Waffenlieferungen an die Ukraine

Der Beginn des Putinschen Angriffkrieges gegen die Ukraine war für alle ein Schock. Einen Moment lang herrschte Betroffenheit und Solidarität, dann Wut, dass der Bundesrat so zögerlich Sanktionen ergriffen hatte. Bald wurde klar: Der grösste Hebel der Schweiz diesen Krieg zu deeskalieren, liegt dort, wo dreckige Geschäfte mit Öl, Gas und Uran abgewickelt werden. Auf dem Rohstoffhandelsplatz. In einem geschickten Ablenkungsmanöver wichen die Bürgerlichen diesen unbequemen Fragen jedoch aus Stattdessen wurde die Forderung nach Waffenlieferungen laut und die Friedensbewegung als „gespalten“ bezeichnet. Dies, obwohl die rechtliche Situation in der Schweiz von Anfang an klar war und Waffenexporte an kriegsführende Parteien als gesetzeswidrig gelten. Mit den folgenden Meinungsartikeln wollen wir versuchen, die unterschiedlichen Positionen zu dieser Frage innerhalb der GSoA und auch der breiteren Friedensbewegung darzustellen. Dabei ist für uns klar, dass wir uns als Friedensbewegung nicht von verängstigten Bürgerlichen spalten und ablenken lassen sollen, sondern die grossen Hebel, die die Schweiz besitzt, um zum Frieden in der Ukraine beizutragen, im Fokus behalten müssen: nämlich den Handelsplatz für russische Rohstoffe und den Finanzplatz als sicheren Hafen für Oligarchengelder.

Meinung – Mit Putin keinen Frieden

In den letzten Monaten hat sich die Lage in der Ukraine nochmals zugespitzt. Putins Armee verübt in der Ukraine schreckliche Gräueltaten. Als Linke und als GSoA müssen wir uns mit dem Widerstand gegen Putins Krieg solidarisieren.

JONAS KAMPUS

Der Ukrainekrieg dauert nun seit dreiviertel Jahren an. Tausende Menschen liessen auf dem Schlachtfeld, im Supermarkt oder in ihrem Bett ihr Leben. Hier in Westeuropa ist eingetroffen, was wir uns geschworen haben, darf niemals geschehen: Der Ukrainekrieg gliederte sich irgendwo zwischen Waldbränden und Ertrinkenden im Mittelmeer in das Newshintergrundrauschen ein.

Mir wurde erst in diesen Wochen bewusst, welche Zäsur Putins Einfall in der Ukraine darstellt. Seit 1945 wurde kein Land von dieser Grösse auf seinem gesamten Territorium aus der Luft, vom Wasser und über Land angegriffen. Zu Beginn des Ukrainekriegs taten viele linke Gruppierungen diese Invasion noch als Stellvertreterkrieg zwischen zwei Blöcken, angeführt durch Russland bzw. die USA ab, doch die verhaltene Reaktion der NATO-Mitglieder offenbart, dass diese Analyse zu kurz greift. Sie lässt aussen vor, dass die Ukraine bis zum 24. Februar noch Jahrzehnte von einer Eingliederung in die EU oder die NATO entfernt gewesen wäre. Diese Analyse spricht den Menschen in der Ukraine auch jegliche Autonomie und Selbstbestimmtheit über ihr Leben und ihre Interessen ab. Die osteuropäischen Staaten stellten über die letzten Jahrhunderte und insbesondere im 20. Jahrhundert sowohl für Westeuropa wie auch für Russland einen geopolitischen Puffer dar, welcher abwechselnd von der einen oder anderen Seite beherrscht wurde.

