Ziviler Friedensdienst statt Wehrpflicht

(bm,sl) Die Diskussion um die Abschaffung der allgemeinen Wehrpflicht bietet eine Gelegenheit, unser Verständnis von Solidarität in einer Gesellschaft zu überdenken.

Wie der Soziologe Ueli Mäder unlängst erklärt hat (GSoA-Zitig November 2004) bietet die Diskussion um die Abschaffung der allgemeinen Wehrpflicht Gelegenheit, unser Verständnis von Solidarität in einer Gesellschaft zu überdenken. Die Frage liegt nahe, ob die Diskussion auch Chancen öffnen könnte, unser Verständnis von grenzüberschreitender Solidarität zu überdenken.
Von Barbara Müller und Stefan Luzi*

Am 2. Dezember 2001 lehnten die Schweizer Stimmberechtigten die Vorlage für die Schaffung eines freiwilligen zivilen Friedensdienstes (ZFD) mit deutlichem Mehr ab. Die IG ZFD, ein Zusammenschluss von Frieden- und Entwicklungsorganisationen sowie Einzelpersonen, wollte mit dieser Initiative eine gesellschaftliche Diskussion lancieren, die bislang in der Schweiz nicht geführt wurde, in andern europäischen Ländern jedoch bereits in die Tat umgesetzt war: Die Diskussion über die Wichtigkeit ziviler Friedensförderung, über die staatliche Anerkennung der zu einem grossen Teil von Frauen geleisteten Freiwilligenarbeit zur Konflikt- und Gewaltprävention, über die Notwendigkeit eines friedenspolitischen Umdenkens, weg von militärischen, hin zu partizipativen zivilen Formen von Konfliktbearbeitung – und über die damit verbundene Umverteilung von Ressourcen. Konkret schlug die Initiative, neben einem Grundkurs in ziviler Konfliktbearbeitung, der allen in der Schweiz wohnhaften Menschen offen stehen sollte, den Ausbau von Aktivitäten der zivilen Friedensförderung im In- und Ausland vor. Diese Aktivitäten sollten vom Bund finanziell unterstützt und von bereits bestehenden und kompetenten Organisationen und Hilfswerken durchgeführt werden. Die InitiantInnen orientierten sich dabei am Modell eines ZFD, wie er in Deutschland im Jahr 1999 vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung eingerichtet worden war. Die Initiative wollte insbesondere diejenigen Aktivitäten von Organisationen stärken, die sich für die Stärkung der Zivilgesellschaft in Krisengebieten einsetzen – durch die Begleitung gefährdeter Personen, die Unterstützung kritischer Medien, die Beobachtung und Bekanntmachung von Zwischenfällen oder etwa der Vermittlung zwischen Bevölkerungsgruppen.

Zivile Friedensförderung heute

Die Abstimmung über die Einführung eines ZFD ging verloren, die Diskussion hat sich weiter entwickelt und hat auch konkrete Veränderungen bewirkt. Ein wirkliches Umdenken oder -handeln hat jedoch bis heute nicht stattgefunden. Zwar hat der Bund mit der Schaffung eines «Expertenpools für zivile Friedensförderung» im Eidgenössischen Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA) einige Vorschläge der Initiative aufgenommen. Mit der Institutionalisierung des «Kompetenzzentrums Friedensförderung» (KOFF) wurde zudem versucht, den Dialog zwischen staatlichen und nichtstaatlichen AkteurInnen im Feld der zivilen Konfliktbearbeitung zu intensivieren. Das sind begrüssenswerte Schritte. Trotzdem haben sie a) nichts daran geändert haben, dass zivile Konfliktbearbeitung noch immer ein Mauerblümlein-Dasein fristet und b) dass sich die Aktivitäten (wie etwa diejenigen des «Expertenpools») vor allem auf Einsätze in supranationalen Organisationen (Uno, Osze) beschränken. Die Stärkung von Zivilgesellschaften in Krisengebieten ist weiterhin ein Ziel, für das der Bund kaum geeignete Instrumente geschaffen hat.

Ein Beispiel für zivilen Friedensdienst

Wir sind darum der Meinung, dass die Idee eines freiwilligen zivilen Friedensdienst heute noch ihre Gültigkeit hat wie vor 6 Jahren, als sie entstand – ja sogar, dass der momentan stattfindende «Krieg gegen Terrorismus» die Notwendigkeit von zivilen Anstrengungen zur Konfliktprävention und Konfliktlösung deutlich aufzeigt. Die Wichtigkeit ziviler Konfliktbearbeitung wird immer mehr Leuten in der Schweiz bewusst, insbesondere auch, da die «Guten Dienste» der Schweiz heute nicht mehr den Herausforderungen gerecht werden können. Kein Wunder, dass die Zahl derjenigen Menschen, die sich nach Einsatzmöglichkeiten im Ausland umsehen, in den letzten Jahren kontinuierlich gestiegen ist. Ein Beispiel zeigt, wie zivilgesellschaftliche Friedensförderung heute im Ausland aussehen könnte:

Ecumenical Accompaniment Programme in Palestine and Israel (EAPPI): Seit März 2003 arbeiten freiwillige MenschenrechtsbeobachterInnen aus der Schweiz im Rahmen des Ende 2001 vom Ökumenischen Rat der Kirchen (ÖRK) initiierten «ökumenischen Begleitprogramms Palästina/Israel» mit. Vor Ort arbeiten sie mit lokalen Kirchgemeinden und Nichtregierungsorganisationen zusammen. Durch ihre Anwesenheit, ihr Begleiten und Beobachten verhelfen sie der Zivilbevölkerung zu mehr Schutz vor Übergriffen und vor Menschenrechtsverletzungen. Die Teilnahme von Freiwilligen aus der Schweiz am EAPPI-Programm wird ermöglicht, indem sich verschiedene, seit Jahren im Konfliktgebiet engagierte Hilfswerke und Friedensorganisationen in einer Projekt-Trägerschaft organisiert haben. Mit der operationellen Durchführung ist eine auf dem Gebiet zivile Menschenrechtseinsätze spezialisierte Organisation beauftragt. Das EAPPI geniesst die ideelle und finanzielle Unterstützung des Bundes. Offizielle Schweizer VertreterInnen vor Ort haben die Wichtigkeit solcher Einsätze erkannt, sehen sie als eine perfekte Ergänzung zu ihrem eigenen Engagement und koordinieren sich je nach Situation mit den MenschenrechtsbegleiterInnen von EAPPI. (www.peacewatch.ch)

Solche Einsätze eines zivilen Friedensdienstes können – dies scheint offensichtlich – aber nicht im Rahmen einer «Pflicht» erfolgen. Erfolgreiche Friedensarbeit setzt Freiwilligkeit voraus. Die vielfach vorgetragene Idee zur Schaffung eines obligatorischen Gemeinschaftsdienstes als Nachfolgemodell zur Wehrpflicht hilft hier also nicht weiter. Im Gegensatz soll die Wehrpflichtdebatte genutzt werden, um einen engeren Kontakt zwischen den Einsätzen anbietenden Organisationen und dem Bund herzustellen und gemeinsam die Frage zu prüfen, wie die freiwilligen friedensfördernden Einsätze ausgebaut werden können.


*Barbara Müller ist Mitarbeiterin der cfd-Frauenstelle für Friedensarbeit, Stefan Luzi ist Sekretär der GSoA

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