Sehr geehrte Damen und Herren
Nachfolgend die Stellungnahme der GSoA zu den 19 von der Studienkommission für strategische Fragen abgegebenen konkreten Empfehlungen.
Zu Empfehlung 1 – Unterstützung.
Die GSoA unterstützt die Forderung nach einem aktiveren internationalen Engagement der Schweiz. Wie die Studienkommission für strategische Fragen sind wir der Meinung, dass eine intensivere internationale Kooperation die Sicherheit unseres Landes stärkt. Handlungsbedarf sieht die GSoA vor allem im Bereich der zivilen und zivilgesellschaftlichen Zusammenarbeit.
Zu Empfehlung 2 – Unterstützung der Grundforderung; Ablehnung der militaristischen Schwerpunktsetzung.
Die GSoA begrüsst die Forderung der Studienkommission für strategische Fragen, «die bilaterale und multilaterale Zusammenarbeit soweit wie möglich zu intensivieren und auszuweiten». Wir teilen allerdings aus zwei Gründen nicht die Einschätzung, diese habe «vor allem auf den Gebieten der sicherheitspolitischen und militärischen Ausbildung und Technologie» zu geschehen: Erstens sind zivile Formen der Zusammenarbeit für die Vorbeugung, Deeskalation und langfristige Überwindung gewaltförmiger Konflikte von ungleich grösserer Bedeutung. Zweitens ist die gegenwärtig praktizierte Form militärischer Zusammenarbeit gefährlich, weil sie entweder dem Blockdenken des Kalten Krieges folgt oder aber die Bildung neuer machtpolitischer Konfliktlinien begünstigt.
Zu Empfehlung 3 – Differenzierte Unterstützung des Postulats (a); Ablehnung von Postulat (b).
(a) Ähnlich wie die Studienkommission konstatiert auch die GSoA mit Genugtuung die Herausbildung eines «Sicherheitsraumes» in Europa. Die wachsende wirtschaftliche, politische, institutionelle und gesellschaftliche Verflechtung der europäischen Staaten – insbesondere im Westen des Kontinents – macht einen künftigen Krieg zwischen diesen Staaten unwahrscheinlich, ja undenkbar. Dieser Prozess macht eine massive und letzlich totale Abrüstung dieser Staaten realpolitisch möglich – vorausgesetzt der «EU-Sicherheitsraum» definiert sich nicht als «Festung Europa» in Abgrenzung zu, sondern durch die sicherheitspolitische Kooperation mit den umliegenden Staaten und der internationalen Gemeinschaft. An der «Konsolidierung» einer solchen, gegen aussen offenen gesellschaftlichen Vernetzung Europas hat die Schweiz fürwahr grosses «Interesse».
(b)Wieso «gleichzeitig auch das interne Sicherheitsdispositiv zu verstärken» sei, ist in diesem Zusammenhang schleierhaft. Die GSoA lehnt diese schwammige, unbegründete Forderung ab.
Zu Empfehlung 4 – Konsequente Unterstützung des Postulats (a); Ablehnung von Postulat (b).
(a) Wie die Studienkommission empfiehlt auch die GSoA eine «Umorientierung und Anpassung unserer Armee und ihrer Rüstung entsprechend den neuen Prioritäten». Da diese Prioritäten bei der grenzüberschreitenden zivilen Kooperation liegen, lauten die von der Studienkommission leider nicht formulierten Konsequenzen: Umlagerung der Ressourcen auf zivile Sicherheitsanstrengungen, vollständige Abrüstung und Abschaffung der Armee.
(b) Es ist nicht einsichtig, warum die Studienkommission trotz gegensätzlicher Lageanalyse am schablonenhaften Verteidigungsdenken festhalten will. Die GSoA hält demgegenüber fest: Die Schweiz ist militärisch nicht bedroht. Statt an der militärischen Abwehr imaginärer Bedrohungen festzuhalten, sollte sie daran arbeiten, dass dies so bleibt. Die Beibehaltung von militärischen «Kernkompetenzen» ist dafür bestenfalls irrelevant und daher aufzugeben. Der Landesverteidgungsgedanke hat endgültig ausgedient. Es wird Zeit, daraus die nötigen Konsequenzen zu ziehen.
Zu Empfehlung 5 – Ablehnung.
