Schweizer Ehrlichkeit – eine Frage der Interpretation

Anhänger der gewalttätigen Konfliktlösung schmeissen 2015 eine Party: Das 500-Jahr-Jubiläum der Schlacht bei Marignano – eines Blutbads, das in der ohnehin nicht unblutigen Geschichte der alten Eidgenossenschaft seinesgleichen sucht. Die eidgenössischen Truppen, allenthalben wegen ihrer Bestialität gefürchtet und mit nichts bewaffnet als ehrlichen Hellebarden, wurden vom französischen Militär feige und unwürdig mit Feuerwaffen niedergemetzelt. Nun kann man sich fragen, was es an einer solchen historischen Niederlage zu feiern gibt. Da gibt es zum Beispiel die Interpretation der Stahlhelmfraktion, die meint, Marignano sei die Wurzel der Schweizer Neutralität. Die Schlacht habe die schweizerischen Grossmachtspläne zerschlagen und eine Besinnung auf die Eigenständigkeit bewirkt. Dass das schweizerische Söldnerwesen erst über 300 Jahre später zum Erliegen kam, hält sie für nicht der Rede wert.

Charmant ist auch die Auslegung von Armeechef Blattmann. Für ihn ist Marignano eine Warnung unbeschränkter Gültigkeit, das Wehrwesen ständig weiterzuentwickeln. Es sei nötig, zurückzuschauen, um daraus «ehrliche Lösungen» für die Zukunft aufzuzeigen. Was er damit wohl meint? Vielleicht die Ausmusterung der Tiger-F-5-Jets und die Beschaffung neuer Flugzeuge um jeden Preis – ungeachtet des Volks-Neins zum Gripen-Kauf im vergangenen Mai? Seit der Jahrtausendwende bemüht sich das VBS ehrlich, den Tiger zum Schrotthaufen zu reden, der mit keinem Geld der Welt zu retten ist. Dumm nur, dass Brasilien gerade das Gegenteil bewiesen hat, indem es 45 Tiger für 285 Millionen Dollar auf den Stand brachte, den es offenbar für der sicherheitspolitischen Weltlage angemessen hält. Auch kaufte die US-Navy kürzlich 44 der Schweizer F-5-Maschinen mit Handkuss zurück. Wenn die weltweite Stahlhelmfraktion 2023 das 60-jährige Tigerjubiläum feiert, dann wohl ohne Beteiligung der Schweiz – aber vielleicht mit einer ehrlichen Flugshow der ausgemusterten Patrouille Suisse.