Vom russischen Autor Lew Nikolajewitsch Graf Tolstoi (1828-1910) kennt man vor allem die Romane «Krieg und Frieden» oder «Anna Karenina». Doch auch in seinen Tagebüchern brilliert Tolstoi mit seinem Sinn für genaue Beobachtung. Eine Begegnung mit Schweizer Soldaten bewegte ihn zu einem Tagebucheintrag.
Lew Tolstoi entstammte einem russischen Adelsgeschlecht uralter Tradition. So kann es denn auch nicht weiter erstaunen, dass er als Offizier der zaristischen Armee zwischen 1851 und 1856 in verschiedenen Kriegen kämpfte. Er erlebte die Kämpfe im Kaukasus und nahm am Krimkrieg zwischen Russland und dem Osmanischen Reich teil.
In den 1880er Jahren wurde Tolstoi dann zu einem der führenden Sprecher des religiös begründeten Pazifismus. Diesem zufolge lassen sich Krieg und Militarismus unmöglich mit den Lehren Jesu und dem christlichen Kerngedanken der Nächstenliebe vereinbaren. Tolstoi kämpfte gegen die Kirchenführer seiner Zeit, die nur allzu oft die Kriegstreiberei der eigenen Nation entschuldigten. Dem stellte Tolstoi die simple christliche Weisheit entgegen, dass man dem Bösen niemals mit Gewalt begegnen kann.
In der Schrift «Was ist Religion und worin besteht ihr Wesen?» begründet Tolstoi seinen Pazifismus: «Nur ‘wer ausharret, wird erlöst’ steht in der christlichen Lehre, und dies ist eine nicht zu bezweifelnde, wenn auch für die Menschen schwer verständliche Wahrheit. Böses nicht mit Bösem zu vergelten und am Bösen nicht teilzunehmen, ist das sicherste Mittel, nicht nur der Errettung, sondern auch des Sieges über diejenigen, die Böses schaffen.»
Tolstois Schweizerreise
Zwischen seinem Kriegsdienst als Offizier und seiner Hinwendung zum religiösen Pazifismus lagen Tolstois grösste literarische Erfolge. «Krieg und Frieden» (1868) und «Anna Karenina» (1877) sind die bekanntesten Werke des russischen Schriftstellers.
Unmittelbar nach seiner Entlassung aus der zaristischen Armee reiste er aber zunächst in Westeuropa umher. Über Warschau und Paris gelangte Tolstoi 1857 in die Schweiz, wo er sich für längere Zeit in Genf aufhielt. Von dort aus unternahm er auch, zusammen mit seinem jugendlichen Wandergefährten Sascha, einen längeren Ausflug in die Berner Alpen. Über Montbovon im Kanton Fribourg und Chateau d’Oex im Saanetal, wanderten sie schliesslich durch das Simmental nach Interlaken. Auf dieser Reise trafen sie auf das Schweizer Militär, wie Lew Tolstoi in seinem Tagebuch festhielt:
Mögen seither auch fast 150 Jahre vergangen sein, Lew Tolstois Charakterisierung der Schweizer Armee ist noch so pointiert und treffend wie an dem Tag, als sie niedergeschrieben wurde.