Einen atomaren Raketenkrieg in Europa könnte die Schweiz – daran hat sich in den letzten zehn Jahren nichts geändert – auch mit einer hochgerüsteten Armee kaum überleben. Die von der Studienkommission beschworene Gefahr von «Angriffen mit Mittel- und Langstreckenrakteten» bezieht sich daher ausschliesslich auf befürchtete «Terrorattacken». Zur Zeit verfügt kein als potentiell bedrohlich bezeichnetes Regime über Raketen, die die Schweiz erreichen könnten. Die Schweiz sollte daher ihre Anstrengungen darauf konzentrieren, die Verbreitung entsprechender Technologien unterbinden zu helfen.
Davon abgesehen, dass solche Terrorangriffe viel einfacher und billiger mit konventionellen Mitteln durchzuführen wären, unterlässt es die Studienkommission, sich über deren politische Plausibilität Gedanken zu machen. Wozu sollte die Schweiz denn eigentlich erpresst werden? Was wären die politischen Kosten für einen allfälligen Erpresser? Würde nicht gerade die Abrüstung der Schweiz diese politischen Kosten in die Höhe treiben? – Dass solche Fragen von der Studienkommission nicht einmal gestellt wurden, weist darauf hin, dass die ‹Terror-Rakete› eher ins Reich der Hollywood-Phantasien als zu einer verantwortungsvollen Aussenpolitik gehört.
Zu Empfehlung 6 – Ablehnung.
Die von der Studienkommission vage in Aussicht gestellten «Störungen im Informatikbereich» mögen in Zukunft eintreffen oder nicht – keinesfalls wäre es sinnvoll, die Ausarbeitung von Präventionsmassnahmen der Armee zu überlassen. Es gibt keinen rationalen Grund, diese Aufgabe nicht zivilen Stellen zu übertragen – ausser man sucht eine Legitimation für die Armee um jeden Preis.
Statt eines «nationalen Alarmsystems» brauchen wir eine offene politische Debatte über Datensicherheit, Datenzugriffsrechte und Verschlüsselungsfragen. Militärische Geheimnistuerei ist hierbei Teil des Problems, nicht der Lösung.
Zu Empfehlung 7 – Unterstützung der Lagebeurteilung; Ablehnung der geforderten Massnahme.
Die GSoA unterstützt die Kommissionsempfehlungen «primär die Ursachen der Migration durch internationale Bemühungen im Berich der Entwicklungszusammenarbeit und humanitären Hilfe, der Katastrophenhilfe, der Förderung der Menschenrechte und mit Stabilisierungsmassnahmen anzugehen», sowie «die humanitäre Tradition aufrechtzuerhalten und eine konsequente und dem Völkerrecht entsprechende Ansylpolitik weiterzuführen». Zusätzlich fordert die GSoA auch in diesem Zusammenhang die Unterstützung der vielfältigen Ansätze gewaltfreier Konfliktbearbeitung, welche die politische Lösung gewaltträchtiger Auseinandersetzungen begünstigen könnten.
Eine verstärkte Repression der Migrationsbewegungen, wie sie die Kommission fordert, erachtet die GSoA demgegenüber als gefährliche, ja kontraproduktive Augenwischerei. Sollte aber tatsächlich ein punktueller Bedarf verstärkter «Grenzpolizeidienste» bestehen, muss dieser von den dafür vorgesehenen zivilen Stellen abgedeckt werden. Die GSoA lehnt den Einsatz der Armee zur Migrationsabwehr kategorisch ab. Es gibt – auch hier – keinen rationalen Grund, diese Aufgabe nicht zivilen Stellen zu übertragen – ausser man sucht eine Legitimation für die Armee um jeden Preis.
Zu Empfehlung 8 – Ablehnung.
Der Einsatz der Armee für polizeiliche Aufgaben ist nicht nur rechtsstaatlich bedenklich; er ist zudem auch nach Einschätzung anerkannter Polizei-Experten völlig unnötig. In der Schweiz sind 14’000 voll ausgebildete Polizeibeamte tätig; davon können 7500 für den Ordnungsdienst und 800 als Antiterrorspezialisten eingesetzt werden – doppelt so viel wie in Österreich und halb so viel wie in Deutschland. Die GSoA lehnt die Schaffung eines entsprechenden militärisches «Einsatzkorps» schärfstens ab. Für eine solche, eines demokratischen Rechtsstaates unwürdigen Institution besteht absolut kein Bedarf – ausser man sucht eine Legitimation für die Armee um jeden Preis.
