Der Anfangs Oktober veröffentlichte Armeebericht 2010 zementiert das traditionalistische Massenheer und schafft Strukturen für vermehrte Einsätze im Innern. Die Bedrohungsanalyse hat sich seit dem Ende des Kalten Krieges nicht verändert.
Als Bundesrat Ueli Maurer den Armeebericht den Medien vorstellte, machte er gleich im ersten Satz klar, dass mit keinen Überraschungen zu rechnen sein würde: «An der Wehrpflicht wird nicht gerüttelt. Die Abwehr eines militärischen Angriffs auf die Schweiz bleibt die oberste Priorität.»
Keine Verkleinerung der Armee
Der Bundesrat will zwar die Zahl der aktiven Soldaten von 140’000 auf 80’000 senken. Diese Verkleinerung des Sollbestandes ist jedoch eine rein rechnerische Angelegenheit: Auch in Zukunft sollen alle Schweizer Männer zum Dienst eingezogen werden, und die Anzahl Diensttage wird nicht merklich verringert. Weil die Soldaten aber schon in jüngeren Jahren ihre Tage im Militär ableisten sollen, zählen sie einfach weniger lang zum aktiven Bestand. Auch am Budget der Armee wird mit der Reform nicht gerüttelt.
Auf das Grundproblem der Armee bietet der Bericht aber keine Antwort: Womit soll sich dieses überdimensionierte Massenheer beschäftigen? Die Struktur der Armee wird weiterhin nicht auf die erwarteten Gefahrenszenarien ausgerichtet, sondern an der Anzahl Männer, die jedes Jahr volljährig werden. Vom Armeebericht – oder vom Sicherheitspolitischen Bericht, der im Juni dieses Jahres veröffentlicht wurde – würde man eine seriöse Bedrohungsanalyse erwarten: Welchen Risiken ist die Schweiz ausgesetzt? Wie gross sind die Wahrscheinlichkeiten? Wie dramatisch wären die Auswirkungen? Wie lange sind die Vorwarnzeiten? Welche Mittel braucht es, um diesen Bedrohungen zu begegnen?
Untaugliche Bedrohungsanalyse
In keinem der Berichte finden sich auch nur Ansätze davon. Die Analyse beschränkt sich auf eine lapidare Überlegung: «Ein militärischer Angriff auf die Schweiz ist zwar höchst unwahrscheinlich. Aber die Auswirkungen wären äusserst schlimm. Darum fokussieren wir uns in allererster Linie auf dieses Risiko.» Klimakatastrophe und Ressourcenknappheit kommen in dieser Logik als Bedrohungen gar nicht erst vor. An der Präsentation des Armeeberichts fabulierte Ueli Maurer sogar über die Wiedereinführung von Mobilmachungsplänen, weil ein militärischer Angriff auf die Schweiz jederzeit möglich sei. Nicht einmal eine Verkleinerung der Artillerie stellt der Armeebericht in Aussicht – obwohl die Schweizer Armee mittlerweile über mehr einsatzbereite Panzerhaubitzen verfügt als jede andere Streitmacht Westeuropas. Es wird klar: Nicht um die Bekämpfung wahrer Bedrohungen geht es im Armeebericht, sondern darum, alle Lager zufriedenzustellen: Ein paar Panzer und die Wehrpflicht für die SVP, etwas mehr Durchdiener für die Wirtschaft, eine symbolische Erhöhung der Auslandeinsätze für die politische Mitte.
Mehr Einsätze im Innern?
Ganz ohne neues Bedrohungsbild kommt die Armee dennoch nicht aus. Für Einsätze im Innern sollen erstmals mehr Personen ausgebildet werden als für die klassische Verteidigung. Die Armee soll in der Lage sein, im Falle einer Terrordrohung sämtliche wichtigen Einrichtungen und Verkehrsverbindungen des Landes rund um die Uhr zu bewachen. Wohin das konkret führen wird, ist unklar. Im Rahmen solcher «Raumsicherungsoperationen» übt die Armee bereits heute unter anderem das Vorgehen gegen Kundgebungen – inklusive dem Einsatz scharfer Munition. Es ist zu befürchten, dass solche Einsätze ausgebaut werden.
Es gibt eine einfache Methode, um dem VBS die krampfhafte Suche nach Bedrohungsszenarien zu ersparen: Der Aufhebung der Wehrpflicht. Danach müssten die Schweizer SicherheitspolitikerInnen endlich ernsthaft diskutieren, für welche Aufgaben die Armee tatsächlich noch gebraucht wird.
Ueli Maurer hat angekündigt, dass für die Umsetzung des Armeeberichtes Änderungen des Militärgesetzes nötig sein werden. Die GSoA wird sehr genau beobachten, was diese Revision im Detail beinhalten wird. Insbesondere gegen die Ausweitung der Kompetenzen der Armee im Innern werden wir uns mit allen Mitteln wehren.