Ein Jahr Krieg

Rund 200 Personen versammeln sich am 22. Februar auf dem Waisenhausplatz in Bern. Es ist regnerisch, grau, kalt. Die Wetterkonditionen sind jedoch nicht das, was den Friedensaktivist*innen an jenem Tag am meisten zu schaffen macht. Ein Text über den Hauptschauplatz konsequent antimilitaristischer Friedenspolitik. 

“Könnte Putin seinen Krieg noch finanzieren ohne die Abermilliarden, die ihm in den letzten Jahren aus der Schweiz zufliessen? Könnte Putin seine Bomber noch starten ohne die Schweizer Dual-Use-Maschinen, mit denen er Triebwerke herstellt?», sind die Einstiegsfragen, die Jo Lang in die Menge ruft. Es sind diese Fragen, die seit dem grausamen Angriff Russlands auf die Ukraine in der Schweiz unbeantwortet bleiben. Die bürgerliche Mehrheit im Schweizer Parlament versucht seit Februar 2022 alles, um von der Rolle und Verantwortung der Schweiz in diesem Krieg abzulenken. Vorzugsweise wurde über Munitionslieferungen, Nichtwiederausfuhr-Erklärungen, Panzer-Ringtausche und über die Erhöhung des peinlich tiefen Beitrags humanitärer Hilfe gesprochen. Der Finanzplatz, der Kohle- und Ölhandel, die Oligarchenmilliarden, russische Dual-Use-Exporte und Handelsbeziehungen zur Entourage Putins wurden gekonnt diskursiv umgangen. 

Die 200 Friedensaktivist*innen auf dem Waisenhausplatz haben genug. Ein Jahr nach dem 24. Februar ist es an der Zeit, dass die Schweiz ihre Verantwortung als Brennpunkt der russischen Oligarchengelder und des Transithandels mit russischen Rohstoffen wahrnimmt. Vor Kriegsausbruch stammten rund 1/3 der Staatseinnahmen Russlands vom Export fossiler Energieträger, insbesondere Öl und Gas. 60 Prozent der fossilen Exporte, so die Nichtregierungsorganisation Public Eye, sind dabei über die Schweizer Umschlagsplätze – Zug, Genf, Lugano, Luzern – gehandelt worden. Erst kürzlich rügte das amerikanische Aussenministerium die Schweizer Regierung. Die Sanktionen würden nicht genügend strikt umgesetzt, zu wenig Transparenz, zu wenig Wille, die Oligarchengelder konsequent einzufrieren.

Abgespiesen werden jene, welche einen Stopp der Kriegsfinanzierung Russlands aus der Schweiz fordern, mit einer Erhöhung der humanitären Hilfe. Ein Realitätscheck zeigt jedoch: Die Schweiz ist international eines der Schlusslichter, insbesondere in Anbetracht des Schweizer Reichtums, was die finanzielle Unterstützung der Ukraine betrifft. 

Dieser Umstand ist nur ein Grund von vielen, weshalb Kundgebungen wie diese zentral sind. Wir dürfen nicht aufhören, dort den Finger draufzulegen, wo Bürgerliche eine scheinbare Generalamnesie erfahren haben. Reden wir darüber, was wirklich wichtig ist.