Schweizer Rüstungsindustrie

Wer ist unsere Waffenindustrie? Welche Geschäfte macht sie? In was für Skandale ist sie verstrickt? Eine Übersicht.

Das Imperium – Die RUAG

Kein Schweizer Rüstungsunternehmen stellt so viele Waffen her wie die RUAG. Keines ist so oft in Skandale verwickelt. Und keines wird häufiger Ziel von Protesten.

Als Bundesrat Ogi am 3. November 1998 in einem feierlichen Akt in der Festhalle Luzern die vier Rüstungs- und Unterhaltsunternehmen der Gruppe Rüstung zu einer Aktiengesellschaft namens RUAG Holding fusionierte, entstand damit der grösste Waffenkonzern, den die Schweiz bisher gesehen hat. Der Zusammenschluss geschah nicht freiwillig: Der Druck der Globalisierung nimmt auch im Schweizer Wehrgeschäft zu und die Hauptkundin – die Schweizer Armee – vergibt je länger je weniger Aufträge.

Der Bundesrat legte für die RUAG eine neue Konzernstrategie fest: Die Abhängigkeit vom Bund soll verringert und neue Märkte erobert werden. Während im klassischen Armeewaffengeschäft laufend Produktionskapazitäten und damit Arbeitsplätze abgebaut werden, kauft sich das Unternehmen in neue Geschäftfelder ein. Seit der Übernahme von Dynamit Nobel und ähnlicher Firmen ist die RUAG zum grössten Hersteller von Kleinkalibermunition in Europa geworden. Zugleich wurde der Flugzeugbereich ausgebaut, in erster Linie mit dem Kauf von Teilen der konkursiten Dornierwerke im deutschen Oberpfaffenhofen.

Neue Märkte, neue Skandale

Zuerst richtete der Waffenkonzern seine Expansionspläne vor allem in Richtung Naher Osten, wo insbesondere mit Jordanien, Israel und den Vereinigten Arabischen Emiraten eine intensive Zusammenarbeit gepflegt wird. Seit der «Krieg gegen den Terror» den westlichen Staaten eine neue Legitimation zur Aufrüstung liefert, läuft aber auch hier das Geschäft wieder besser. Kurz vor und sogar während des Irak-Krieges lieferte die RUAG Handgranaten an die britische Armee sowie Mörser, Luft-Boden-Raketen und F/A-18-Ersatzteile an die US-Streitkräfte. Die SP reichte in der Folge Strafanzeige wegen Verstoss gegen das Kriegsmaterialgesetz ein. Die Klage gegen das Rüstungsunternehmen versandete jedoch ergebnislos. Das Verfahren gegen die RUAG wegen systematischer Korruption bei der Versteigerung von ausgemustertem Armeematerial hingegen ist noch in vollem Gange.

Es verwundert nicht, dass die RUAG in den letzten Jahren zum Hauptziel von Protesten gegen die Kriegsindustrie geworden ist. Das Spektrum der Aktionsformen reichte dabei von der Mahnwache über die klassische Demonstration bis zum Brandanschlag. Auch die GSoA wird die Entwicklung der RUAG weiterhin kritisch verfolgen.

Exportsieger mit düsterer Tradition – Oerlikon Contraves

Die Oerlikon Contraves ist momentan diejenige Schweizer Firma, welche am meisten Rüstungsgüter ins Ausland exportiert. Mit ihren Flugabwehrsystemen ist sie unangefochtener Weltmarktführer. Mehr als 40 Länder besitzen die Flab-Geschütze der Contraves.

Der Erfolg der Contraves-Kanonen gründet in erster Linie auf die Zeit des Zweiten Weltkriegs, als die damalige Oerlikon-Bührle die Wehrmacht mit Unmengen von Geschützen und Munition belieferte. Zweimal bombardierten die Alliierten deshalb «versehentlich» das Zürcher Quartier Oerlikon. Der damalige Besitzer Emil G. Bührle vergrösserte von 1940 bis 1944 sein persönliches Vermögen von 24 auf 127 Millionen Franken. Die Zeitung «Nation» nannte ihn «den grössten und skrupellosesten Kriegsgewinnler unseres Landes».

Auch später machte sich die Contraves in aller Welt zum Ziel von Protesten, beispielsweise als sie trotz des Uno-Embargos Kanonen an die Apartheid-Regierung in Südafrika lieferte.

Per Du mit Augusto Pinochet – Die MOWAG

Als Dank für die Jahrzehnte lange Freundschaft lud die MOWAG AG im Juni 1994 den chilenischen General und Diktator Augusto Pinochet Ugarte, unter dem Siegel strengster Verschwiegenheit, zum Privatbesuch nach Kreuzlingen ein. Ein symptomatischer Vorgang.

1973 setzte eine Junta unter General Augusto Pinochet mit einem Putsch gegen die Regierung Salvador Allendes der demokratischen Tradition Chiles ein blutiges Ende. Angesichts der grausamen Verfolgung jeglicher Opposition und der brutalen Folter, der Tausende zum Opfer fielen, beschloss der Bundesrat in der Folge eher widerwillig ein Waffenexportverbot gegen die Militärdiktatur des südamerikanischen Landes. Das Verbot war schnell ausgehebelt: Die MOWAG brachte die Konstruktionspläne für ihre «Piranhas» nach Chile und liess dort die Radschützenpanzer von staatlichen Rüstungsunternehmen in Lizenz herstellen.

