Gastbeitrag: Nur schusswaffenfreie Küchentische? So bescheiden?

Auf der Website der Gun Free Kitchen Table ist ersichtlich, mit welchen Organisationen die GFKT zusammenarbeitet und es wird schnell klar, da geht es um viel mehr.

Da sind unter vielen anderen 

–    die Achoti, eine Fraueninitiative gegen Femizid

–    die Physicians for Human Rights, die in Israel/Palästina alle betreuen, die durch die Maschen der Gesundheitsversorgung fallen, die «sans papiers», Flüchtlinge und Menschen in den besetzten Gebieten (Gaza und Westbank)

–     die Abraham Initiative, die Gewalt in den arabischen Ortschaften reduzieren will

–     die Breaking the Silence, bei der Militärdienstleistende über Menschenrechtsverletzungen des Militärs in den besetzten Gebieten Zeugnis ablegen und das publik machen.

–      Tmura, das Zentrum für legale Gleichberechtigung (Antidiskriminationszentrum) 

–       Psychoaktive, eine Gruppe palästinensicher und jüdisch israelischer Psychotherapeut*innen, die die sozialpolitische Dimension psychischer Gesundheit fokussiert, sowohl therapeutisch wie medial.

Alles Organisationen in Israel/Palästina mit unterschiedlichen Schwerpunkten, deren gemeinsames Ziel der Abbau der Gewalt, die Abrüstung im zivilen Raum und Gleichberechtigung aller ist.

Die «Gun Free Kitchen Table» wurde 2010 von arabischen und jüdisch-israeli Juristinnen gegründet, sie ist eine Untergruppe der Organisation «Frau für Frau».

Die Zielsetzung der GFKT ist, Abrüstung und Waffenkontrolle durchzusetzen, im zivilen Raum in Israel und auch in den besetzten Gebieten. 

Ein Zoom Meeting im letzten Frühling machte mich mit den leitenden Frauen bekannt. Arabische und jüdische Juristinnen, jede mit dem spezifischen Wissen ihrer Gemeinschaft.  Der Dialog spürbar auf Augenhöhe. 

Sie benennen die Fakten: Je mehr Waffen im Umlauf sind, desto mehr werden sie gebraucht. 

Ein Anliegen der GFKT ist deshalb, dass vorerst alle Waffen registriert und zentral gelagert werden, nicht mehr privat in jedem Haushalt.

In Israel existiert eine noch ausgebautere Sicherheitsindustrie als bei uns, viele Sicherheitsaufgaben sind privatisiert, was die Kontrolle zusätzlich erschwert.

Ein weiteres gemeinsames Anliegen dieser Frauen ist, die häusliche Gewalt in allen Gesellschaftsgruppierungen zu reduzieren. Diese Gewalt ist auch, aber nicht nur, eine Folge der andauernden kriegerischen Auseinandersetzungen. 

Eine der Mitarbeiterinnen sagte in diesem Zoommeeting, dass die Gewalt gegen Frauen nach der Rückkehr der Männer vom Militärdienst um 50% ansteige! 

Rela Mazali, eine der Gründerinnen sagt: “Die (israeli) Gesellschaft ist so militarisiert, dass Gewalt normal scheint.”

Ein wesentlicher Faktor ist die hierachisch-patriarchale Tradition, sowohl in der jüdischen als auch in der traditionell arabischen Kultur hat der Mann, respektive die männlichen religiösen Geistlichen, das Sagen. Das wirkt sich bis weit in die säkulare Welt aus.  

In dieser hierarchisch-patriarchalen Logik muss die Diskriminierung durchgesetzt und erhalten werden, nach dem Motto Goethes «und bist du nicht willig, so brauch ich Gewalt». 

Hanna Amoury, eine der Mitarbeiterinnen, die sich lange gegen die Unterdrückung der palästinensischen Bevölkerung engagierte, betont, dass in der letzten Zeit die Gewalt innerhalb der arabischen Bevölkerung massiv anstieg. Die GFKT untersuchte das genauer, sie sprachen fortan nicht mehr von Gewalt (violence) sondern von Kriminalität (crime). Sie dokumentierten, dass diese die Folge politischer Fehler sei.

Zum Beispiel kümmerte sich die Regierung lange nicht um die Sicherheit der arabischen Bevölkerung, geschweige denn um die Sicherheit der arabischen und beduinischen Frauen.

Ich erinnere mich an einen Vortrag einer Frauenhausleiterin aus Haifa (Israel) vor der Errichtung des Grenzzaunes zu Gaza. Sie schilderte die Situation der Frauen der Beduinen im Süden Israels. 

Offiziell ist in Israel Monogamie die Norm. Da sich niemand um die Durchsetzung dieses Gesetzes bei den Beduinen kümmerte, holten sich manche dieser Clanherren 2. und 3. und 4. Frauen. Wenn diese Frauen Gewalt erleben, was oft vorkommt, können sie keinen Platz in den staatlichen Frauenhäusern bekommen, weil es sie offiziell ja nicht gibt.

Wenn die GFKT ihre Sicht in der Israeli Regierung einbringt, hat sie es mit einem Grundproblem zu tun: 

Israel anerkennt zwar das (arabische) Individuum, aber die Araber als Kollektiv nicht

Deshalb wird die arabische Gemeinschaft der Westbank als Ganzes stark kontrolliert (Strassensperren und Hauskontrollen). Der Staat kümmert sich aber wenig darum, was innerhalb der arabischen Gesellschaft passiert. Die lokale Sicherheit, auch die der arabischen Frauen, wurde kaum beachtet.

