Das ewige Drama der Dienstpflicht

Es tut sich was im Bereich der Dienstpflicht: Der Bundesrat will das System reformieren, mehr oder weniger gleichzeitig startete Ende April die Unterschriftensammlung für einen Bürger*innendienst. Schade ist, dass bei so viel Reformwillen kaum ein vernünftiger Vorschlag auf dem Tisch liegt.

Gegen die Dienstpflicht 

Die Militärdienstpflicht ist wohl eines der absurdesten Überbleibsel des hochgelobten Milizsystems. Die GSoA lehnt diese seit jeher entschieden ab. 2013 kam eine von der GSoA lancierte Initiative für die Aufhebung der Wehrpflicht zur Abstimmung, die leider mit fast dreiviertel Nein-Stimmen vom Stimmvolk verworfen wurde. Eine Mehrheit des Volkes wollte offenbar weiterhin, dass alle Schweizer Männer in einer ihrer wichtigsten Lebensphase zu einem Dienst für den Staat gezwungen werden, wobei sie ihre Ausbildung und Berufserfahrung auf Eis legen müssen, der zu einem Grossteil aus Beschäftigungstherapie, Rumsitzen und unnötigen Aufgaben besteht.

Interessanterweise sind die Befürworter*innen der Wehrpflicht oft dieselben, die stets einen sorg- und sparsamen Umgang mit Steuergeldern propagieren, wenn es um Klimaschutz, Sozialstaat oder Gesundheit geht. Gleichzeitig fordern sie gute Bedingungen für die Wirtschaft. Man stelle sich vor, was an Steuergelder eingespart werden könnte, müsste nicht jeder männliche Schweizer einen Dienst leisten, wofür er Sold erhält, einen Schlafplatz sowie Essen und Trinken zur Verfügung haben muss – von dem ganzen Material ganz zu schweigen. Dazu stelle man sich vor, wie die Wirtschaft profitieren würde, ohne ständige Ausfälle aufgrund von RS oder WK.

Reform: Die Hoffnung währt kurz

Die Wehrpflicht ist ein politisches Dauerthema, wo auch jede*r mitreden will. Denn fast alle sind in irgendeiner Form damit konfrontiert, entweder als Dienstleistende*r oder als Angehörige*r. Umso hellhöriger wird die Schweiz, wenn in dem Bereich Änderungen angekündigt werden. Das VBS klagt schon lange darüber, dass ihnen bald die Soldaten ausgehen und der Bestand der Armee mittelfristig zu klein sein wird. Da sei wieder einmal erwähnt, dass die Armee über 140’000 Angehörige verfügt, bei einem Sollbestand von 100’000. Im Rahmen des Projekts «Weiterentwicklung der Armee» (WEA) soll dieser «Problematik» entgegnet werden, unter anderem mit einer Reform des Dienstpflichtsystems. 

Dies lässt erstmal aufhorchen: Werden etwa die Diensttage gekürzt? Oder verabschiedet man sich vom Massenheer? Korrigiert man die Diskrepanz zwischen Soll- und Aktivbestand? Gibt es gar eine Wahlfreiheit?

Weit daneben. Der Bundesrat stellte vier Varianten zur potentiellen Weiterentwicklung in den Raum, wovon zwei noch zur Debatte stehen. Die einzige zeitgemässe Variante ist bereits wieder vom Tisch. Es wäre eine Bürger*innendienstpflicht, bei der alle Schweizer*innen dienstpflichtig sind, jedoch mit freier Wahl der Dienstart und einer breiten Möglichkeit an Einsatzorten auch ohne Sicherheitsbezug wie z.B. politische Mandate, Ämter in Vereinen, etc. Zwar würde es sich immer noch um einen Zwangsdienst handeln, von dem auch Frauen betroffen wären, jedoch würde wertvolles gesellschaftliches Engagement, was in der Schweiz zu Hauf geleistet wird, berücksichtigt und entsprechend gewürdigt. 

Die andere gestrichene Variante ist die Bürger*innendienstpflicht ohne Wahlfreiheit. Also alle leisten einen Dienst, aber da hat die Alimentierung der Armee Priorität. Dieser Vorschlag ist jedoch insofern nicht vom Tisch, da seit Ende April 2022 Unterschriften für eine Volksinitiative des Vereins «Service Citoyen» gesammelt werden, die genau dies fordert. Was auf den ersten Blick attraktiv klingt, ist ein abzulehnender Vorschlag. Kurz: Lohndumping, mehr Zwangsdienst, Stärkung der Armee und möglicherweise sogar ein Verstoss gegen die UN-Menschenrechtskonvention wären die Folgen. Die GSoA hat bereits an ihrer Vollversammlung im Oktober 2021 eine Resolution mit dem Ausspruch gegen diese Initiative verabschiedet. Diese kann auf der Webseite nachgelesen werden.

Armee hat Priorität

Zur Debatte stehen noch die «Sicherheitsdienstpflicht» und die «bedarfsorientierte Dienstpflicht».

Bei ersterer Variante bleibt das meiste wie heute bestehen. Einzig der Zivildienst und der Zivilschutz würden zum «Katastrophenschutz» zusammengelegt. Wir hätten hiermit also keine Änderung, ausser, dass der Zivildienst massiv geschwächt würde. Alle Männer müssten den Dienst entweder in der Armee oder im Katastro­phenschutz leisten, Wahlfreiheit besteht keine.

Die bedarfsorientierte Dienstpflicht würde alle Schweizer*innen in die Pflicht nehmen. Es würden die geeigneten Personen für Armee und Zivilschutz rekrutiert, die benötigt werden. Alle anderen bleiben vom Dienst verschont, müssen allerdings eine Wehrpflichtersatzabgabe leisten. Konkret hiesse dies, dass es keinen Zivildienst mehr gäbe und dass man, selbst wenn man Dienst leisten wollte, zahlen müsste, wenn man vom VBS nicht für den Dienst auserkoren würde. Ungefähr die Hälfte aller Stellungspflichtigen könnte damit keinen Dienst leisten. Der Staat würde sich dann einfach das Geld dieser Leute holen, selbst wenn diese dienstwillig wären. Ob das überhaupt legal ist, sei mal dahingestellt.

Einsicht? Fehlanzeige!

Beide Vorschläge sind absurd. Der Zivildienst würde massiv geschwächt oder gar abgeschafft, der Erhalt des unnötigen Massenheeres in der Schweiz hätte oberste Priorität und es gäbe keine Wahlfreiheit. Nach wie vor würden entweder alle Männer oder gar alle jungen Menschen in der Schweiz gezwungen, einen Dienst für den Staat zu leisten oder diesen durch Geld zu ersetzen. 

Die Diskussion um die Dienstpflicht ist und bleibt ein Trauerspiel. Anstatt ernsthafte Reformen vorzunehmen, das System an sich zu hinterfragen, unnötige Stellen abzubauen und massiv zu reduzieren, klagt man lieber über den schlechten Ruf der Armee und über zu wenige Soldat*innen und versucht verzweifelt mit solchen völlig untauglichen Reformvorschlägen die Armee am Laufen zu halten.

Wir erhalten täglich Anrufe oder Mails von verzweifelten Rekruten, die irgendwie von der Armee wegkommen wollen, weil sie den Sinn nicht mehr sehen und ihre Lebensplanung dadurch über den Haufen geworfen wird. Vielleicht müsste man sich beim VBS endlich mal überlegen da anzusetzen, anstatt einfach den Pool an den vom Zwangsdienst betroffenen Personen zu vergrössern und die willkürlich gesetzten Ziele zu erreichen.