In Europa praktisch abgeschafft

Ein Blick auf die Europakarte zeigt, dass die Wehrpflicht in den meisten europäischen Ländern bereits abgeschafft ist. Und in weiteren Staaten wird sie wohl bald aufgehoben sein. Eine Übersicht.

Die Liste ist lang: Grossbritannien, Irland, Frankreich, Spanien, Portugal, Italien, die Niederlande, Belgien, Dänemark, Bulgarien, Ungarn, Tschechien, Slowenien, die Slowakei, Rumänien, Polen, Lettland, Litauen und seit diesem Juli auch Schweden – all diese Länder kennen keine Wehrpflicht mehr. Und in weiteren Staaten wird heftig debattiert, ob die Wehrpflicht in Zukunft noch gelten soll.

Beispielsweise in Deutschland: «Faktisch wird die Wehrpflicht in zehn Jahren wohl abgeschafft sein», meint Karl-Theodor zu Guttenberg, CDU-Verteidigungsminister. Er sieht aufgrund der rigorosen Sparziele seiner Regierung keine Möglichkeit mehr, an der Wehrpflicht festzuhalten. In den eigenen Reihen erntet er dafür Kritik. Sein Parteikollege, der saarländische Ministerpräsident Müller, entgegnete, dass die Wehrpflicht «ein Stück Identität» der CDU sei. Doch der Koalitionspartner der Regierung von Angela Merkel, die FDP, votiert für ein Aussetzen der Wehrpflicht. Es ist daher gut möglich, dass in Deutschland die Wehrpflicht nicht mehr lange bestand haben wird. Auch in Österreich läuft die Debatte um die Wehrpflicht. Die Grünen und die rechtspopulistische BZÖ votieren gegen das Modell des Massenheeres. Im Vergleich zu Deutschland wird aber weniger über die Kosteneinsparung gesprochen. Viele fürchten den Verlust eines «gemeinschaftlichen Dienstes». Deshalb konnten sich die österreichischen Sozialdemokraten noch nicht zu einem Nein zur Wehrpflicht durchringen.

Auch in Russland sind die Tage der Wehrpflicht gezählt. Die Aufhebung ist bereits beschlossene Sache, es fehlt nur noch die Unterschrift des Präsidenten unter das Gesetz.

Schrumpfende Armeen

Das in ganz Europa allgemein verbreitete Phänomen der schrumpfenden Armeen ging auch an Schweden nicht spurlos vorbei. Der Oberbefehlshaber der schwedischen Streitkräfte Sverker Göranson reagierte auf Kritik an seiner Armee und meinte, dass man mit spannenden Aufgaben locken und Ausbildungen anbieten müsse, die auch im zivilen Leben hilfreich sein können – mit einem Massenheer ist das natürlich nicht möglich. Und so kam es, wie es kommen musste: Das schwedische Parlament stimmte am 1. Juni 2010 für die Abschaffung der Wehrpflicht.

Somit ist klar: Die momentanen Sparpläne und der allgemeine Trend zu kleineren Armeen (Panzerschlachten gegen den roten Feind aus dem Osten sind selbst für die Armeeplaner langsam passé) führen weg von der allgemeinen Wehrpflicht.

Ein rauher Wind

Den letzten Vertretern der Wehrpflicht weht in ganz Europa ein rauher Wind ins Gesicht. Es liegt nun an der Schweizer Bevölkerung, die direktdemokratischen Möglichkeiten zu nutzen und einen Beitrag zur europäischen Debatte zur Abschaffung der Wehrpflicht zu leisten. Die Zeichen der Zeit stehen sehr gut, denn die Wehrpflicht ist zum allgemeinen Auslaufmodell verkommen. Es ist die Ironie des Schicksals, dass es in einigen Ländern die Finanzkrise braucht, damit die ehemals liberalen Kräfte sich mit den Linken zusammentun, um ein urliberales Anliegen, nämlich die persönliche Freiheit und damit die Abschaffung der Wehrpflicht, umzusetzen.