Die neue alte Diskussion

Der französische Militäreinsatz in Mali zeigt symptomatisch, wie sich die Kriegsrhetorik in den letzten zwei Jahrzehnten gewandelt hat – und wie die öffentliche Diskussion abgeflacht ist.

Seit Mitte Januar führt Frankreich Krieg in Mali. Vor ziemlich genau 20 Jahren schickte der UN-Sicherheitsrat eine Peacekeeping-Mission nach Somalia. Die Idee der humanitären Intervention war fortan in aller Munde, so auch während der NATO-Bombardierungen im Bosnien- und Kosovokrieg. Sie genoss breite Unterstützung – gerade auch in Teilen der friedenspolitischen Linken. Die linken Kriegsbefürworter sind heute weitgehend verstummt, obschon das Konzept der humanitären Intervention auf eine Situation wie Mali ziemlich gut anwendbar wäre. Was hat sich also gewandelt, in den letzten 20 Jahren?

Humanitäre Interventionen
Das Innovative am Legitimationsdiskurs hinter den humanitären Interventionen der 1990er-Jahre war die Fokussierung auf die Opfer von Kriegshandlungen und Menschenrechtsverletzungen. Das Ende des Kalten Krieges brachte die Hoffnung mit sich, dass die Vereinten Nationen ihren Auftrag endlich erfüllen und Sicherheit und Menschenrechten in allen Regionen der Welt zum Durchbruch verhelfen würden. Humanitäre Katastrophen wie in Äthiopien, Liberia oder Somalia trafen die Öffentlichkeit in Europa deshalb ins Mark. Sollte jetzt doch alles weitergehen wie bisher und Millionen von Menschen von Krieg und Hunger dahingerafft werden? Den massenmedialen Diskurs prägte viel stärker als heute eine gefühlte moralische Verpflichtung der Staaten des Nordens und der UNO helfend zu intervenieren. Relativ rasch stellte man jedoch fest, dass die westlichen HelferInnen nicht überall gleichermassen willkommen waren. So geschah die Rückbesinnung auf das Konzept der humanitären Intervention, welches seine erste Hochblüte bereits in den 1870er-Jahren erlebte. Die Hilfeleistung für Opfer von Menschenrechtsverletzungen sollte notfalls auch mit militärischer Gewalt und gegen den Willen lokaler Regierungen durchgesetzt werden. Das ist der Kerngedanke der humanitären Intervention.

Innerlinke Debatte
Im Kalten Krieg sammelte sich die friedenspolitische Linke hinter dem Slogan «Nie wieder Krieg!». Nun wurde dieser Grundsatz plötzlich aus den eigenen Reihen heraus kritisiert. Man hielt ihm die Parole «Nie wieder Auschwitz!» entgegen. Das prominenteste Beispiel für diesen Sinneswandel war der grüne deutsche Aussenminister Joschka Fischer, der unter diesem Titel die NATO-Bombardierungen während des Kosovo-Krieges legitimierte.

Die Diskussion für und wider humanitäre Interventionen prägte den öffentlichen Diskurs der 1990er-Jahre. Beendet wurde sie durch den Irak-Krieg 2003. Der Missbrauch des Konzeptes der humanitären Intervention durch die Bush-Regierung war ein derartiges Schmierentheater, dass das Konzept grundsätzlich delegitimiert wurde.

Und heute?
Kriegsführende Staaten kommunizieren heute wesentlich zurückhaltender als in den 1990er-Jahren was ihre Motive angeht. Damals wollte man der Weltöffentlichkeit Kriege «verkaufen», sie also von der Richtigkeit einer Intervention überzeugen. Heute will man nur noch ungestört Krieg führen können. Der Kosovokrieg wurde mit monatelangen Berichten über serbische Massaker an albanischen ZivilistInnen eingeleitet. Die Intervention in Mali wurde hingegen im Schatten vorbereitet, ohne die Weltöffentlichkeit mit Schreckensberichten darauf einzustimmen. Gesprochen wurde allenfalls noch über die Gefährlichkeit der Islamisten. Die Opfer des bereits seit Monaten schwelenden Bürgerkrieges sind hingegen in der europäischen Öffentlichkeit kaum ein Thema.

Das Versäumnis der Linken ist, dass auch sie sich nur noch für die Kriegsparteien interessiert. USA gegen Ghaddafi, Assad gegen die Rebellen, Frankreich gegen die Islamisten. Wir sind damit in der Debatte um globale Sicherheit und Frieden um mindestens zwanzig Jahre zurückgefallen. Eine zeitgenössische Antikriegsbewegung müsste wieder die Opfer von Krieg und Menschenrechtsverletzungen in den Mittelpunkt stellen und Szenarien entwickeln, wie ihnen ein solidarisches Europa ohne Militäreinsatz helfen kann.

 

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