Die Armeestrategen entwickeln verschiedene Szenarien, um das Bedürfnis nach einer Armee aufrechtzuhalten. Der Versuch eines Überblicks über eine unübersichtlies Durcheinandertal.
In der Bundesverfassung steht in Art. 58: «Die Armee dient der Kriegsverhinderung und trägt bei zur Erhaltung des Friedens […]. Sie unterstützt die zivilen Behörden bei der Abwehr schwerwiegender Bedrohungen […] und anderer ausserordentlicher Lagen.» Was «Kriegsverhinderung», «Erhaltung des Friedens», «ausserordentliche Lagen» konkret bedeutet, ist heute weniger klar denn je.
Während des Kalten Krieges schien Sinn und Zweck der Schweizer Armee klar: Die «bösen Sowjets» überrollen die Schweiz, die Männer rücken ein, der Rest der Bevölkerung versteckt sich in den Alpen. Zum Schutz der Schweiz brauchte es Panzer, Soldaten, Sturmgewehre, Bunker und Sprengstoff in allen Brücken. Geld und Vernunft spielte keine Rolle. Wie sinnvoll diese Mittel investiert waren, sieht man heute: Die überflüssigen Panzer werden an unseriöse Staaten verscherbelt, aus den Wolldecken werden modische Taschen, geheime Bunker zu Hotels.
Abenteurliche Bedrohungsszenarien
16 Jahre nach der ersten GSoA-Initiative tönt es in den Führungsetagen der Armee: Der «Raison d’être», der Sinn der Armee ist abhanden gekommen. Doch wo die GSoA konsequent sagt: «Entsorgen!», arbeitet Christophe Keckeis, Chef der Armee, fünf – zum Teil abenteuerliche – Szenarien aus:
- Unsicherheit auf hohem Niveau: Arbeitsunruhen wegen Massenentlassungen, Grossveranstaltungen wie das WEF, ein Unwetter im Wallis, ein Fussballländerspiel Israel – Vereinigte Arabische Emirate in Bern und Brandanschläge auf eine Synagoge gefährden die Sicherheit der Schweiz. Die Armee ist zur Stelle.
- Terroranschläge in Italien. Die Armee überwacht präventiv den Nord-Süd-Korridor der Schweiz.
- Die UNO Genf wird zum Ziel terroristischer Gruppen. Plötzlich verliert die Flugsicherung den Kontakt mit einer Passagiermaschine, sie sinkt und fliegt weiter Richtung Genf. Die Luftwaffe der Schweizer Armee ist bereit für die Abwendung dieser Gefahr.
- Pandemie in Europa. Apotheken müssen vor der wütenden Bevölkerung geschützt werden. Alles kein Problem für die Schweizer Armee.
- Das Drama der Elfenbeinküste von 2004 wiederholt sich. Aber die Franzosen sind anderweitig stark eingebunden und nicht in der Lage, Schweizer BürgerInnen zu evakuieren. Die Schweiz entsendet ein Kontingent ihrer neuen Spezialtruppe.
Keckeis geht bei den meisten Szenarien von der Überforderung der zivilen Behörden aus. Seine Antwort auf diese Überforderung ist aber nicht etwa eine Stärkung dieser Organe, er will einen «harten Kern» einer Spezial-Infanterie, die sich auf Objektschutz (zum Beispiel Gotthardtunnel, Bundeshaus) und Personenschutz spezialisiert. Die klassische Verteidigungsarmee wird auf den sogenannten Aufwuchskern reduziert. Dieser soll im Notfall sein Wissen weitergeben und die Armee wieder voll aufbauen. Die Armee soll nicht wie heute Hilfsdienste leisten müssen, sondern eigene Aufgaben erhalten, zur sogenannten Einsatzarmee werden.
Drei Visionen
Der Chefredaktor der Allgemeinen Schweizerischen Militärzeitschrift (ASMZ) Luis Geiger fasst die politischen Positionen zur Armeereform wie folgt zusammen: Die Rechte und eine grosser Teil der Milizoffiziere wollen sich auf die traditionelle Verteidigungsaufgabe beschränken. Die Mitteparteien wollen die Verteidigungsfähigkeit bewahren und Auslandkomponente ausbauen. Die Armeemodernisierer aus der SP wollen weniger Verteidigung, dafür mehr Auslandeinsätze. Keine der drei Positionen ist aber mehrheitsfähig. Die Armee zerreisst sich also an ihren Richtungskämpfen. Der fehlende Konsens inner- und ausserhalb des Militärs ist ein Zeichen seiner Schwäche. Derzeit ist nicht abzusehen, wohin sich die zwecklose Armee entwickelt.