Der Atom-Irrsinn

Im Sommer hat die USA den historischen INF-Vertrag gekündet. In Russland ereignete sich auf einem Militärstützpunkt ein Atom-Umfall, dessen Auswirkungen im Dunkeln bleiben. Zudem werden weiterhin munter Kurzstreckenraketen produziert, die mit atomaren Sprengköpfen bestückt werden können. Es stellt sich die Frage, wie solche Ereignisse geopolitisch

Anfang August hat die USA den 30 Jahre alten INF-Vertrag (Intermediate Range Nuclear Forces) gekündet. Der INF-Vertrag über nukleare Mittelstreckensysteme war 1987 zwischen den USA und der damaligen Sowjetunion geschlossen worden. Beide Seiten verpflichteten sich, auf landgestützte ballistische Raketen mit Reichweiten zwischen 500 und 5500 Kilometern zu verzichten. Der Vertrag leitete das Ende des Kalten Kriegs ein. Ebenfalls im August 2019 ereignete sich ein Unfall auf einem Militärstützpunkt in der russischen Arktis. Klar ist, dass radioaktive Isotope ausgetreten sind. Bei der Explosion starben fünf Wissenschaftler. Über weitere Auswirkungen auf Menschen und Umwelt weiss man noch nichts. Weniger beachtet als diese medienwirksamen Ereignisse wird weltweit weiterhin in die atomare Aufrüstung investiert. So hat beispielsweise Nordkorea in den vergangenen Jahren viel Energie in die Weiterentwicklung seines Raketenarsenals investiert. Die Rede ist davon, dass Atomsprengköpfe produziert werden sollen, die so klein sind, dass sie mit Interkontinentalraketen transportierbar sind.

Immer mehr vom Gleichen

Diese Ereignisse und Entwicklungen sind sehr beunruhigend. Beunruhigend deshalb, weil sie in eine Zeit fallen, in der an den Schalthebeln der Macht oft narzisstische Egomanen sitzen, die man auf der politischen Weltbühne lieber nicht sehen würde. Und wenn, dann sicherlich nicht im Zusammenhang mit Atomwaffen. Beunruhigend ist es aber vor allem auch deshalb, weil in Zeiten von zunehmender politischer Verunsicherung immer wieder feststellbar ist, dass auf die Politik der Aufrüstung und Provokation nicht mit Deeskalation und der Forderung nach Abrüstung reagiert wird. Ganz im Gegenteil: es wird eine Dynamik ausgelöst, die nach immer noch mehr in Rüstung und noch höheren Verteidigungsbudgets schreit. Das Motto lautet: Auf mehr Zerstörungspotential kann nur mit noch mehr Zerstörungspotential geantwortet werden. Der Effekt lässt sich leicht an Zahlen ablesen. So stiegen im vergangenen Jahr die Militärausgaben global auf rund 1740 Milliarden US-Dollar, wie das schwedische Friedensforschungsinstitut SIPRI schätzt. Dies ist so viel, wie seit dem Kalten Krieg nie mehr. Im Schlepptau der Rüstungsgiganten USA, China, Russland nutzen auch in Europa Kräfte aus dem rechten Lager, die Gunst der Stunde um zusammen mit der Rüstungsindustrie höhere Ausgaben für die militärische Verteidigungs- und Rüstungspolitik zu fordern. Sekundiert werden diese Kräfte von Donald Trump, der von den Mitgliedsstaaten der NATO fordert, ihr Militäretat auf mindestens zwei Prozent des Bruttosozialprodukts zu steigern.

Rüstungswettlauf

Investitionen in Waffen werden von rechten Politikern als Solidaritätspolitik zu Gunsten einer gemeinsamen Sicherheitspolitik in Europa umgedeutet. Es gehe darum, gemeinsam Lasten zu tragen, um beispielweise China die Stirn bieten zu können. Etwas anders verläuft die Argumentationslinie bei rechten Politikern in der Schweiz. Sie verweisen darauf, dass die geopolitischen Wirren und der Verlust der unbestrittenen Vorreiterrolle der USA dazu führten, dass die Schweiz wieder vermehrt auf eigenständige Verteidigungspolitik setzen müsse. In dieser Grundstimmung wird es dann auch möglich, dass Viola Amherd ein Armee-Budget von sechs Milliarden fordern kann, und dies in weiten Kreisen als notwendiger Schritt in unsicheren Zeiten angesehen wird. Irgendwo erinnert diese Logik auch an jenes Denken, welches in den USA von den Waffenlobbyisten praktiziert wird. Hat sich an Schulen wieder einmal ein Massaker ereignet, dann wird gefordert, dass man eben die LehrerInnen bewaffnen müsse. Ist doch logisch – oder?