Blickwinkel jüdischer FriedensaktivistInnen

Der Nahost-Konflikt aus Sicht jüdischer FriedensaktivistInnen – ein Gespräch mit Fariba Vorburger und Jochi Weil.

Daniela Fariba Vorburger engagiert sich bei der «Jüdischen Stimme für einen gerechten Frieden zwischen Israel und Palästina» und ist Projektverantwortliche für Israel/Palästina bei Peacewatch Switzerland. Jochi Weil ist in der «Kampagne Olivenöl» aktiv und arbeitet bei Medico International (vormals Centre Sanitaire Suisse, Sektion Zürich).

Andreas Cassee sprach mit den beiden über den Libanon-Krieg, den israelisch-palästinensischen Konflikt und ihre Situation als jüdische FriedensaktivistInnen in der Schweiz.

GSoA: Laut einem Bericht von Amnesty International bombardierte das israelische Militär im Libanon bewusst zivile Ziele. Wie erklärt ihr euch, dass der Krieg dennoch von einer überwiegenden Mehrheit der Israeli befürwortet wurde?

Daniela Fariba Vorburger: Die Erklärung muss vielschichtig ausfallen – und soll nicht als Rechtfertigung missverstanden werden. In Israel wird sehr stark wahrgenommen, wie sich die Hisbollah seit dem Rückzug Israels aus dem Libanon im Jahr 2000 an der Grenze aufrüstet, einen Staat im Staat aufbaut. Die libanesische Regierung kann oder will nichts dagegen unternehmen. Die Berichterstattung in Israel ist sehr einseitig. Dazu kommt die starke Sensibilität der israelischen Bevölkerung im Bezug auf das Militär. Es handelt sich nicht um den ersten Krieg, der als Reaktion auf die Entführung von israelischen Soldaten begann.

Jochi Weil: Wenn ich mich mit Menschen aus Israel unterhalte, höre ich oft: «Die Araber verstehen doch nur die Sprache der Gewalt.» Da sind existenzielle Vernichtungsängste im Spiel – auch bei Jüdinnen und Juden in der Diaspora. Der Krieg hat zu einem Zusammenrücken geführt, das ist auch in der Schweiz spürbar. So war es für mich persönlich wichtig, an den Demonstrationen in Bern gegen den Krieg Stellung zu beziehen, ich hatte aber auch Angst vor den Reaktionen in der jüdischen Gemeinde. Wenn gesagt wird, 95 Prozent der israelischen Bevölkerung würden den Krieg befürworten, dann ist das allerdings schon seltsam – 20 Prozent der Menschen in Israel haben einen arabisch-palästinensischen Hintergrund, sie dürften diese Haltung kaum teilen. Übrigens waren unter den 41 Todesopfern auf israelischer Seite mindestens 14 israelische PalästinenserInnen.

GSoA: Welche Auswirkungen hatte der Libanon-Krieg auf die Situation in den besetzten palästinensischen Gebieten?

D.F.V.: Die Situation verschlechtert sich von Tag zu Tag. Mit dem Krieg im Libanon hat das allerdings höchstens indirekt zu tun: Israel nutzt den toten Winkel der Weltöffentlichkeit, um die Besatzungspolitik fortzuführen.

J.W.: Während des Libanon-Krieges wurden 170 PalästinenserInnen getötet, die Situation ist katastrophal. Aber die Menschen haben einen enormen Lebenswillen, der Alltag geht weiter. Ein positives Erlebnis während des Krieges war für mich, dass ich einen Besuch dreier junger Schweizer Jüdinnen und Juden in den besetzten Gebieten vermitteln konnte. Die drei sagten nach ihrer Rückkehr übereinstimmend, dass sie von den Menschen dort gut aufgenommen wurden. Sie berichten in ihrem Umfeld, was sie gesehen haben, das ist das beste Mittel gegen die «Gehirnwäsche». Solche Momente sind für mich wichtig – es ist, wie wenn Grashalme den Weg durch den Asphalt an die Oberfläche finden.

D.F.V.: Diese Hoffnungsschimmer sind wichtig. Aber die Fähigkeit der PalästinenserInnen, sich mit den alltäglichen Behinderungen zu arrangieren, sollte nicht darüber hinwegtäuschen, wo sich die Situation ganz konkret verschlechtert – wo die Mauer gebaut, die Bewegungsfreiheit eingeschränkt und Bewilligungen verweigert werden.

GSoA: Zurück zum Libanon: Wie konnte die Hisbollah so populär werden?

D.F.V.: Wie die Hamas steht auch die Hisbollah im Westen auf der Terror-Liste. Gleichzeitig sind beide Organisationen aber auch karitativ tätig. Ich denke, dass dieser Aspekt für die Erklärung der Popularität der Hisbollah wichtiger ist als die Ankündigung, man werde Israel von der Landkarte streichen.

J.W.: Der Grundstein für die Gründung der Hisbollah wurde mit dem ersten Libanon-Krieg von 1982 gelegt. Die Sheeba-Farmen werden seither von Israel besetzt gehalten, weil ihnen eine Schlüsselstellung im Bezug auf das Wasser in der Region zukommt. Was die Unterstützung der Hisbollah durch Syrien betrifft, spielt die Annexion der Golan-Höhen nach dem 67er-Krieg eine Rolle. Es wäre wichtig zu verhandeln, auch mit der Hisbollah und der Hamas.

