Skandalös

Der Brunner-Bericht stösst in friedenspolitischen Organisationen und in der politischen Linken auf Ablehnung. Das ist auch gut so. Oder soll etwa Christoph Blocher den Durchmarsch der Ogi-Boys in die Nato verhindern?

Die vom Militär- und Sportdepartement (VBS) propagierte ‹Armee-Reform› geht in eine falsche Richtung. Friedenspolitisch engagierte Organisationen lehnen die geplante ‹Modernisierung› des helvetischen Militarismus mit überzeugenden Argumenten ab. Wir fassen als zwei Beispiele die Stellungnahmen der cfd-Frauenstelle und der SP Schweiz zusammen.

cfd: Skandalös

Die Frauenstelle für Friedensarbeit des Christlichen Friedensdienstes (cfd) hat zum Brunner-Bericht pointiert Stellung genommen. In zentralen Punkten deckt sich diese – vom Schweizerischen Friedensrat unterstützte – Kritik mit derjenigen der GSoA (vgl. S. 5). Die Kommission, so heisst es im cfd-Beitrag, verstehe ‹Sicherheit› als primär militärisches Problem, was sich zuerst an ihrer falschen Prioritätensetzung im Ressourcen-Einsatz zeige: «Statt an Kostenreduktion scheint die Kommission mehr an eine Ausgabenverlagerung hin zu höherer Professionalisierung und Spitzentechnologie gedacht zu haben.» Angesichts armuts- und gewaltbedingter Migration von Millionen von Menschen und einer sich zunehmend öffnenden Wohlstandsschere hierzulande sei diese «Empfehlung einer neuen Aufrüstungsspirale» skandalös.

Im Bereich der internationalen Zusammenarbeit diagnostiziert der cfd bei der Brunner-Kommission ebenfalls «eine militärische Einschränkung der politischen Phantasie». Es sei unverständlich, «warum über Zusammenarbeit mit der Nato nachgedacht wird, ein Uno-Beitritt aber nicht einmal als Fernperspektive erwähnt wird». Dass die Kommission die Aufstellung eines international wirkenden «Solidaritätskorps» ausdrücklich im Rahmen der Armee fordert, sei in diesem Zusammenhang besonders störend. Die cfd-Frauenstelle unterstützt nämlich die Idee, dass «die Schweiz Kontingente … für Rettungs- und Friedenseinsätze und Aktionen zur Unterstützung ziviler Behörden» aufstellt, bezweifelt aber, «dass militärische Strukturen, welche auf männlichen Hierarchien und auf dem Prinzip von Befehl und Gehorsam basieren», friedens- und demokratiefördernd wirken können.

Der Leiter des Instituts für Konfliktlösung der Schweizerischen Friedensstiftung, Günter Bächler, hat die Ursachen dieser politischen Phantasielosigkeit (in der NZZ vom 20. April 1998) fogendermassen erklärt: Die Kommission habe in «Operationen anstatt in politischen Kategorien gedacht» und die Aufgaben der Armee dementsprechend gar nicht grundlegend hinterfragen können. Dass beispielsweise ein Solidaritätskorps «nur im Rahmen einer mit der Aussen- und Entwicklungspolitik … abgestimmten Strategie der mittel- und langfristig konstruktiven Konfliktbearbeitung überhaupt Sinn» machen könnte, habe sie sich daher nicht überlegt.

Halbierte Sicherheitsdiskussion

Besonders scharf wendet sich die cfd-Stellungnahme gegen den Armeeeinsatz im Innern und gegen den geplanten «Sicherheitsrat»: «Militärische Einsätze bei inneren Unruhen sind eine Bankrotterklärung des Staates, der damit kundtut, die Zustimmung der Bevölkerung weitgehend verloren zu haben.» Der mit einer unangemessenen Machtfülle ausgestattete Sicherheitsrat sei nicht zuletzt daher abzulehnen, weil Institutionen des Krisenmanagements dazu neigen, «diese Krisen und Bedrohungen via eigener Existenzberechtigung» auszurufen wenn nicht gar zu erzeugen. Gleiches gelte auch für den geplanten Einsatz der Armee an der Grenze: «Ausserordentliche Situationen sind, wenn trainiertes Personal für sie zur Verfügung steht, schnell herbeigeredet». Eine militärische «ultima ratio» gegen Flüchtlinge an der Grenze ist für den cfd «indiskutabel». Es sei daher «bitter», dass gerade im Zusammenhang mit der Flüchtlingspolitik die Kommission ihre Zuständigkeit aufs militärische Nachdenken beschränke.

Ganz grundsätzlich vermissen die cfd-Frauen im Brunner-Bericht jeglichen Hinweis auf die «umfassend praktizierte Alltagsgewalt gegen Frauen in der Schweiz». Ein Begriff von Sicherheit, der ausschliesslich den öffentlichen Raum im Blick habe, reduziere die Sicherheitsbedürfnisse auf ihre männliche Wahrnehmung, denn: «Neun von zehn Gewalttaten gegen Männer in der Schweiz werden in der Öffentlichkeit verübt, neun von zehn Gewalttaten gegen Frauen im Privaten.»

Kritische SP

Gespannt sein durfte man auf die Position der SP. Immerhin haben mit Andreas Gross und Thomas Onken zwei profilierte Genossen den Brunner-Bericht mitunterzeichnet, und fast-Bundesrat Werner Marti forderte im Parteiblatt «SP-Info» (vom 27. Februar) umgehend «eine rasche Umsetzung der wichtigsten Zielsetzungen» des Dokumentes.

In der offiziellen SP-Stellungnahme (vom 29. Juni) überwiegen dagegen die kritischen Töne: Dem Bericht fehle ein konkretes Abrüstungsprogramm; er sei Nato-lastig und setze zu sehr auf repressive Gefahrenabwehr statt auf die Früherkennung und Prävention von Konflikten sowie auf die Bekämpfung von deren Ursachen. Damit setze er die überholte «Dissuasionspolitik» fort. Die konkreten Vorschläge der Brunner-Komission finden erst Recht keine Gnade. So lehnt die SP ein «Schweizer Solidaritätskorps in der im Bericht Brunner vorgeschlagenen Form» als «Militarisierung ziviler Aufgaben im Ausland» ab. Auch innenpolitisch sieht sie im Bericht Brunner eine «inhärente Tendenz zur Militarisierung bisher ziviler Bereiche unserer Gesellschaft».

Kurz: Für die SP «reiht sich der Bericht Brunner – zu unserem Bedauern – ein in die vielfältigen Versuche der vergangenen Jahre, der Schweizer Armee angesichts des Bedeutungsschwundes der Landesverteidigung neue Aufgaben zuzuschanzen, um damit ihrer schwindenden Legitimation entgegenzutreten». Das sind klare Worte. Im Hinblick auf kommende sicherheitspolitische Auseinandersetzungen bleibt nur zu hoffen, dass sich das sozialdemokratische «Bedauern» auf die Tatsache bezieht, dass für eine zusehends überflüssiger werdende Institution immer mehr Rechtfertigungsaufwand betrieben wird – und nicht etwa darauf, dass dabei nichts Gescheites herauskommt.

 

 

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