Darf der Staat Unschuldige opfern, um andere Unschuldige zu retten? Auf diese Frage reduziert sich die Debatte darüber, ob ein von Terroristen entführtes Zivilflugzeug mit tatunbeteiligten Insassen abgeschossen werden darf.
«Ja» sagt der Bundesrat, obwohl das deutsche Bundesverfassungsgericht zum gegenteiligen Schluss kam. Auch in der Schweiz muss nun die Abschussdebatte geführt werden.
Bundesrat Samuel Schmid wird am Weltwirtschaftsforum in Davos jeweils auf Schritt und Tritt von einem Verbindungsoffizier mit einem ominösen Koffer begleitet. Dies, weil er gemäss der Verordnung «zur Wahrung der Lufthoheit» in Zeiten des eingeschränkten Luftverkehrs den Befehl zum Abschuss eines Zivilflugzeuges geben darf.Im Koffer befindet sich die technische Ausrüstung, um den Entscheid, der innerhalb kürzester Zeit gefällt werden müsste,an die Luftwaffe zu übermitteln.
Bundesverfassungsgericht verbietet Abschuss
Das deutsche Bundesverfassungsgericht hat sich intensiv mit der Frage beschäftigt, ob ein von Terroristen gekapertes Zivilflugzeug abgeschossen werden darf.Vor gut zwei Jahren erklärte es eine entsprechende Abschuss-Ermächtigung des Luftsicherheitsgesetzes als nichtig. Das Bundesverfassungsgericht argumentierte, dass die Abschuss-Ermächtigung mit dem Recht auf Leben und der Garantie der Menschenwürde nicht vereinbar sei: «Die einem solchen Einsatz ausgesetzten Passagiere und Besatzungsmitglieder befinden sich in einer für sie ausweglosen Lage. […] Dies macht sie zum Objekt, nicht nur der Täter.Auch der Staat, der in einer solchen Situation zur Abwehrmassnahme greift, behandelt sie als blosse Objekte […]. Unter der Geltung der Menschenwürdegarantie ist es unvorstellbar, auf der Grundlage einer gesetzlichen Ermächtigung unschuldige Menschen, die sich in einer derart hilflosen Lage befinden, vorsätzlich zu töten.» Das Gericht weist zudem darauf hin, dass jedem Menschen das Recht auf Leben gleichermassen zusteht und nicht gegeneinander abgewogen werden darf.
Abschussdebatte in der Schweiz
In einem Interview mit der Neuen Zürcher Zeitung weckte Bundesrat Samuel Schmid im Oktober 2007 nicht den Eindruck, von der Argumentation des deutschen Verfassungsgerichts beeindruckt zu sein. Schmid sagte der NZZ, dass die Rechtsgrundlage auch für eine derart einschneidende Massnahme genüge. «Falsch», erwiderte die Zürcher Rechtsprofessorin Helen Keller: Erstens gelte das Recht auf Leben und der Schutz der Menschenwürde auch in der Schweiz und zweitens genüge eine einfache Verordnungsbestimmung nicht, um einen solch schwerwiegenden Eingriff in die Grundrechte zu legitimieren. Der Abschuss von Zivilflugzeugen mit tatunbeteiligten Insassen in der Schweiz bezeichnet Keller deshalb als unzulässig. Höchste Zeit also, dass auch in der Schweiz die Abschussdebatte geführt wird. Josef Lang,
Nationalrat und GSoA-Vorstand Josef Lang hat in der vergangenen Sommersession eine Motion eingereicht, welche den Abschuss von Zivilflugzeugen verbieten will.