Der Widerstand der ukrainischen Bevölkerung in den letzten Monaten gegen die grösste Atommacht der Welt ist beeindruckend. Dies sage ich als überzeugtes GSoA-Mitglied. Wer seinen Pazifismus vorhält, um nicht zwischen der Aggression Putins und der ukrainischen Gegenwehr unterscheiden zu müssen, ist nicht für Frieden, sondern ermöglicht die widerstandslose Ausbreitung des russischen Chauvinismus. Anarchistische Veteran*innen des Spanischen Bürgerkriegs meinten, sie haben Tolstoi gelesen und deshalb zur Waffe gegen Francos Faschisten gegriffen. Madrid wurde 1936 nicht mit Sitzblockaden verteidigt und die Normandie 1944 nicht dank offenen Briefen von den Nazis befreit. Als Linke und GSoA können wir uns keine Passivität im Ukrainekrieg leisten. Zahllose ukrainische, belarussische und russische Anarchist*innen, Kommunist*innen oder Gewerkschafter*innen kämpfen in der Ukraine, nicht für die neoliberale Regierung Selenskis, sondern für die Selbstbestimmtheit der ukrainischen Bevölkerung. Der Wandel Russlands von einem autoritären zu einem offen faschistischen Staat erstickte jegliche linken, demokratischen, feministischen oder ökologischen Bestrebungen. Eine Ukraine unter Putins Herrschaft kann auf keinen Fall im Interesse friedliebender Menschen sein. Diese würde vielmehr den verbündeten Parteien in ganz Europa von der russlandfreundlichen SVP bis zu den postfaschistischen Fratelli d’Italia zusätzlichen Aufschwung verleihen.

Ob Putins Herrschaftssystem der Faschismus in neuem Gewand ist, wird sich wohl erst dereinst aus der Retroperspektive klar begründen lassen. Hört man aber den Hasstiraden russischer Fernsehkommentatoren zu, muss vom Schlimmsten ausgegangen werden. Die offene Drohung Putins und seiner Gefolgsleute mit dem Einsatz von Atombomben, die dilettantische Besetzung des Sperrgebiets um Tschernobyl, sowie der Beschuss des grössten Atomkraftwerks Europas und deren Missbrauch als Militärbasis erwecken die nukleare Bedrohung wieder zum Leben. Das Szenario einer durch Russland verursachten nuklearen Katastrophe ist erschreckend real.

Die schrecklichen Berichte über die Gräueltaten russischer Soldaten in den besetzten Gebieten lassen keinen Zweifel daran, wie wichtig die riesigen Demonstrationen in Solidarität mit der ukrainischen Bevölkerung waren. Statt uns in eine fehlgeleitete Deutung des Pazifismus zu retten, gilt es für uns westeuropäische Linke unsere Genoss*innen in der Ukraine, aber auch in Russland und Belarus moralisch und materiell zu unterstützen. Mit Putin wird es keinen Frieden in der Ukraine und auf der Welt geben.

Meinung – Wofür kämpfen wir?

«Radikaler Pazifismus führt in eine Sackgasse» titelte die WOZ am 26. Mai mit einem Zitat von Anja Gada aus einem Interview, welches die internen Debatten der GSoA zum Pazifismus im Ukrainekrieg erstmal offen darlegte. Damit wurde klar, dass die radikal pazifistische Haltung nun auch innerhalb der Linken immer umstrittener wurde. Wieso man aber auch in einem Krieg radikal pazifistisch sein darf und inwiefern linke Grundsätze eine solche Haltung stützen, soll dieser Artikel aufzeigen.

VANESSA BIERI

Wieso ist man politisch aktiv? Bei mir, wie wohl bei vielen, war der Auslöser die Unzufriedenheit mit der aktuellen Situation. Ich sah so viel Ungerechtigkeit, die ich nicht stehen lassen konnte und fand so den Weg in die linke Politik. Eine Politik, die für Gerechtigkeit, für Frieden und vor allem für Perspektive steht, und dafür lohnt es sich zu kämpfen. Nach dem 24. Februar zerbrach für mich dieses Bild der linken Politik und ich musste mich wieder fragen : «Wofür kämpfe ich?»

WAS WOLLEN WIR?

