Die Schweiz feiert im ausgehenden zweiten Jahrtausend ihren 150-jährigen Geburtstag als Bundesstaat. In welche Richtung geht die Reise weiter? Welche Schweiz in welcher Welt wollen wir? Und vor allem: Wie bringen wir unsere Vorstellung einer zukünftigen Schweiz ein?
Die Welt und vor allem Europa haben sich in den letzten zehn Jahren stark verändert. Der Fall der Berliner Mauer, der Zerfall der Sowjetunion und von Jugoslawien, die Kriege in Kroatien, Bosnien-Herzegowina und Kosov@ sind einige Stationen dieses Umbruchs. Die westlichen Armeen haben ihre alte Ideologie – Sicherheit durch Abschrekkung gegen den Feind im Osten – über Bord geworfen. Sie versuchen sich als Antwort gegen alle möglichen und unmöglichen ‹Instabilitäten› neu zu positionieren nach dem Motto: Gibt es irgendwo auf der Welt ein Problem? Die Armeen garantieren Sicherheit in allen Lebenslagen!
Wie antworten wir auf diese militärische Neuorientierung?
Verändert hat sich in den letzten zehn Jahren auch die Friedensbewegung. Von einer Protestbewegung gegen atomaren Wahnsinn wurde sie zu einer Bewegung, die ihre Visionen einer gewaltfreien Konfliktbearbeitung mit konkreten Projekten verbindet. Das ist kein Zufall. Wenn wir Pazifismus ernst nehmen, meint er mehr als eine Ideologie vom guten Menschen, mehr als einen Traum von einer friedlichen Welt.
Pazifismus kommt von «pacem facere», Frieden machen. Das Wort «machen» zeigt, dass es um eine Anstrengung, um eine Arbeit geht. PazifistIn zu sein heisst nicht, auf den Frieden in der Welt zu warten oder einfach an das Gute im Menschen zu glauben. Verantwortungsvoller Pazifismus ist die politische Einsicht in die Unmöglichkeit, mit Krieg Frieden zu schaffen; eine Einsicht in die Notwendigkeit, für den Frieden Voraussetzungen zu erarbeiten. Krieg wird in unserer Welt ausserordentlich ernst genommen. Der Friede bisher leider nicht. Für den Krieg werden Milliarden ausgegeben, Armeen unterhalten, Menschen an Waffen ausgebildet. Für den Frieden gibt es weder Manöver noch Übungsplätze oder Departemente und Handbücher. Das muss sich ändern. Wer Frieden will, muss Frieden vorbereiten.
Gegen einfache Lösungen
Bleibt angesichts täglicher Gewalt und kriegerischer Greuel noch Spielraum für ziviles, gewaltfreies Handeln? Ist die Forderung nach gewaltfreier Konfliktbearbeitung mehr als ein Eingeständnis der Naivität und Unfähigkeit, mit Gewalt umzugehen? Wie arbeiten wir auf welche Sicherheit hin? Zugegeben, das sind keine einfachen Fragen.
Weil wir einen Beitrag zum Frieden erbringen wollen, ist uns diese Diskussion wichtig. Aus den Erfahrungen der GSoA in der Friedensarbeit im ehemaligen Jugoslawien – aber auch im Austausch mit friedenspolitischen Organisationen im In- und Ausland – entstand das Projekt für einen freiwilligen Zivilen Friedensdienst ZFD. Einen solchen fordern wir heute mit unserer Volksinitiative. Es geht uns darum, den Militarismus in den Köpfen und in der Politik zurückzudrängen und nach zivilen Alternativen zu suchen.
So verlockend einfach der Vorschlag ist, mit militärischen Gewaltmitteln die «Bösen» endlich zur Vernunft zu bringen – so gefährlich untauglich ist er auch. Anstatt uns militärisch für das Politikversagen zu rüsten, wollen wir Voraussetzungen schaffen, damit gesellschaftliche Konflikte mit gewaltfreien Mitteln bearbeitet werden können. Wir fordern also von der offiziellen Politik, dass sie ihre Verantwortung wahrnimmt, die Mittel bereitstellt und Möglichkeiten schafft, um Kriege zu verhindern. Deshalb verlangen wir in der Schweiz von heute die Abschaffung der Armee und fordern zivile Antworten auf zivile Gefahren. Diese Gewaltfreiheit ist keine Weltfremdheit, sondern die einzige verantwortungsbewusste Antwort für eine zukunftsfähige Schweiz.
Gemeinsame Diskussion mit Europa…
Die GSoA hat mit ihren beiden Initiativen konkrete Vorschläge für eine zivile Sicherheitspolitik gemacht. Die Diskussion über Möglichkeiten ziviler Konfliktbearbeitung führen wir aber nicht alleine. Am Europäischen Friedenskongresses in Osnabrück, an dem über 600 Friedensbewegte aus der ganzen Welt teilnahmen, wurde ein Memorandum «Für eine Friedenspolitik ohne Militär» verabschiedet. Als nächste Schritte werden darin vorgeschlagen: «die interventionistischen Zielsetzungen der Nato, WEU und EU aufzugeben; die Auflösung der Militärbündnisse einzuleiten (…); Initiativen zur Schaffung von bündnisfreien und entmilitarisierten Zonen zu unterstützen (…); die Militärausgaben der europäischen Staaten fortschreitend bis zur Abschaffung der Armeen zu vermindern und damit die friedenspolitischen Instrumente der Uno und der OSZE zu finanzieren und auszubauen (…); die zivile Konfliktbearbeitung und die Einrichtung von unabhängigen europäischen und weltweiten zivilen Friedensdiensten ideel und finanziell zu unterstützen».
… und in der Schweiz
Die offizielle Schweizer Sicherheitspolitik steht völlig im Schilf. Mit Dissuasion (gegen welchen Feind?) ist die Armee nicht mehr legitimierbar. Der Schweiz bleibt gar nichts anderes übrig, als sich in den nächsten Jahren sicherheitspolitisch grundlegend neu ausrichten. Derzeit jagt ein Strategiebericht den anderen. Die Kommission Brunner will die Schweiz militärisch an Europa anbinden. Blocher sieht in seinem Gegenbericht die Armee nach wie vor als Garant für die bewaffnete Neutralität und Unabhängigkeit von – d.h. gegen – Europa. Beide vermeiden es, die entscheidende Frage nach dem Sinn der Armee zu stellen. Neben Nato-Integration und bewaffnetem Alleingang schlägt die GSoA mit ihren Initiativen einen dritten Weg – zivilen Internationalismus – vor.
Die friedenspolitisch engagierten Organisationen in der Schweiz haben verschiedene Prioritäten. Damit wir mehr Gemeinsamkeiten finden und entsprechende Positionen erarbeiten, braucht es gemeinsame Diskussionen – und die finden kaum statt. Die GSoA möchten am 1. August 1998 nach vorne zu blicken und über friedenspolitische Perspektiven diskutieren. Wir freuen uns auf spannende Diskussionen – hoffentlich auch mit Ihnen!