Normalität des Krieges

In kaum einem Lebensbereich sind unsere Werthaltungen so sehr pervertiert worden wie im Bereich des Militärischen

Wer im Zivilleben einem Mitmenschen nach dem Leben trachtet, gilt als verabscheuenswürdig. Wer es im Krieg mit grossem Erfolg tut, wird mit Orden behängt und als Held verehrt.

Bei privaten Tötungsdelikten ist schon die Vorbereitungshandlung strafbar. Doch das Üben von kriegerischen Handlungen gilt als Bürgerpflicht.

Genauso verhält es sich bei der Beihilfe: Eine Firma, die privaten Mördern logistische und technische Hilfe anbieten würde, hätte sofort die Staatsanwaltschaft am Hals. Doch Waffenlieferungen an Staaten, die Kriege führen oder vorbereiten, gelten als legitim.

Die Europäische Menschenrechtskonvention verbietet die Zwangsarbeit. Doch für den Zwang zum Militärdienst, mithin ein Zwang zum Töten, ist eine Ausnahme vorgesehen.

Im Zivilleben gilt als couragiert, wer sich von den Untaten in seinem Umfeld distanziert. Doch im Militär wird statt des Deserteurs der Konformist für mutig gehalten. Dem kartesischen «Ich denke, also bin ich» steht das militärische «Ich bin Soldat, also denke ich nicht» gegenüber.

Oft wird die seltsame Soldaten-Moral mit der Notwendigkeit begründet, sich gegen fremde Angriffe zu verteidigen. Nun kennen wir auch in der zivilen Moral das Recht auf Selbstverteidigung. Doch sind wir deshalb etwa der Meinung, die Menschen sollten jederzeit dazu bereit sein, ihren Nächsten zu töten, und wir müssten ihnen in obligatorischen Seminaren die natürliche Hemmung vor der Gewaltanwendung nehmen?

Oft wird der Antimilitarismus mit dem ethischen Pazifismus gleichgesetzt und als lebensferne Utopie abgetan. Das ist falsch. Der radikale Pazifismus verlangt, dass wir die andere Wange hinhalten, wenn wir geschlagen werden. Der Antimilitarismus verlangt, dass wir nicht schon die Hand zum Gegenschlag erheben, wenn weit und breit niemand zu sehen ist, der die Absicht hätte, uns zu schlagen.

Es wird behauptet, wir müssten schon in Friedenszeiten eine Armee haben, um uns in Kriegszeiten verteidigen zu können. Doch sind nicht die meisten Kriege von Staaten angezettelt worden, die ihr Militär mit genau diesem Argument aufgebaut haben? Die Ideologie der legitimen Selbstverteidigung entwickelt eine Eigendynamik, die in Angriffskriege mündet.

Die heutige Welt hochgerüsteter Staaten ist wie eine Gesellschaft, in der die Menschen jedes Mal die Waffe aufeinander richten, wenn sie sich begegnen – das Gegenüber könnte ja die Absicht haben, einem Gewalt anzutun. Es mag Mut erfordern, sich in einer solchen Welt als Einzelgesellschaft zu demilitarisieren. Doch es ist diese Art von Mut, welche die Welt zu einem angenehmeren Lebensraum machen könnte.

Die vollständige Verrechtlichung der internationalen Beziehungen im Rahmen eines demokratisch kontrollierten Systems kollektiver Sicherheit wird oft als undenkbar dargestellt. Doch war es im Mittelalter nicht genauso undenkbar, dass die Schweiz zu einem einzigen Rechtsraum mit Gewaltmonopol und demokratischer Gesetzgebung werden könnte?

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