Linke Politik will soziale Gerechtigkeit und damit eine Gesellschaft, die für jeden Menschen gleichermassen Platz bietet. Man spricht von Konsequenz – konsequent sozial, konsequent antikapitalistisch, konsequent klimafreundlich, konsequent für eine Perspektive mit konkreten Lösungsansätzen. Dass dies in der Umsetzung Zeit und unzählige Zwischenschritte braucht, liegt in der Natur des demokratischen Systems. Doch wir haben ein Ziel, welches wir verfolgen. Eine Perspektive, statt nur Symptombekämpfung. Der Mensch und sein Wohlbefinden stehen an oberster Stelle und die Konsequenz daraus ist für mich der Pazifismus. Denn wenn wir im Umkehrschluss das Menschenfeindliche bekämpfen wollen, dann müssen wir uns gegen Waffen und deren Verwendung einsetzten. Was aber, wenn wir schon mitten in einem Krieg sind? Eine Frage, welche die Friedensbewegung im Februar auftrennte: man war sich nur noch im Ziel, jedoch nicht mehr im Weg dazu einig. Denn der Krieg hatte begonnen, er fühlte sich sehr nah an und man griff auf bekannte Mittel zurück: Krieg verlangt Waffen. Verständlich, wenn man die Geschichte betrachtet. Aber akzeptieren wir die Vergangenheit auch genauso in Zukunft, oder gibt es nicht auch Alternativen?

PAZIFISMUS ALS ALTERNATIVE

Der Duden definiert Pazifismus wie folgt: «Eine weltanschauliche Strömung, die jeden Krieg als Mittel der Auseinandersetzung ablehnt und den Verzicht auf Rüstung und militärische Ausbildung fordert.» Eine Strömung welche unter anderem entstand, weil man erkannte, dass der «Sieger» eines Krieges nie die Bevölkerung ist. Die Haltung einer Politik für die Menschen sollte also klar sein. Doch die erste Reaktion darauf, unschuldigen, angegriffenen Menschen direkt zu helfen, ihre Heimat zu verteidigen und ihr Leben zu schützen, war auch auf Linker Seite eine Diskussion um Waffen. Dabei geht aber die verlangte Perspektive und die Konsequenz verloren und hier setzt die Frage an: «Wofür kämpfe ich?». Für kurzfristige Symptombekämpfung oder für eine grundlegende Veränderung mit Perspektive? Und das heisst nicht nur in Friedenszeiten.

Wir haben in der Schweiz die Möglichkeit, eine radikalpazifistische Haltung einnehmen zu können und damit den Weg für den pazifistischen Frieden zu ebnen. Denn es geht nicht darum «was wäre wenn?», es geht darum «was jetzt?». Wir müssen nicht die Frage stellen, was wäre, wenn die Schweiz im Krieg stehen würde oder was, wenn wir Waffen liefern könnten? Wir müssen uns fragen, wie wir die Schweiz dazu bringen, nach dem Krieg nicht weiterzumachen wie bisher, sondern ernsthafte Konfliktprävention zu betreiben. Unsere Aufgabe ist jetzt ein klares Statement gegen die Aufrüstung und den Gebrauch vonWaffen zu setzen. Denn ich bin überzeugt, dass es mit Waffen keinen Frieden geben kann und ich werde nicht akzeptieren, dass Waffen im Krieg die einzige Lösung sind. Viel mehr glaube ich an zivilen Widerstand, an humanitäre Hilfe und Flucht, denn Menschenleben werte ich höher als konstruierte Landesgrenzen und ein konstruiertes politisches System – das ist meine Konsequenz. Denn ein politisches System kann mit Menschen verändert werden und die Masse ist dabei unsere Stärke, doch das politische System erweckt keine Menschen vom Tod und die Geschichte vergisst die tausenden, die auf dem Schlachtfeld gestorben sind.

WOFÜR KÄMPFST DU?

Radikaler Pazifismus führt für mich daher nicht in eine Sackgasse, sondern ist die einzig konsequente Friedenspolitik, welche aus der Sackgasse hinausführt. Denn Menschen, die auf beiden Seiten in diesen Krieg gezwungen wurden, den sie nie wollten, werden vergessen gehen. Mit einer starken pazifistischen Position schaffen wir es aber vielleicht, dass es nächstes Mal anders wird und dafür kämpfe ich. Und du?

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