriegsparteien als Hauptakteure bei der Entscheidung über die Zukunft des Sudans, während sie diese brutal zerstören. In den ersten 3 Monaten alleine wurden über 5000 Menschen entführt, inhaftiert und gefoltert. Darunter viele kritische Stimmen. Berichte sexualisierter Gewalt als Kriegswaffe reichen über das ganze Land. In Darfur setzen die RSF ihre Verbrechen ungestraft fort und füllen Massengrab nach Massengrab. Einem aktuellen Bericht der Human Rights Watch zufolge haben sie mindestens 26 Gemeinden systematisch zerstört und Hunderttausende Einwohner vertrieben. Laut Schätzungen befinden sich im Sudan über 2,4 Millionen Binnenflüchtlinge, 730’000 Menschen sind in Nachbarstaaten geflüchtet.