GSoA: Welche Rolle spielt die Religion im Nahost-Konflikt?

D.F.V.: Der Israel-Palästina-Konflikt ist kein religiöser Konflikt! Da ist zurzeit eine Umdeutung im Gange, die ich für sehr gefährlich halte. Natürlich gibt es religiöse Fundamentalisten – übrigens auch im Judentum und im Christentum. Aber im Kern geht es nicht um Religion. Ich war zwei Mal für längere Zeit in Syrien und habe die Erfahrung gemacht, dass die Menschen dort durchaus zwischen Israel und dem Judentum zu unterscheiden wissen – übrigens mehr als in Europa. Ich habe mit jungen Frauen über Ehe und Partnerschaft gesprochen, und sie haben mir gesagt, es spiele keine Rolle, ob sie mit einem Muslim, einem Juden oder einem Christen zusammen wären.

J.W.: Ich sehe das etwas anders, obwohl es mir lieb wäre, wenn der Konflikt keinen religiösen Aspekt hätte. Es gibt heute viel weniger emanzipatorische Ansätze als noch vor einigen Jahren. Das Leben in den besetzten Gebieten wird schwieriger, rationale Lösungsansätze haben es schwer. Da findet eine Hinwendung zur Religion statt. So sind in Gaza und in der Westbank viel mehr Frauen mit Kopftuch zu sehen als noch vor ein paar Jahren.

GSoA: Daniela, du hast vorher gesagt, in Europa werde oft nicht zwischen Israel und dem Judentum unterschieden. Kannst du das präzisieren?

D.F.V.: Das ist ein heikles Thema. Antisemitismus kann mit Israel-Kritik kaschiert werden. Aber natürlich ist nicht jede Israel-Kritik antisemitisch.

J.W.: Im Zusammenhang mit den Friedensdemonstrationen habe ich kaum Antisemitismus wahrgenommen. Aber die eidgenössische Kommission gegen Rassismus und Antisemitismus stellt eine Zunahme von antisemitischen Vorfällen fest. Mir kommt eine Begegnung am letzten Sabbat in den Sinn: Ich war auf dem Heimweg von der Synagoge und wurde von einem Mann angesprochen, der sagte: «Was ihr da macht, ist furchtbar!»

D.F.V.: Genau das meine ich: Weil du Jude bist, wirst du wie ein Stellvertreter Israels behandelt.

J.W.: Du hast recht. Allerdings sollten wir auch selbstkritisch sein, was die Vermischung von Religion und Politik angeht. So wurde der abtretende israelische Botschafter in der Synagoge verabschiedet. Welcher andere Staat verabschiedet seine Amtsträger in einem Gotteshaus?

D.F.V.: Dennoch erwarte ich von Aussenstehenden die Bereitschaft zur Differenzierung.

J.W.: Ich bin nicht gut in der doppelten Buchführung. Ich halte es da mit Ernst Bloch, der gesagt hat: «Alles Innen muss Aussen werden, und alles Aussen muss Innen werden.»

GSoA: Was kann man tun, um die Situation im Nahen Osten zu verbessern?

D.F.V.: Ich bin wie Jochi eine Anhängerin der Nanomilimeterarbeit. Es gibt viel zu tun vor Ort, im Dialog zwischen den Konfliktparteien und im humanitären Bereich. Wichtig sind mir auch die Auseinandersetzung mit der innerjüdischen Diskussion und der Kontakt mit Friedensorganisationen in Israel.

GSoA: Sollte man versuchen, Druck auf Israel auszuüben?

J.W.: Mit Boykott-Aufrufen habe ich grosse Mühe. Es war für mich schon ein grosser Schritt, den Brief gegen das IFASS-Geschäft zu unterschreiben (siehe Artikel Zeichen setzen…, Anm. der Red.). Die Boykotte gegen Südafrika während der Apartheid-Zeit habe ich unterstützt. Aber Israel? Da kommt mir gleich das «Kauft nicht bei Juden» der Nazi-Zeit in den Sinn. Ich bin da zu sehr persönlich involviert.

D.F.V.: Ganz abgesehen von der Frage, welche Haltung wir persönlich dazu haben, muss man sich doch fragen, ob eine Boykott-Strategie überhaupt wirksam wäre. Ob wir die Ängste teilen oder nicht: Es ist ein Faktum, dass viele jüdische Menschen darauf reagieren würden, indem sie denken: «Die ganze Welt ist gegen uns Juden, das ist ja nichts Neues». Insofern kann der Versuch, mit Druck auf Israel einzuwirken, auch kontraproduktiv sein.

Schweizer Projekte im Nahen Osten

Medico International (www.medicointernational.ch) leistet medizinische Soforthilfe im Gaza-Streifen und im Libanon. Spendenkonto: 80-7869-1 (Vermerk «Israel-Palästina» oder «Nahost»)

Peacewatch Switzerland (www.peacewatch.ch) organisiert Menschenrechtsbeobachtungs-Missionen in Israel/Palästina. Spendenkonto: 87-356427-6

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