Obligatorische Militärpropaganda

Die Existenz der Wehrpflicht verschafft der Armee und dem militärischen Denken einen direkten Zugang zu den männlichen Jugendlichen der Schweiz. Ein Beispiel für den häufig unterschätzten Einfluss des militärischen Zwangs ist der Orientierungstag.

Er erscheint gewöhnlich und unspektakulär und doch ist er ein Herzstück militärischer Propaganda: Der Orientierungstag. Alle Jugendlichen eines Jahrgangs erhalten im Alter von 18 Jahren einen Brief, mit dem die Behörden sie zu einem obligatorischen Orientierungstag aufgebieten. An diesen kantonal organisierten Tagen werden die jungen Männer und die allen – falls interessierten Frauen über den Militärdienst «orientiert». Das VBS zeigt teuer produzierte Propagandafilme und Bilder von lächelnden jungen Frauen und Männern in Uniform. Flugzeuge, Panzer und Explosionen erinnern an einen Actionfilm und haben mit dem realen Militärdienst wenig zu tun. Es werden auch Bilder von Naturkatastrophen in der Schweiz präsentiert auf denen Soldaten eifrig Schutt wegräumen und die Bevölkerung unterstützen, obwohl die Armee für solche Aufgaben in den letzten beiden Jahren nur 1000 Diensttage von total 12’650’000 aufwendete. Die Armeeangehörigen passen sich der Hochglanz-Propaganda auch selber an: Die anwesenden hochrangigen Militärs geben sich umgänglich und kollegial. Geschrei und sinnlose Befehle sparen sie für die Rekrutenschule auf. Meist wird auch der Zivilschutz kurz erklärt, und wenn man Glück hat, gibt es sogar einige knappe Worte über den Zivildienst, je nach Lust und Laune der zuständigen Militärs.

Zivildienst: Kein Thema

Dass es neben dem Militärdienst auch andere Möglichkeiten gibt, die Dienstpflicht zu erfüllen, interessiert die Militärs nicht. So bleibt es den Zivildienstwilligen selbst überlassen, sich darüber zu informieren, wie sie weiter vorgehen müssen. Viele junge Menschen wissen vor Beginn der RS noch nicht, was mit dem Militärdienst auf sie zukommt. Die Armee versucht mit der Propaganda-Show ein verklärtes Bild des Militärdienstes zu verstärken. Die Unvereinbarkeit des eigenen Lebens und Gewissens mit der Militärdienstpflicht wird häufig erst im Verlauf des Militärdienstes erkannt.

Anfang April hat die Sicherheitspolitische Kommission des Nationalrates eine parlamentarische Initiative angenommen, welche die Möglichkeit, in den Zivildienst zu wechseln auf die Zeit vor der Rekrutierung beschränken will. Sollte das Parlamet diese Initiative in der Sicherheitspolitischenkommission des Ständerats anehmen, bedeutet dies einen Rückfall in die Zivildienst-Steinzeit. Das Recht, jederzeit ein Zivildienstgesuch zu stellen, existiert seit Einführung des Zivildienstes im Jahre 1992. Einmal mehr muss daran erinnert werden, dass die Schweiz das zweitletzte Land Europas (vor Weissrussland) war, das erst nach jahrzehntelangem Kampf einen Zivildienst eingeführt hat. Es ist deshalb äusserst wichtig, den jungen Dienst pflichtigen die Möglichkeit eines Zivildienstgesuches während der gesamten Militärdienstpflicht offen zu lassen. Sonst stehen wir wieder da, wo wir vor der Einführung des Zivildienstes standen: Entweder verweigert man oder sucht den Ausweg über den «blauen Weg».