Die Mirage-Affäre

Am 21. Juni 1961 beschloss das Bundesparlament den Kauf von hundert Mirage- Kampfjets für 871 Millionen Franken. Am 24. April 1964 musste der Bundesrat dem National- und Ständerat einen Zusatzkredit von 576 Millionen beantragen. Der dadurch ausgelöste Skandal führte zu Rücktritten und zur Reduktion auf 57 Flugzeuge.

Das Protokoll der entscheidenden Bundesratssitzung vom 28. Februar 1964 ist hochspannend und höchst aktuell. Wie wichtig das Traktandum «Mirage, Beschaffung, Zusatzkredite» war, zeigt sich im Umstand, dass alle sieben Bundesräte das Wort ergriffen. Eröffnet wurde die Diskussion von Paul Chaudet, dem freisinnigen Chef des Eidgenössischen Militärdepartements (EMD, heute VBS): «Es handle sich um eine sehr peinliche Angelegenheit». Was die «Gründe für die riesige Kostenüberschreitung» betrifft, erwähnte Chaudet zuallererst den «Einbau einer anderen Elektronik», deren Kosten «viel zu niedrig geschätzt» worden seien. Aber «man werde eine Maschine von grosser Klasse herausbringen.» Nicht erwähnt wurde, dass zur «Klasse» die Atomtauglichkeit gehörte.

«PERFEKTIONISMUS UND MANIE DES MEHRZWECKES»

Der katholisch-konservative Vorsteher des Finanzdepartements, der Walliser Roger Bonvin (KVP, heute Mitte), stellte fest, «dass es sich hier um eine Angelegenheit handle, die uns sehr

grosse Schwierigkeiten bringen werde». Besondere «Mängel aufgezeigt» habe «die Arbeitsmethode zwischen dem EMD und dem Bundesrat und zwischen Bundesrat und eidgenössischen Räten». Der sozialdemokratische Verkehrs- und Energieminister Willy Spühler fand, «dass man hier einen recht schweren Brocken werde schlucken müssen». Aber «man sei» schon bei der «ersten Miragebotschaft etwas unter dem Eindruck gestanden, dass man sich finanziell in ein Abenteuer begebe». Dem fügte er bei: «Die Forderung, immer das Beste haben zu wollen, führe automatisch zu Kostenüberschreitungen.» Dessen Parteikollege Hans-Peter Tschudi vom Departement des Inneren verlangte, «man sollte zuerst prüfen, ob man nicht doch noch etwas bremsen und einsparen könne». Traugott Wahlen (BGB, heute SVP), der sich ein Jahr zuvor als Aussenminister für einen Atomwaffenverzicht eingesetzt hatte, kritisierte: «Unsere militärischen Fachleute neigen ganz einseitig zum Perfektionismus, ohne viel staatsbürgerliches Verständnis zu besitzen.» Der Wirtschaftsminister Hans Schaffner hielt sich – wohl aus Rücksicht auf seinen Parteikollegen Chaudet – etwas zurück. Dafür fiel seine Kritik umso treffender aus: «Der Perfektionismus und die Manie des Mehrzweckes sei eine schweizerische Sucht, die man überall, nicht nur beim Militär finde.» Bundespräsident Ludwig von Moos (KVP) unterstützte den EMD-Chef, forderte aber die Prüfung von «Brems- und Sparmass- nahmen».

Nach den sieben Voten beteuerte der Chef des Militärdepartements noch einmal, dass die zuständige Arbeitsgruppe «uns tatsächlich die beste Maschine vorgeschlagen» habe. Und der Chef des Finanzdepartementes machte im Zusammenhang mit den wachsenden «Mehrkosten» die Unterstellung: «Da spiele etwas nicht.»

«TENDENZIÖS, UNSORGFÄLTIG, IRREFÜHREND»

Als der Entwurf zu einer Mirage-Zusatzkosten-Botschaft aus dem EMD vorlag, setzte das Finanzdepartement in seinem Mitbericht vom 8. April 1964 noch einen drauf. Angesichts «des beängstigenden Ansteigens der Kostenprogression» betonte Bonvin, dass früher «durchwegs von einem erprobten und serienreifen Flug- zeugtyp die Rede» gewesen war. Zudem würden «die Unterlagen beträchtliche Lücken aufweisen» und seien «ganz allgemein zu optimistisch gehalten». Allgemein hielt der Finanzminister fest, dass es «sich leider nicht übersehen» lässt, «dass das Verhältnis zwischen Aufwand und Rendement der Flugwaffe immer ungünstiger wird.» Am Schluss betonte der Walliser Bundesrat, dass sein Departement «bei der Miragebeschaffung immer wieder zur Zurückhaltung aufgerufen und vor Fehleinschätzungen gewarnt hat, heute aber feststellen muss, dass sämtliche Befürchtungen noch übertroffen wurden». Deshalb «sehen wir uns leider ausserstande, das Militärdepartement in diesem Geschäft zu unterstützen.»

Der Zusatzkredit kam im Bundesrat trotzdem durch, scheiterte aber im Bundesparlament. Dieses setzte erstmals in der Schweizer Geschichte eine Parlamentarische Untersuchungskommission (PUK) ein. Dessen Urteil im 138- seitigen Schlussbericht vom 1. September 1964 war vernichtend: «Die Botschaft 1961 war zum Teil tendenziös, zum Teil unsorgfältig und an einzelnen Stellen geradezu irreführend abgefasst.» In der Folge wurde der Fliegerchef Etienne Primault entlassen und der Generalstabschef Annasohn und Bundesrat Chaudet traten zurück. Zudem wurde der Lieferumfang auf 57 Maschinen reduziert. Auch so brauchte es noch Nachtragskredite von 350 Millionen.

Als weitere Folge der Mirage-Affäre wurde 1967 das Bundesgesetz für die Eidgenössische Finanzkontrolle (EFK) geschaffen, um deren Unabhängigkeit zu stärken. Diese bleibt den Stahlhelmen ein Dorn im Auge. Die EFK hat die Kampfjetbeschaffung 2022 so kritisch betrachtet, wie die Miragebotschaft von 1961 hätte betrachtet werden müssen.

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