Laut GFKT hatten kriminelle Banden dort nachweisbar Kontakte mit dem Shabak (dem Israeli Inlandsgeheimdienst), Waffen des Militärs gelangten zu diesen Banden, Gewehre und mehrere 1000 Kugeln seien laut diesen Nachforschungen dem Militär abhandengekommen. In der Westbank würden auch illegal Waffen produziert, die dann durch die Militärkontrolle geschmuggelt im Kernland landen. 

Diverse feministische Aktionsgruppen lieferten Daten über den Waffenhandel, tauschten sich aus, u.a. “women against weapons» und die GFKT. Solange die Banden nur innerhalb der arabischen Gesellschaft ihr Unwesen trieben, geschah nichts. Bis 2010 forderten nur ein paar Araber*innen Kontrollen. Ab 2017 wurde aber ein steiler Anstieg von Morden auch in der jüdisch-israeli Gesellschaft festgestellt.

Seither wird dieser Waffenhandel, – schmuggel, Diebstahl etwas mehr beachtet. 

Die Frauen der GFKT wollen den öffentlichen Diskurs über diesen Waffenhandel in Gang bringen, sammelten dazu laufend Fakten und Daten. Letztes Jahr gingen sie damit vor Gericht, nachdem ein Minister nach einem Terrorakt einen Aufruf zur Bewaffnung der jüdischen Bevölkerung erliess. Die GFKT verlangte, dass darüber im Parlament entschieden werden müsse, dass das nicht in der Hand eines einzelnen Ministers bleiben dürfe. Es geht der GFKT darum, klarzustellen, dass mehr Waffen im Umlauf das Land nicht sicherer machen.

Was sie mit ihren Publikationen bereits erreichten, war die Einsicht, dass viele illegale Waffen auch in jüdisch-israeli Händen waren. 

Gun Free Kitchen Table arbeitet aber  auch für einen radikalen Kurswechsel der Armee in den besetzten Gebieten. Sie betonen, dass es für viele Israelis schon normal sei, dass das Militär dort einfach in private (arabische) Häuser eindringt. 

Ihr Engagement geht also weit über den Küchentisch hinaus. 

GFKT und GSoA

Der Ansatz der Gun Free Kitchen Table ist feministisch: Die kausalen Zusammenhänge zwischen Militär, patriarchalen Strukturen, der Diskriminierung und der Gewalt im zivilen Raum werden betont. 

Gemeinsam ist das Engagement gegen die Militarisierung der Gesellschaft, die auch bei uns im Trend ist: Frauen sollen ins Militär, der Zivildienst und der Zivilschutz sollen zusammengelegt werden, der Umgang mit der F-35 Initiative lässt keine Zweifel daran offen.

Eine weitere Gemeinsamkeit: Die GFKT zeigten auch auf, dass die Schusswaffen im zivilen Raum zu mehr (häuslicher) Gewalt führen.

Im Artikel: Familiendramen – ein schweizerischer «Sonderfall»: (Crimiscope Nr. 13, Dez 2006) steht, dass «die Schweiz – relativ, aber auch absolut – eine im internationalen Vergleich sehr hohe Rate an Morden im Familienkreis aufweist”. 

Und dazu ein pikantes Detail: Schweizer verwenden Schusswaffen bei allen Fallkonstellationen häufiger als Ausländer.

Trotzdem wurde die Volksinitiative «Für den Schutz vor 

Waffengewalt» am 13. Februar 2011 abgelehnt. Dank der EU haben wir jetzt eine moderate Verschärfung. Da sind wir weiterhin gefragt.

Was wir von der GFKT übernehmen könnten, ist die vertiefte Analyse der gewaltfördernden Logik der militärischen Sozialisierung, also die Frage, welche Auswirkungen die Erziehung zu Gewaltanwendung im Militär bei uns im zivilen Raum hat – im Bereich Gewalt und auch der psychischen Störungen.

Auf der Website der GFKT sind Studien und Daten aufgeführt, was sowohl der Vertiefung dient wie auch belegt, weshalb die Aktionen der GFKT sinnvoll sind. Das gibt der Organisation mehr Gewicht. Auch das könnte für uns sinnvoll sein.

Das Engagement gegen alle Formen der Unterdrückung ist der Kern der Gewaltprävention. Minderheiten, die sich in patriarchalen Strukturen als Projektionsfläche eignen (mal Moslems, mal Homosexuelle, LGTB, Migrant*innen, mal Juden, mal aufreizende Frauen) sind bis zu einem gewissen Grad austauschbar. Gewaltfreie Emanzipation ist das Kernanliegen der Gewaltprävention.

In diesem Kontext entstand die Bewegung «kitchen table» in den 80er Jahren in den USA.

Die «women of color» etablierten eine Pressestelle als Sprachrohr für ihre Anliegen und bauten diese später als Netzwerk für Frauen aus. In der Folge etablierten sich im englischsprachigen Raum «kitchen tables» auch mit anderen Themen. Gemeinsam ist, dass Erfahrungen aus dem Alltag diskutiert und öffentlich gemacht werden. Die GFKT ist Teil dieser emanzipatorischen Bewegung.

Die GSoA will das Militär und damit patriarchale militärische Strukturen abbauen und abschaffen und zeigen, dass das möglich ist. Ziemlich unbescheiden, für eine gewaltfreiere Zukunft.

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