Viele reden von „Annäherung an die Nato“ oder „Kooperation mit der Nato“. Würden sie es auch tun, wenn sie wüssten, was es konkret bedeutet?
Letztes Jahr veröffentlichte Bruno Lezzi, ein langjähriger NZZ-Redaktor und Oberst im Generalstab, ein Erinnerungsbuch, in dem er die naiven Vorstellungen, die hinter Begriffen wie „Nato-Annäherung“, stecken, gründlich zerzaust. Der kürzlich verstorbene Autor von „Von Feld zu Feld“ (Edition Königsstuhl) tat es, um den Nato-Beitritt zu begründen. Aber aus seinen Ausführungen lassen sich auch andere Schlüsse ziehen.
Hindernis Miliz
Lezzi zeigt auf, dass nicht nur der Nato-Beitritt, sondern auch die Nato-Kooperation unvereinbar sind mit der Miliz und der Neutralität. Zu den Problemen mit dem Milizprinzip schreibt er: „Im Rhythmus der Wiederholungskurse mit stets wechselnden Formationen lässt sich keine Tiefenwirkung erzielen. (…) Eine sporadische Übungsbeteiligung, die dem Ausbildungsrhythmus der Miliz folgt und damit zwangsläufig an der Oberfläche bleibt, bringt fachlich nichts.“ In anderen Worten: Die Schweizer Milizsoldaten ständen den Nato-Berufssoldaten bloss im Weg.
Wer aus „vorwiegend problemlosen“ Friedensmissionen schliesse, „dass die Milizarmee auch in High-Intensity-Operationen mithalten könne“, schiesse „weit am Ziel vorbei“. Der kenne „weder das Anforderungsprofil der Nato noch die Fähigkeiten der Miliztruppe“. Lezzi warnt damit vor dem „Bau von Luftschlössern“ und vor „theoretischen Konstruktionen“. Aufgrund „praktischer Erfahrungen“ in der Kooperation hätten sich Schweden und Finnland, „die seit langer Zeit weit intensiver mit der NATO zusammenarbeiten als die Schweiz“, für eine „Integration in die Nato entschieden“.
Hindernis Neutralität
Noch grössere Probleme für die Nato-Annäherung sieht Lezzi im Zusammenhang mit der Neutralität. Die „schwergewichtige Ausrichtung des Bündnisses auf allfällige Konfrontationen mit Russland und China“ stellten „schon jetzt eine unüberwindliche Hürde für die neutrale Schweiz dar“. Diesem Klartext fügt Lezzi die Frage bei: „Und hätte die Nato wirklich Zeit für Übungen mit einem Land, das erklärtermassen auf eine Zusammenarbeit im Verteidigungsfall angewiesen ist, diese aber im Ernstfall von einer Vielzahl von Vorbehalten abhängig machen würde?“
Am Beispiel der Luftwaffe illustriert Lezzi den Widerspruch zwischen „Interoperabilität“ und Neutralität: „Wenn es denn, wie der Chef der Armee Thomas Süssli erklärt hat, tatsächlich richtig wäre, dass sich die Schweiz alleine nicht mehr nachhaltig verteidigen könne, würde die Teilnahme an einigen Übungen der NATO auf kleinstem Feuer bestimmt nicht mehr ausreichen, um die Voraussetzungen für ein nahtlose Zusammenarbeit im Ernstfall zu schaffen.“ So sei „ohne Integration in das Luftverteidigungssystem der Allianz die Durchführung von Luft-Boden-Operationen über weite Distanzen nicht zu denken.“ Lezzi fügt dem bei, dass solche Einsätze dem Kampfflugzeug F-35 am besten lägen. Damit bestätigt er, dass mit Hilfe der SVP ein Flugzeug beschafft wird, das die Schallmauer der Neutralität durchbricht.
Armee oder Neutralität
Lezzi fordert den Bundesrat auf, „den Mut aufzubringen, den geringen Spielraum für eine Ausweitung des Kooperationsrahmens offen zu schildern“. Er solle aufhören, „den Bürgern Sand in die Augen zu streuen“. Dem fügt er bei: „Keinesfalls darf die Illusion genährt werden, dass Neutralitätsrecht und Neutralitätsstatus eine Verteidigungskooperation erlauben, die einen wirklichen Sicherheitsgewinn brächte.“
Die bewaffnete Neutralität ist ein Auslaufmodell. Entweder entscheiden wir uns für die Bewaffnung, treten der Nato bei und schaffen die Neutralität ab. Aber 91 Prozent halten gemäss der Studie „Sicherheit 2023“ an ihr fest. Oder wir entscheiden uns für eine zivile, solidarische Neutralität und schaffen die Armee ab. Diese wird aktuell von 78 Prozent befürwortet. 55 Prozent sind für eine Nato-Kooperation. Weil aber diese mit Miliz und Neutralität nicht funktioniert, steht die Schweiz letztlich vor der Frage: Nato-Armee oder armeefreie Neutralität?