Aufstieg und Fall des militärischen Interventionismus

Die Neunziger Jahre waren geprägt von der Diskussion um sogenannte «humanitäre Interventionen». Dies hat sich in der vergangenen Dekade gänzlich geändert.

Auch in der Schweiz steckt der militärische Interventionismus in einer tiefen Krise. Das zeigt das spektakuläre Nein zu Atalanta in der letzten Herbstsession des Nationalrates. Das illustriert das weitaus unspektakulärere Nein der Aussenpolitischen Kommission (APK) des Nationalrates zur Beteiligung der Schweiz an der Europäischen Verteidigungsagentur (EVA) diesen Januar. Das unterstreicht der Absturz der Revision des Militärgesetzes im Bundesparlament im vergangenen Jahr. Mit dieser Revision hätten Zugeständnisse, die vor neun Jahren an die Linke gemacht wurden, um einen Erfolg des GSoA-Referendums zu verhindern, rückgängig gemacht werden sollen. Dazu gehören das obligatorische Uno-Mandat und der Verzicht auf die Beteiligung an Kampfhandlungen.

Der knappe Sieg des interventionistischen Lagers im Juni 2001 – dank einem 60-prozentigen Ja-Anteil bei den Linken – war zugleich ihr letzter. Es gelang den Militärs nie, diesen Erfolg in einem bedeutenden Ausmass umzusetzen. Der Hauptgrund für die Blockade der Ausland-Einsätze liegt in den Kriegen in Irak und Afghanistan, die spätestens 2003 das Kräfteverhältnis in der Linken umkehrten. Heute dürften viele Linke, welche die Tragödien auf dem Balkan und in Ruanda zu zwischenzeitlichen BefürworterInnen von Auslandeinsätzen der Armee gemacht hatten, auch jene Zeit nüchterner und kritischer betrachten.

Von der Uno zur Nato

Die Implosion der Sowjetunion hatte für die USA und die Nato zwei Folgen: Einerseits war letztere von der Legitimationskrise aller Armeen besonders betroffen, weil sie ihre Existenz immer mit der des Warschauer Paktes begründet hatte. Andererseits bot sie den USA die Chance, die militärische Macht imperial auszuweiten. Zur Bannung der Gefahr wie zur Wahrung der Chance sollte sich der grossserbische Tyrann Milosevic gleichsam als diabolus ex machina erweisen. Am Anfang des Balkankrieges standen eine Uno und eine OSZE, die dank ihrer Rolle bei der friedlichen Auflösung des Ostblocks ein hohes Ansehen genossen, was sie für die Nato umso gefährlicher machte. Am Schluss standen im Frühjahr 1999 der völkerrechtswidrige Kosovokrieg, die Verwandlung der Nato in ein globales Offensivbündnis und die Marginalisierung der Uno.

Der Schlüsselmoment war der Bosnienkrieg 1992 bis 1995. Bereits im Mai 1992 erteilte die Nato der Forderung von Uno-Generalsekretär Boutros-Ghali, die Uno mit ausreichenden Kapazitäten für Operationen unter Führung des Sicherheitsrates auszustatten, eine klare Absage. Im Geheimdokument «MC 327» hielt die Nato fest, dass nur dort interveniert wird, wo es um eigene Interessen geht (also nicht in Ruanda) und dass von Nato- Staaten gewonnene Aufklärungserkenntnisse nicht an die Uno weitergegeben werden.

Ein Grossteil der westlichen Linken glaubte die daraufhin verbreitete Lüge vom «Versagen der Uno». Das blieb nicht ohne Folgen: Die Ideologie des «humanitären Interventionismus» erleichterte die massive Erhöhung der Rüstungsausgaben ab der zweiten Hälfte der 90er Jahre. Mit einem Dreissigstel der 1‘600 Milliarden Dollar, die im letzten Jahr für Armeen und Rüstung ausgegeben wurden, könnten die Milleniumsziele der Uno, die Halbierung der Armut bis ins Jahr 2015, erreicht werden.

Friedenspolitische Alternativen

Auch wenn wie jüngst im Zusammenhang mit Haiti die Entsendung von Soldaten medial gefordert wird, dürfte dieses Kapitel realpolitisch – abgesehen von kleinen Einsätzen – für die Schweiz abgeschlossen sein. Hängig sind noch die Auflösung der Rambolino-Truppe AAD 10 und der Austritt aus der Nato-Partnership for Peace. Die friedenspolitische Linke ist umso mehr gefordert, zivile Alternativen zu entwickeln. Zwei konkrete Beispiele sind das diplomatische Engagement für den Frieden in Afghanistan und die Förderung von Auslandeinsätzen im Rahmen des Zivildienstes.