Zu den Empfehlung 9 und 11 – Differenzierte Ablehnung.
Die Antwort auf diese Empfehlung gliedert sich in zwei Teile.
(a) Die GSoA unterstützt eine stärkere Beteiligung der Schweiz an internationalen Friedensbemühungen. Aus verschiedenen Gründen plädiert die GSoA dafür, dass sich die Schweiz dabei in absehbarer Zeit auf zivile Massnahmen konzentriert:
• Nur gewaltfreie Konfliktbearbeitung kann die gewalttätige Eskalation von Konflikten dauerhaft vermeiden, Konfliktkonstellationen aufweichen sowie den Wiederaufbau und die soziale Erholung gewaltgeschädigter Gesellschaften fördern. Weltweit besteht ein riesiger Bedarf für solidarische, gewaltfreie Konfliktintervention. Gerade eine Schweiz ohne Armee könnte hierzu einen wichtigen Beitrag leisten.
• Unbewaffnete Akteure können in Konflikten viel eher eine vermittelnde und deeskalierende Rolle spielen als bewaffnete Truppen. Dies trifft sogar für Militärpersonal zu – das belegen etwa die vielfältigen Erfahrungen schweizerischer Militärbeobachter in UN- bzw. OSZE-Missionen. Die zur Zeit laufende Armeeabschaffungs-Initiative der GSoA wäre mit der Ausdehnung dieses schon bestehenden Engagements kompatibel.
Dass die Studienkommission die «Würde» unseres Landes von der Bewaffnung schweizerischer Gelb- und Blaumützen abhängig macht (Bericht S. 19), muss vor diesem Hintergrund als ein erschreckend unreflektierter Rückfall in veraltete Krieger- und Heldenmythologie verurteilt werden.
• Bewaffnete Interventionen können gewalttätige Konflikte bestenfalls einfrieren und so Zeit für die Erarbeitung politischer Auswege verschaffen. Voraussetzungen dafür ist allerdings erstens, dass die Intervention nicht den Machtinteressen der intervernierenden Mächte folgt, sondern auf international anerkannten Rechtsprinzipien beruht. Zweitens müssen bewaffnete Interventionen, sollen sie nicht im Desaster enden (siehe Somalia), in ein politisches Konzept eingebettet sein, das konsequent auf die friedenswilligen Kräfte aller beteiligten Parteien setzt.
Diese Bedingungen sind gegenwärtig bei kaum einer bewaffneten Intervention erfüllt. Die Schweiz täte gut daran, die dafür unabdingbaren Instrumente der internationalen Gemeinschaft (Völkerrecht, Demokratisierung der UNO) zu stärken, statt dem machtpolitischen Interventionskalkül von Blockorganisationen (Nato) zu folgen. Dies ist um so leichter möglich, als heute ein eklatantes Überangebot an interventionswilligen Truppen besteht.
Die Beteiligung an Kriegen, aus welchen Beweggründen auch immer, ist eine äusserst ernsthafte Angelegenheit. Die Frustration über den blockierten Öffnungsprozess in der Schweizer Aussenpolitik darf hier nicht zu Kurzschlussentscheiden führen. Die Forderung der Studienkommission, ein bewaffnetes «Solidaritätskorps» zu schaffen, ist nach Ansicht der GSoA ein solcher, zu wenig durchdachter Reflex. Statt einer sachlichen Analyse der Vor- und Nachteile dieser Massnahme steht einmal mehr die Legitimation der Armee um jeden Preis im Vordergrund.
Die beiden aktuellen GSoA-Initiativen (GSoA-Initiative «Für eine Schweiz ohne Armee» und «Für einen freiwilligen Zivilen Friedensdienst») fordern demgegenüber die Abschaffung der Armee in ihrer heutigen Form, den Ausbau gewaltfreier Konfliktbearbeitung im Rahmen eines Zivilen Friedensdienstes (ZFD) und die Vertiefung der dringend notwendigen Debatte um Frieden, Solidarität, Menschenrechte und Konfliktintervention.
(b) Der von der Kommission geforderte Einsatz des Solidaritätskorps zu «Rettungseinsätzen» reiht sich ein in die vielfältigen Bemühungen der Armee, sich als Katastrophenhilfeorganisation zu profilieren. Katastrophenhilfe kann jedoch von speziell dafür konzipierten zivilen Organisationen viel effizienter gewährleistet werden. Zudem werden damit Arbeitsplätze geschaffen. Es gibt keinen rationalen Grund, diese Aufgabe nicht zivilen Stellen zu übertragen – ausser man sucht eine Legitimation für die Armee um jeden Preis.
