Die Schweiz leistete sich eine Geheimarmee und steckte gleichzeitig über 10’000 Dienstverweigerer ins Gefängnis.
Die Geheimarmee P-26 entstand 1981 als Nach folgerin des «Spezialdienstes» in der «Untergruppe Nachrichtendienst und Abwehr» (UNA). Dessen Chef war Oberst Albert Bachmann gewesen, ein ehemaliger Stalinist. Dieser hatte das Zivilverteidigungsbuch (ZVB) verfasst, das der Bundesrat 1969 in einer Auflage von 2,6 Millionen in alle Haushaltungen verteilen liess. Das Machwerk, das auf alle Andersdenkenden zielte, wurde vom Tessiner CVP-Organ «Giornale del Popolo» als «typisch faschistische Konstruktion» bezeichnet. Damit meinte es die Tatsache, dass DissidentInnen, insbesondere ArmeekritikerInnen, als LandesverräterInnen dargestellt wurden. Wer die P-26 korrekt einschätzen will, muss vom ZVB ausgehen. Auch weil der Autor des Zivilverteidigungsbuches und der geistige Vater der Geheimarmee dieselbe Person sind, die mit ihrer totalitären Denkart nie gebrochen hat.
Fehlende Kontrolle, fehlender Respekt
Die Existenz einer Geheimarmee wurde im Februar 1990 aufgedeckt – als Folge der Fichenaffäre. Die darauf eingesetzte Parlamentarische Untersuchungskommission für das Militärdepartement (heute das VBS, PUK EMD) unter Leitung des Appenzeller CVP-Ständerats Carlo Schmid kritisierte insbesondere die fehlende demokratische Kontrolle: «Eine geheime, mit Waffen und Sprengstoffen ausgerüstete Organisation stellt (…) an sich eine potentielle Gefahr für die verfassungsmässige Ordnung dar, wenn sie von den verfassungsmässigen politischen Behörden nicht auch faktisch beherrscht wird.» (PUK-Bericht, S. 199) Wie respektlos die Führung von Armee und P-26 gegenüber dem Bundesrat, dem Parlament und der Öffentlichkeit waren, zeigten sie ein paar Tage vor der Nationalratsdebatte über den PUK-Bericht im Dezember 1990. Die vier Chefs des vorherigen und des aktuellen Generalstabs, der ehemaligen UNA und der P-26 traten an einer Pressekonferenz (PK) auf, in der der PUK-Bericht als «inquisitorisch» verurteilt wurde. Damit verletzten die Generäle das demokratische Primat der Politik. Ein paar
Tage später kam zusätzlich aus, dass der PKOr ganisator Hans-Rudolf Strasser, doppelter Informationschef des VBS und des Generalstabs, mit dem Decknamen «Franz» dem Führungsstab der P-26 angehörte. Alle PK-Teilnehmer hatten die Medien, die Öffentlichkeit, das Parlament und den Bundesrat belogen. Der richtiggehend vorgeführte EMD-Chef Kaspar Villiger entliess den Geheimarmisten umgehend.
«Umsturz durch Unterwanderung»
Am meisten Aufsehen erregte das vierte Geheimszenario der P-26, das unter dem Titel «Umsturz» auf denselben inneren Feind zielte wie das ZVB. Die PUK EMD schrieb darüber: «Mit dem ‹Umsturz durch Unterwanderung› wird eine Einsatzmöglichkeit definiert, die unter demokratischen Gesichtspunkten nicht annehmbar ist. Dieses Szenario schliesst nicht aus, dass die Organisation auch bei einem in demokratischen Formen zustande gekommenen Machtwechsel eingesetzt werden könnte.» Laut PUK und Bundesrat könne es aber in einer Demokratie «nicht Aufgabe der Führung einer Widerstandsorganisation sein, zu beurteilen, ob ein politischer Machtwechsel auf Unterwanderung beruht (…) oder das Ergebnis einer freien (…) Meinungsbildung der Mehrheit darstellt.» (PUK-Bericht, S. 192) Der Bericht der PUK-EMD enthüllte auch, dass der Hauptpartner der P-26, der britische Geheimdienst MI6, über die schweizerische Geheimarmee mehr wusste als der Bundesrat. Nicht zuletzt, weil Anfang 90er-Jahre auskam, dass Stay-Behind-Organisationen der Nato – so zum Beispiel die italienische Gladio – an Terroranschlägen beteiligt gewesen waren, gab der Bundesrat eine weitere Untersuchung in Auftrag. Allerdings wurde dieser sogenannte «Cornu-Bericht» über die Beziehung der P-26 zu anderen Geheimdiensten erst am 24. April 2018 und nur teilweise veröffentlicht. Er bestätigt, dass die Zusammenarbeit mit der MI6 und vor allem die Beteiligung am Übermittlungsnetz der Nato, die Einbettung in dieselbe bedeutete. Die P-26 war nicht nur demokratie-, sondern auch neutralitätswidrig.
Gefährliche Zellen
Die privaten, medialen, militärischen und univer sitären P-26-Rehabilitierer bringen zwei Kritik punkte aufs Tapet, die ein Körnchen Wahrheit enthalten. Allerdings machen diese alles nur schlimmer. Eine Beschwichtigung lautet, die P-26 sei gar keine «operative Einheit» gewesen, die so leicht hätte putschen können. Die zellenartige Struktur machte sie aber nur noch gefährlicher. In seiner im Mai 1988 veröffentlichten Botschaft gegen die GSoA-Initiative zur Abschaffung der Armee schrieb der Bundesrat: «Die Schweiz hat keine Armee, sie ist eine Armee.» Es ist nicht unwahrscheinlich, dass bei einem Ja im November 1989 nicht mindestens ein Teil der 80 bewaffneten Kleingruppen gegen die «Abschaffung und die AbschafferInnen der Schweiz» in Aktion getreten wären.
Weiter hat die Kritik etwas für sich, die PUK habe den historischen Zusammenhang der P-26 zu wenig berücksichtigt. Rechtlich war die Geheimarmee ein Fremdkörper, aber geistig-politisch war sie es nicht. Sie war die Speerspitze jener intolerant-hysterischen Kalten-Kriegs-Schweiz, die allein zwischen 1970 und 1990 mehr als 10‘000 junge Kriegsdienstverweigerer ins Gefängnis gesteckt hat. Die P-26 war Ausdruck der wirkungsmächtigsten Verschwörungstheorie, welche die Schweiz je verblendet hat. Sie entledigt sich dieser Vergangenheit nicht, indem sie die (strafrechtlich nie belangten) P-26-Veteranen, sondern indem sie die Militär-Verweigerer rehabilitiert.