Von nun an konnte die MOWAG problematische Kunden an ihren Ableger in Südamerika verweisen und so das Schweizer Waffengesetz bequem aushebeln. Die zur Bekämpfung von inneren Unruhen sehr beliebten Kreuzlinger Panzer wurden in der Folge von Chile aus an Militärdiktaturen in ganz Südamerika verkauft.

Die Lizenzproduktion macht Schule

Nach dem erfolgreichen Versuch in Chile weitete die MOWAG ihre Lizenzproduktion auf weitere Länder aus, darunter Brasilien, Argentinien, Kanada und Grossbritannien. Produkte der MOWAG wurden oder werden eingesetzt untern anderem von den Regimes in Argentinien, Bolivien, Brasilien, Chile, Griechenland, Irak, Liberia, Nigeria, Peru, Saudi-Arabien und Sierra Leone.

Seit 2003 gehört die Ostschweizer Firma zu General Dynamics, einem der grössten Rüstungskonzerne der Welt. Heute sind in Kreuzlingen noch ungefähr 560 Menschen angestellt, die vor allem Fahrzeuge für die Schweizer und andere europäische Armeen produzieren sowie an der Weiterentwicklung der Panzer arbeiten.

Von Stans nach Chiapas – Die Pilatus Flugzeugwerke

Vom 5. bis zum 11. Januar 1994 bombardierte die mexikanische Luftwaffe mit PC7-Flugzeugen der Stanser Pilatuswerke mehrere Dörfer der aufständischen Provinz Chiapas. Verschiedene Quellen berichteten von mehreren hundert Toten unter der Zivilbevölkerung. Die offizielle Schweiz zeigte sich erstaunt und besorgt, waren die PC7 doch als Trainings- und nicht als Kampfflugzeuge deklariert worden und unterlagen deshalb nicht dem Waffenausfuhrgesetz. Die mexikanische Luftwaffe selber hingegen hatte die PC7 schon immer als ihre Hauptwaffe bezeichnet, besonders geeignet zur Aufstandsbekämpfung.

Momentan stellt Pilatus vor allem Privatflugzeuge her. Mit der Markteinführung des neu entwickelten PC-21 wird sich das Gewicht wieder auf militärische «Trainingsflugzeuge» verlagern.

Zu den Pilatus Flugzeugen, siehe auch Zeitung März 2005.

Getränkeverpackungen statt Sturmgewehre – Die SIG

Während beinahe eineinhalb Jahrhunderten produzierte die Schweizerische Industrie-Gesellschaft SIG in Neuhausen SH Hunderttausende von Karabinern, Pistolen und Sturmgewehren. In mehr als 50 Länder wurden die Waffen verkauft. Kein Bürgerkrieg, in dem nicht mit den begehrten SIG-Gewehren getötet wurde.

Mit dem Ende der Produktion des Sturmgewehrs für die Schweizer Armee im Jahr 2000 hat die SIG jedoch beschlossen, die Herstellung von Waffen einzustellen und sich ganz auf das Geschäft mit Getränkeverpackungen zu konzentrieren. Mit dem Verschwinden der Gewehre aus Neuhausen vom Weltmarkt ging eine düstere Epoche der helvetischen Waffengeschichte zu Ende. Dass einer der grössten Schweizer Rüstungskonzerne sich vollständig von der Waffenproduktion trennt und zum führenden Anbieter in einem zivilen Geschäft wird, lässt hoffen und zeigt, dass der Verzicht auf die Herstellung von Rüstungsgütern nicht zu einem Arbeitsplatzabbau führen muss. Im Gegenteil, die Umstellung auf zivile Produkte eröffnet neue Möglichkeiten, die gesellschaftlich und schlussendlich auch wirtschaftlich nachhaltiger sind.

Die unauffälligen Nischenfirmen und Zulieferer

Neben den grossen Konzernen haben sich auch eine ganze Reihe von kleineren Schweizer Unternehmen ihre Nischen im Wehrgeschäft erobert. Dazu zählen beispielsweise: Die Aeromiltec in Basel, die Helme und Anti-G-Anzüge für Kampfflieger herstellt; die Wavecom Elektronik AG in Bülach ZH, welche im Bereich der elektronischen Kriegsführung tätig ist; die Vectronix AG in Heerbrugg SG, welche militärische Nachtsichtgeräte liefert, unter anderem auch an die US-Armee; die I.L.E.E. AG in Urdorf, welche Ziellaser für Gewehre herstellt oder Brügger & Thomet aus Thun, die diverses Waffenzubehör verkauft. Auch Siemens Schweiz und die Ascom haben eigene Rüstungsabteilungen.

Ebenfalls nur selten stehen die Zuliefererfirmen der Waffenkonzerne im Rampenlicht. Besonders grosses Exportvolumen wiesen im Jahr 2002 die folgenden Firmen auf: Die Hartchrom AG in Steinach, welche spezielle Metallteile wie Kanonenrohre herstellt; die Nitrochemie AG in Wimmis AG, die Sprengstoffe verkauft sowie die Precicast S.A. in Novazzano TI und die Jean Gallay SA in Genf, welche beide Turbinenteile für Kampfflugzeuge fertigen. Weniger umsatzstark, dafür technologisch umso bedeutender sind die Produkte wie die Zünder der EMS Patvag, die Sensoren für «Smart Bombs» der Colibrys SA in Neuchâtel oder die Cockpitinstrumente von Revue Thommen aus Waldenburg BL. Sowohl Nestlé wie auch ABB machten in den vergangenen fünf Jahren mit dem Pentagon Geschäfte im Umfang von je mehr als 100 Millionen Dollar.