In Genf demonstrierten 100’000 Menschen gegen das Treffen der mächtigsten Regierungschefs. Ein grosser Mobilisierungserfolg – wie schon das Sozialforum in Florenz. Der Unterschied: In Genf kam es zu massiven Ausschreitungen.
Das Treffen der Staatschefs der acht reichsten Länder in Evian war eine Gelegenheit, die tagtägliche Gewalt der Mächtigsten der Welt zu kritisieren: Einerseits die «strukturelle» Gewalt, die Ursprung der Armut ist, als deren Folge täglich tausende von Menschen sterben. Dies, weil den Menschen Nahrung oder elementare medizinische Versorgung fehlen oder weil sie das Elend dazu zwingt, lebensgefährliche Risiken auf ihrer «Reise der Hoffnung» in die reichen Länder auf sich zu nehmen. Andererseits die «direkte Gewalt», die Tausende von Kriegsopfern fordert und im Zeitalter des «Krieges gegen Terror» wieder schreckliche Normalität wird.
Breite Moblisierung…
Heute müssen wir eine durchzogene Bilanz der Anti-G8-Aktivitäten ziehen. Äusserst positiv ist die breite Mobilisierung: Trotz widrigen Umständen nahmen gegen 100’000 Menschen an der Kundgebung teil. Dass das Treffen zwischen George W. Bush und Couchepin nicht zustande kam, war auch erfreulich.
Negativ waren die Ausschreitungen. Schlimmer als der materielle ist dabei der politische Schaden. Warum sind die Gegenaktivitäten beim G8-Gipfel in Genf und beim europäischen Sozialforum in Florenz so unterschiedlich verlaufen? Auch wenn die Inhalte verschieden waren (Aufbau eines anderen Europas auf der einen, Widerstand gegen den G8-Gipfel auf der anderen Seite), war der repressive Sicherheitsdiskurs im Vorfeld vergleichbar: Das Demonstrationsrecht wurde grundsätzlich in Frage gestellt, die Medien malten den Teufel an die Wand (Horden von wilden Randalierern würden die Kunstschätze von Florenz plündern…), die Geschäfte und Banken wurden verbarrikadiert. In Florenz verliefen die Protestaktivitäten völlig friedlich und waren ein enormer Erfolg für die globalisierungskritische Bewegung. Die Regierung von Berlusconi, die rechten Parteien, die Medien und die Ladenbesitzer standen mit ihrer Schwarzmalerei im Regen. Eine Wiederholung der Ausschreitungen von Genua hätte Berlusconi einen Freipass für eine noch repressivere Politik gegeben. Vielleicht hat der gewaltfreie Verlauf mit der historisch bedingten höheren Sensibilität gegenüber der Gewaltfrage in Italien zu tun. Dabei spielen nicht nur die christlich-moralischen Strömungen in der Bewegung eine Rolle, sondern auch die Erfahrungen mit dem Scheitern des gewalttätigen linken Radikalismus in den siebziger Jahren.
…und politischer Schaden
In Genf wurde die Gelegenheit verpasst, das militarisierte Sicherheitsdispositiv ins Leere laufen zu lassen. Die Ausschreitungen lieferten die Begründung für eine massive Beschränkung des Demonstrationsrechtes und das Konzept einer «Null-Toleranz» wurde in Genf ganz plötzlich mehrheitsfähig. Wir werden in der Schweiz zukünftig mit neuen Projekten einer Bundespolizei konfrontiert sein und die Armee sieht ihre Zukunft in einem verstärkten Engagement im Bereich der inneren Sicherheit.
In der globalisierungskritischen Bewegung in der Schweiz wird die Diskussion über Gewalt zu wenig geführt. Das «Oltner Bündnis» konnte sich vor der WEF-Demo in Davos nicht darauf verständigen, alle Gewaltanwendungen und Sachbeschädigungen konsequent zu verurteilen. Das «Genfer Sozialforum» als Organisator der Demonstration gegen den G8-Gipfel war glücklicherweise deutlicher: «Wir wenden uns gegen alle Übergriffe auf Personen und Sachen, sowohl während der Kundgebung wie auch während der Blockade-Aktionen. Wir bemühen uns – insbesondere durch die Wahl der Örtlichkeiten – die Gefahr von Provokationen und Manipulationen zu vermeiden.»
Die Ausschreitungen entsprachen nicht der Absicht der OrganisatorInnen. Was bleibt zu tun? Man muss wahrscheinlich den Organisationsdienst bei Kundgebungen verbessern, kann und soll aber keinen Repressionsapparat innerhalb der Bewegung aufbauen. Das wäre das Ende einer offenen Bewegung. In erster Linie ist eine inhaltliche Diskussion und ein breiteres Bewusstsein über die fatalen politischen Auswirkungen der Gewaltspirale notwendig. Es muss für mehr Menschen klar werden, dass wir damit nichts zu gewinnen haben.