Seit über einem Jahr befinden sich die arabischen Länder in einem gesellschaftlichen Umbruch. Die anfängliche Euphorie ist verflogen und der Weg zu einer demokratischen Gesellschaft ist steinig. Elham Manea erzählt, was in den vergangenen Monaten passiert ist, wie sie die Rolle der internationalen Akteure einschätzt und ob die Verhandlungen in Syrien erfolgversprechend sind. Cordula Bieri sprach mit Elham Manea*.
Die Demokratie-Bewegung im arabischen Raum begann vor gut einem Jahr. Was ist in diesem Jahr passiert?
Auslöser der Demokratiebewegung war die Selbstverbrennung von Mohammed Bouazizi in Tunesien, um auf die wirtschaftlich prekäre Situation aufmerksam zu machen. Dies hat eine Welle ausgelöst, die sich von einem wirtschaftlichen Protest zu einem Schrei nach Demokratie, zu einem Schrei nach Freiheit entwickelt hat.
In Tunesien, aber auch in Ägypten war es eine Überraschung, wie schnell der Präsident den Hut nahm. Es war ein Moment, in dem ich wirklich geglaubt habe, alles sei möglich.
Wie sieht die Situation in Ägypten heute aus?
Die demokratischen Kräfte wollen eine Verfassung für alle ÄgypterInnen. Heute aber dominieren der Militärrat und die Muslimbruderschaft das politische Geschehen. Man hat Angst, dass dieser Machtkampf in eine undemokratische Richtung gehen könnte.
Die Welle schwappte weiter nach Libyen, Jemen, Bahrain und Syrien. Gab es Unterschiede zu den ersten beiden Ländern?
Ägypten und Tunesien unterscheiden sich grundsätzlich von diesen Ländern durch ihre Geschichte, ihre nationale Identität und ihren Zentralstaat. Zum Beispiel in Jemen ist man nicht einfach Jemenitin, sondern es kommt darauf an, aus welcher Region man stammt und welcher Religion man angehört. Dazu kommt, dass manchmal in diesen Staaten eine Minderheit die Kontrolle über die Mehrheit hat. Diese wird systematisch diskriminiert.
Zum Beispiel, demonstrierten zu Beginn der Demokratiebewegung in Bahrain SchiitInnen und SunnitInnen gemeinsam für Freiheit. Doch der Druck der jeweiligen Regimes und die ganze Maschinerie von Medien und Propaganda führten dazu, dass die moderaten Flügel zunehmend marginalisiert wurden und die Radikalen die Oberhand gewannen.
Wie sehen Sie die Rolle der internationalen Akteure?
Es gibt viele Regierungen, welche die autokratischen Regierungen aufgrund von Öl, Waffenhandel und strategischen Interessen unterstützt haben. Es wäre wichtig, dass die Staatengemeinschaft die Respektierung der Menschenrechte einfordert. Wenn ein Regime diese missachtet, sollte dies nicht toleriert werden.
Sind die Verhandlungen in Syrien erfolgversprechend?
Ich bin der Meinung, dass das syrische Regime versucht, mit den Verhandlungen Zeit zu gewinnen, um die Oberhand in diesem Konflikt zu festigen. Human Rights Watch hat am 2. Mai einen Bericht publiziert, der zeigt, dass das syrische Regime Massaker verübte, während Verhandlungen mit Kofi Annan stattfanden.
Syrien wird erst eine diplomatische Lösung akzeptieren, wenn es wirklich keine internationale Unterstützung mehr von Staaten wie China, Russland oder Iran gibt.
Es bräuchte eine nationale Konferenz, an der alle Kräfte teilnehmen, um gemeinsam eine Verfassung auszuarbeiten. Aber auch eine Wahrheitskommission, wie in Südafrika, welche die Geschehnisse aufarbeitet. Und es wäre auch wichtig, die gewaltlosen Kräfte zu Wort kommen zu lassen. Dann gibt es Hoffnung.
Wie können Friedensorganisationen den Wandel positiv unterstützen?
Ich habe mit verschiedenen Leuten in Ägypten gesprochen und sie gefragt, wie man aus der Schweiz helfen kann. Eine der Antworten war «Lasst uns in Ruhe!», da man nicht als Verräterin betrachtet werden möchte. Aber es gibt auch jüngere Leute, die wissensdurstig sind und den Austausch mit Menschen anderer Ländern suchen. Zum Beispiel, um Erfahrungen in der politischen Arbeit auszutauschen. Am wichtigsten erscheint mir aber die Rolle der NGOs.
Werden die Demokratiebewegungen auf weitere Staaten überschwappen?
Saudi-Arabien wird nicht von dieser Bewegung verschont bleiben. Die Einmischungsversuche der saudischen Regierung in der gesamten Region deuten darauf hin, dass sie versucht, die Bewegung zu kontrollieren. Das Regime versucht, die Leute abzuschrecken, um zu zeigen: «Schaut her, es ist chaotisch, Menschen sterben. Vorher gab es zu Essen, heute nicht mehr.»
Gleichzeitig versucht das saudische Königshaus, die gesamte Bewegung in eine undemokratische Richtung zu steuern. In den östlichen Regionen Saudi-Arabiens, wo eine schiitische Minderheit lebt, gibt es schon jetzt häufig Demonstrationen.
Es wäre im Interesse des saudischen Regimes, rasch mit Reformen zu beginnen. Die Machtkämpfe zwischen den Kronprinzen verhindern Reformen. Ich wünschte mir, dass Länder wie Saudi-Arabien rechtzeitig erkennen würden, dass ihr System nicht nachhaltig ist.
* Elham Manea wurde in Ägypten geboren und verfügt über die jemenitische und schweizerische Staatsbürgerschaft. Sie ist Privatdozentin an der Universität Zürich und forscht mit Fokus auf die Länder der Arabischen Halbinsel.