Fazit: Die GSoA lehnt die Bewaffnung der Gelb- und Blaumützen sowie die Schaffung eines bewaffneten «Solidaritätskorps» zum jetzigen Zeitpunkt klar ab.
Zu Empfehlung 10 – differenzierte Unterstützung.
Die GSoA unterstützt die Forderung der Studienkommission, die Schweiz solle sich vermehrt um Massnahmen wie Minenräumung, Waffenvernichtung, Rüstungsinspektionen usw. kümmern. Tatsächlich bestehen hier weltweit grosse Defizite. Da hierfür vor allem ziviles Wissen und mutige politische Entscheide gefordert sind, ist allerdings nicht einzusehen, warum vorzugsweise «Militärpersonen» in den Genuss der notwendigen Ausbildungen kommen sollen.
Zu Empfehlung 12 – Ablehnung.
Anders als die Studienkommission begnügt sich die GSoA bezüglich der schweizerischen Neutralitätspolitik nicht mit den immergleichen Leerformeln («flexibel und pragmatisch anwenden»). Das schweizerische Neutralitätskonzept ist spätestens seit einem halben Jahrhundert überholt. Es sollte endlich fallengelassen werden – allerdings nicht, wie von der Studienkommission angedeutet, zugunsten einer stärkeren Blockbindung an die Nato, sondern im Interesse einer wirklich solidarischen Kooperationspolitik mit allen friedensorientierten Kräften.
Dazu werden in Zukunft neben den globalen und kontinentalen Körperschaften (UNO, OSZE) vor allem zivilgesellschaftliche Akteure (Nichtregierungsorganisationen) gehören, die über nationale Grenzen hinweg ein Zusammenwachsen der Gesellschaften ermöglichen können. Zu diesem sicherheitsrelevanten Zukunftsthema hat sich die Studienkommission nicht einmal ansatzweise Überlegungen gemacht. Das ist eine der grössten Schwächen des Brunner-Berichs.
Zu Empfehlung 13 – Ablehnung.
So lange die Armee noch besteht, sollte zumindest die Wehrpflicht aufgehoben werden.
Zu Empfehlung 14 – Ablehnung.
Die GSoA lehnt sowohl die Miliz- als auch eine Berufsarmee ab. Eine Mischung dieser Konzepte kumuliert die Nachteile eines jeden Systems.
Zu Empfehlung 15 – Unterstützung.
Zu Empfehlung 16 und 17 – differenzierte Unterstützung.
Die GSoA unterstützt jede Reduktion des Zivilschutzes. Der Zivilschutz als Element der Gesamtverteidigung hat in doppeltem Sinne ausgedient. Erstens: Die verheerenden Folgen eines grossen Krieges in Europa könnten auch vom Zivilschutz nicht abgefangen werden. Zweitens: Ein solcher Krieg ist nach menschlichem Ermessen praktisch auszuschliessen.
Mit der Abschaffung der Armee würde auch die Wehrpflicht und damit die Arbeitsgrundlage des Zivildienstes hinfällig. Insofern der Zivilschutz bisher tatsächlich nützliche Funktionen im Katastrophenhilfebereich übernommen hat, sind diese geeigneten, allenfalls noch zu schaffenden zivilen Organen zu übertragen.
Zu Empfehlung 18 – Ablehnung.
Die GSoA lehnt eine «Erweiterung der Aufgaben und Strukturen der Nachrichtendienste» ab. Der militärische Nachrichtendienst ist aufzugeben. Nur vorbehaltlose Transparenz in militärischen Angelegenheiten trägt zu einer weiteren Entspannung in Europa bei.
Zu Empfehlung 19 – Ablehnung.
Die GSoA lehnt die Schaffung eines «verwaltungsunabhängigen Sicherheitsrates» ab. Sicherheit ist nicht in erster Linie eine Frage des administrativen «Krisenmanagements», sondern das Resultat einer gesellschaftlich abgestüzten Konfliktkultur. Statt mehr Sicherheits-Technokratie braucht die Schweiz eine möglichst breite Debatte über die Definition von «Sicherheit» und über die politischen Prioritätensetzungen, mit denen mehr Sicherheit erreicht werden soll.