Waffenexporte untergraben Genfer Konventionen

Der erste Artikel der Genfer Abkommen von 1949 verlangt von der Schweiz eine restriktive Handhabung der Kriegsmaterial-Exporte.

Der gemeinsame Artikel 1 der Genfer Konventionen ist vielleicht die meistverletzte Klausel des humanitären Völkerrechts. Er verpflichtet alle Vertragsstaaten, die Abkommen «unter allen Umständen einzuhalten und ihre Einhaltung durchzusetzen». Nähme die Schweiz diesen Artikel ernst, dürfte sie kein Kriegsmaterial an Akteure exportieren, welche das humanitäre Völkerrecht nicht einhalten. Die Frage, ob es sich bei diesen Akteuren um wichtige Handelspartner handelt, darf dabei keine Rolle spielen. Die Schweiz hat sich mit der Unterzeichnung der Genfer Konventionen verpflichtet, alle Massnahmen zu unterlassen, welche Verstösse gegen das humanitäre Völkerrecht fördern, und sie muss wenn immer möglich Massnahmen ergreifen, damit alle Konfliktparteien sich an die Regeln des humanitären Rechts halten.

Artikel 1 und Waffenexporte

Die Genfer Konventionen beinhalten keinen präzisen Massnahmenkatalog zur Umsetzung von Artikel 1. Der CIA hat beispielsweise 1983 in Nicaragua ein Guerilla-Handbuch verbreitet, welches zu Verletzungen des humanitären Rechts aufgerufen hat. Darin hat der Internationale Gerichtshof einen Verstoss von Artikel 1 durch die USA erkannt. Ein Staat darf also keine Unterstützung zu Verletzungen der Genfer Abkommen leisten. Für Barbara Frey, UNO-Sonderberichterstatterin für die Prävention von Menschenrechtsverletzungen durch Kleinwaffen, verbietet Artikel 1 auch, Kriegsmaterial an Akteure zu liefern, welche dieses für völkerrechtswidrige Handlungen verwenden werden oder wo ein ernstes Risiko dazu besteht. Ein Staat ist demzufolge in solchen Fällen nicht nur berechtigt, sondern verpflichtet, eine Exportlizenz zu verweigern.

Ungenügende Umsetzung ist keine Ausrede

Offensichtlich wird der besagte Artikel nur sehr mangelhaft umgesetzt. Auch wenn internationale Praxis zu Artikel 1 rar ist, bedeutet die lückenhafte Umsetzung nicht, dass die Verpflichtung nicht existiert. Vielmehr ist sie ein Zeichen dafür, dass sich Regierungen schwer tun, das humanitäre Völkerrecht und die Menschenrechte vor wirtschaftliche Interessen zu stellen. (Pilatus-)Militärflugzeuge, welche bereits in Guatemala, Burma und Chiapas zur Bombardierung der Bevölkerung verwendet wurden, an Tschad zu liefern, ist schlicht keine getreue Umsetzung von Artikel 1.

Der Uno-Gerichtshof hat den ersten Artikel der Genfer Abkommen mehrfach klar als vertragliche Verpflichtung, und nicht als freiwillige Angelegenheit bezeichnet. Jean Pictet, der geistige Vater der Genfer Abkommen, meinte: «Das Funktionieren des Schutz-Systems der Konventionen verlangt tatsächlich, dass die Vertragsparteien sich nicht damit begnügen, die Bestimmungen selber anzuwenden, sondern alles in ihrer Macht stehende tun, damit die humanitären Prinzipien der Abkommen universell angewendet werden.» Rüstungsexporte an Kriegsparteien sind bestimmt kein geeignetes Mittel dazu.