Wie ein belarussisches Hacker*innen-Kollektiv Kriegssabotage betreibt

Die aus Belarus stammende Gruppe Cyber Partisans entstand 2020 als Reaktion auf die korrupte Wiederwahl Alexander Lukashenkos. Mit dem Ziel, die gewaltvolle Repression des Polizeistaates zu stoppen und demokratische Grundrechte zu etablieren, haben die Hacker*innen in den vergangenen zwei Jahren etliche sensible Informationsdaten der Regierung geleakt.

Unter anderem konnte so aufgedeckt werden, dass die Mortalitätsrate des Corona-Virus nicht, wie von offizieller Stelle behauptet, bei 2’000 Personen, sondern 14-Mal so hoch bei 32’000 Menschen lag. In Zusammenarbeit mit der ByPol, einem ebenfalls belarussischen Kollektiv, welches aus einem Netzwerk emigrierter Regierungs- und Polizeimitarbeitenden besteht, greifen die Cyber Partisans gezielt Schwachstellen der Regierung an. Laut Yuliana Shemetovets, der Sprecherin der Gruppe, könne so aufgezeigt werden, dass der Überwachungsapparat nicht unfehlbar sei – ein wichtiges Signal an Aktivist*innen, die trotz der Repression öffentlich gegen das Regime protestieren.

Durch die Invasion Putins in die Ukraine gewann der Krieg um Informationen, Daten und dokumentierte Verbrechen eine noch grössere Bedeutung. Die enge politische Verbindung von Lukashenko mit dem Kreml sowie die über 1000 Kilometer lange Grenze zwischen Belarus und der Ukraine machenWeissrussland zu einem wichtigen logistischen Knotenpunkt für Putin. So wurde ein Teil der russischen Truppen im Vorfeld der Invasion auch in Belarus stationiert, um eine möglichst kurze Landroute nach Kiew zu ermöglichen. Die «Hacktivist*innen», wie sich die Cyber Partisans auch nennen, verurteilten die Truppenverschiebungen von Beginn an deutlich.

In einem Versuch, den russischen Angriff zu verlangsamen und gleichzeitig durch einen Cyber-Angriff eine physische Auswirkung auf die Truppenverschiebungen und Transporte schwerer Waffen zu bewirken, drangen die Aktivist*innen in das belarussische Zugnetz ein und sorgten so für Ausfälle und Verspätungen der Bahnverbindungen. Die russische Operation konnte nicht aufgehalten, aber wertvolle Zeit gewonnen werden. Ein ehemaliger Mitarbeiter des staatlichen Bahnunternehmens in Belarus machte klar, dass die Cyber-Attacken, kombiniert mit physischen Sabotagen an den Zugnetzwerken, den Transport militärischer Güter im März dieses Jahres für eine gesamte Woche unterbrechen konnten. Dies wiederum verschaffte der ukrainischen Armee Zeit, auf die Truppenverschiebungen zu reagieren.

Laut der Harvard-Professorin und Cyber-Spezialistin Gabriella Coleman sei die Mischform aus traditioneller Sabotage und Cyber-Attacken eine neue Form des Protests, die enormes Potential habe. Auffallend ist, dass die Partisans die belarussische Regierung nicht mit Geld erpressen wollen, sondern konkret die Auslieferung von gefangenen Oppositionellen und den Abzug russischer Truppen fordern.

Der digitale Widerstand aus der Zivilgesellschaft scheint also nicht nur symbolisch zu sein, sondern auch effektiv einen breiteren Protest gegen die Autokraten Putin und Lukashenko hervorzurufen. Die dabei geschmiedeten Allianzen haben ein gemeinsames Ziel: Ihre nationale Souveränität und Integrität zu bewahren, demokratische Strukturen aufzubauen und den russischen Angriffskrieg zu sabotieren. Aufgrund der Anonymität und verdeckten Vorgehensweise sind diese Gruppierungen jedoch auch mit Vorsicht zu betrachten. Sowohl militärische Geheimdienste wie auch nationalistische Bewegungen haben ihre Finger im Spiel, die Lage ist unübersichtlich, viele Entscheidungen schnell getroffen. Digitale Spuren werden kaum zu vermeiden sein, vor allem, wenn sich eher unerfahrene Aktivist*innen an Cyber-Attacken beteiligen. Ein Angriff, der vom russischen Geheimdienst als NATO-konnotierte Aktion klassifiziert werden könnte, hätte weitaus grössere Auswirkungen als ein auf den Kopf gestelltes Bahnsystem. Tatsache bleibt: Der Cyber-Krieg spielt sich im Verborgenen ab, auf offenem Feld jedoch sterben Menschen täglich. Doch: Ein kleiner Fehltritt der «Hacktivist*innen» – und die Auswirkungen wären fatal.

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