DIE SCHWEIZ LIEGT NICHT IM KAUKASUS

An den Rändern Europas flackern alte Konflikte wieder auf. Für unser Land ist das keine
militärische Bedrohung, aber wir müssen unsere Verantwor tung wahrnehmen.

Kaukasus, Ägäis, Belarus, Ukraine: Die Ränder Europas scheinen in den letzten Jahren und Monaten in Flammen aufzugehen. Bewaffnete Konflikte drohen oder sind bereits ausgebrochen. Viele Menschen sind verunsichert und machen sich Sorgen. Zu Recht, denn die sich abzeichnenden Kriege könnten den betroffenen Regionen immenses Leid bringen. Es sind aber keine neuen Konflikte, die nun hochkochen. Der Streit zwischen Armenien und Aserbaidschan um die Region Bergkarabach ist seit Jahrzehnten nicht gelöst. Auch der Konflikt zwischen der Türkei und Griechenland lodert seit mehr als einem Jahrhundert immer wieder auf. Besonders absurd ist, dass sich diese zwei Länder momentan um vermutete Ölvorkommen streiten, die ohnehin nie profitabel ausgebeutet werden können, und mit Blick aufs Klima sowieso am besten im Boden verbleiben. Dass militaristische Autokraten wie Putin oder Erdogan die Schwäche der USA nutzen wollen, um den Einfluss auf frühere Teile ihres Imperiums zurückzugewinnen, ist ebenfalls nichts Neues. Man muss auch kein Hellseher sein, dass weitere schwelende Konflikte, beispielsweise im Kosovo oder Bosnien früher oder später wieder akut werden, solange die Ursachen für die Auseinandersetzungen nicht gelöst sind.

Geografisches Glück

Die Kampfjet-BefürworterInnen haben versucht, diese Verunsicherung für sich zu nutzen: «Die Konflikte an den Rändern Europas rücken immer näher.» Wie dieses N.herrücken genau vonstatten gehen würde, konnten aber niemand erklären. Man war versucht anzunehmen, dass sich die Ränder Europas aufgrund plattentektonischer Verschiebungen immer näher zu uns bewegen. Die Realität ist, dass die Schweiz das Glück hat, dass die Konflikte in ihrer Umgebung endgültig gelöst sind. Westeuropa befindet sich in einer Situation wie die Schweiz um 1920: Siebzig Jahre zuvor führten die Kantone noch Krieg gegeneinander, aber niemand konnte sich eine Wiederholung eines bewaffneten Konfliktes vorstellen oder hatte ein Interesse daran.

Märchenstunde bei der NZZ

Im Kampfjet-Abstimmungskampf versuchte einzig die NZZ, ein konkretes Bedrohungsszenario zu formulieren. Die Ereignisse würden so ablaufen: Der Konflikt zwischen Griechenland und der Türkei schaukelt sich immer weiter hoch. Frankreich stellt sich auf die Seite Griechenlands. Erdogan will Vergeltung üben. So weit, so plausibel. Wie bringt die NZZ nun aber die Schweizer Luftwaffe ins Spiel? Hier kippt das Drehbuch ins Skurrile. Die Türkei fasst nun gemäss dem Szenario den Plan, mit Kampfjets quer über den Balkan und die Alpen nach Frankreich zu fliegen und dort einige Ziele zu bombardieren. Das NZZ-Drehbuch zeigt unabsichtlicherweise, warum das VBS sich im Kampfjet-Abstimmungskampf davor hütete, halbwegs konkrete Bedrohungsszenarien zu diskutieren. Man muss nicht Experte oder Expertin sein, um zu erkennen, dass so eine Mission komplett unrealistisch ist. Natürlich wird die Türkei nicht über mindestens vier Länder – zwei davon Nato-Staaten fliegen, um Frankreich eins auszuwischen. Abgesehen vom diplomatischen Schlamassel, den sich Erdogan damit aufhalsen würde: Für diese Operation bräuchte es eine ganze Kaskade von Tankflugzeugen, die eine Teilstrecke mitfliegen müssten. Wenn nicht die türkischen Kampfjets selbst ziemlich bald abgefangen würden, dann ganz sicher die Tankflugzeuge. Verantwortung tragen Die Schweiz ist zwar militärisch durch die aufflackernden Konflikte nicht bedroht. Wir tragen dennoch eine Verantwortung. Wir liefern Kriegsmaterial, auch in den Kaukasus, das Baltikum oder die Ägäis. Und wir haben keine Kontrolle darüber, wenn unsere Finanzinstitute die Waffengeschäfte von Autokraten mitfinanzieren. Gleichzeitig muss die Schweiz ihre guten Dienste und ihre Aktivitäten in der zivilen Friedensförderung massiv ausbauen. Im eigenen Interesse, aber auch zum Schutz der Menschen in den betroffenen Regionen.

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