Erhöhte Gewaltbereitschaft und das Aufleben extremistischer islamistischer Rechtsvorstellungen verdrängen Frauen und Mädchen im heutigen Irak aus der Öffentlichkeit und zwingen sie zu Hausarrest. Verzweifelt und wütend denken viele: «Wenn die Situation so bleibt, packen wir unsere Sachen und hauen ab!»
Von Nina Schneider, Frauenstimmen gegen den Krieg
Bis Anfang der 1990er Jahre – war das Leben für irakische Frauen nicht so. Anders als in vielen Nachbarstaaten hatten Frauen im Irak viele Rechte, gleicher Lohn für gleiche Arbeit, freie Berufswahl und auch eine hohe Alphabetisierungsrate. Schon in den 20er Jahren begannen die Frauen, in öffentlichen Positionen zu arbeiten, und seit den 70er Jahren sind Frauen und Männer in der irakischen Verfassung gleichgestellt. Frauen arbeiteten als Wissenschaftlerinnen, Ärztinnen und Ingenieurinnen. Sie erhielten fünf Jahre Schwangerschaftsurlaub, hatten seit 1980 das aktive und passive Wahlrecht und stellten in der Folge rund 20% der Parlamentssitze. Erst nach 1991, im Zuge des Embargos und der Sanktionen wurden Frauenrechte entlang der Verschlechterung der Lebensbedingungen eingeschränkt. Frauen wurden entlassen und Mädchen von den Schulen genommen. Die Versorgungsknappheit zwang sie, alle Energie ins Überleben, die Suche nach Wasser, Essen und ein wenig Geld zu stecken. Auch die Prostitution nahm als Einnahmequelle zu.
Ab Mitte 90er Jahre setzte Hussein eine frauenfeindliche Gesetzgebung durch, um auch fundamentalistische Gruppierungen hinter sich zu scharen. Polygamie wurde legalisiert, Schulen nach Geschlecht getrennt, und Frauen die selbständige Ausreise ins Ausland verboten. Längst überholt geglaubte traditionelle islamische Rechtsvorstellungen erhielten Zulauf und ein Religionsgesetz wurde erlassen, das u.a. Männern erlaubt, Frauen, die sexueller Freizügigkeit beschuldigt werden, zur «Ehrerhaltung» der Familie zu töten.
Aus solchen Gründen setzten viele Frauen grosse Hoffnung in die Absetzung Saddam Husseins. Nun werden ihre Hoffnungen zerschlagen: Obwohl Frauen ca. 65% der irakischen Bevölkerung ausmachen, sind sie im Wiederaufbau und der zivilen Übergangsregierung kaum anzutreffen. Es wurde zwar viel darüber verhandelt, alle verschiedenen Bevölkerungsgruppen und Religionen, die Schiiten, Sunniten, Türken, Kurden und Christen, in den Demokratisierungsprozess einzubeziehen, von Frauen war aber wenig die Rede. Auch im kürzlich gebildeten Verfassungsrat erhalten sie keinen Einsitz.
Dabei spielen Frauen weltweit in Friedensprozessen eine wichtige Rolle: In Mali und Liberia etwa haben Frauen zur Entwaffnung von Soldaten Kleinwaffen eingesammelt. Während der Regierung der Taliban in Afghanistan haben sie Schulen für Mädchen und Gesundheitsposten für Frauen aufrechterhalten und Einkommensmöglichkeiten in der Heimarbeit geschaffen. Nach dem Genozid in Ruanda gründeten 50 Hutu- und Tutsiwitwen gemeinsam eine Waisenorganisiation, die Kinder unabhängig ihrer Herkunft aufnehmen. Heute ist das eine Organisation mit mehr als 10’000 Mitgliedern, die Sozial- und Gesundheitsprojekte umsetzt.
Bremer organisiert die Frauenkonferenz
Seit Beginn des Krieges treffen sich weltweit Exil-Irakerinnen mit Frauenorganisationen, um die Chancen eines Regimewechsels für Frauen zu diskutieren. Es ist ihnen wichtig, Erfahrungen von Frauen im Kosovo und in Afghanistan zu analysieren, um einer Schwächung der irakischen Frauen durch die Beeinflussung internationaler Organisationen vorzubeugen. Mit Hilfe der UNO-Resolution 1325 wollen sie auf Regierungsbildung und Verfassungsgebung Einfluss nehmen und sich auf allen Entscheidungsebenen einbringen. Im Juli wollten sie in Bagdad einen dreitägigen Frauenkongress («tent meeting») realisieren, um die Teilnahme von Frauen am Wiederaufbau des Iraks zu diskutieren. Alles war organisiert, die Agenda geplant und die Workshops bereits überbelegt, als der amerikanische Zivilverwalter Paul Bremer plötzlich eine Verschiebung bis auf weiteres verlangte.
Da stellt sich die Frage, wieso Bremer überhaupt um Erlaubnis gebeten werden muss, wenn alle anderen politischen Gruppen sich ohne die Zusage der Besatzungsmacht treffen können? Die Begründung, dass die US-Regierung ein Treffen mit lokalen Frauen, dem von Exil-Irakerinnen vorziehe, ist zynisch, wenn sie gleichzeitig diverse Parteien aus dem Exil zurückrufen.
Zu guter Letzt wurde die international gelobte Frauenkonferenz von der Bremer-Administration selbst organisiert. Geladen wurden die regionale Vertreterin von UNIFEM und viele irakische und internationale UNO- und NGO-VertreterInnen. Unter dem Motto «Die Stimme von Frauen im Irak» fand die Veranstaltung hinter verschlossenen Türen statt. Keine einzige Frau aus der Basis- und Exil-Bewegung wurde eingeladen! Keine unabhängigen BeobachterInnen wurden zugelassen, nicht mal das UNO-Hochkommissariat für Menschenrechte.
Unter der Besatzung kein Platz für Frauen
Viele Frauen sind extrem frustriert, wie sie von der Diskussion über die Zukunft des Iraks ausgeschlossen werden, so auch die irakische Frauenrechtsaktivistin Yanar Mohammed. Sie kritisiert nicht nur, dass sie zusammen mit anderen Basisfrauen explizit von der Konferenz ausgeladen wurde, sondern auch die Haltung von Bremers Zivilverwaltung gegenüber Frauenforderungen generell. Die Situation von Frauen und ihre Verdrängung aus der Öffentlichkeit würden nicht ernst genommen. Auch die Berufung von drei irakischen Frauen in den «Regierenden Rat» sei ein reiner Alibiakt. Diese Frauen seien nicht gewählt, sondern von Bremer selbst ernannt worden. «Die Frauen sind völlig unbekannt und keineR weiss etwas über ihre Agenda. Meiner Meinung nach dienen sie einzig zur Dekoration des «Regierenden Rates», der ja selbst keine Entscheidungsmacht hat», führt Yanar weiter aus.
«Im Gegensatz zu dem was uns westliche Medien glauben machen wollen, hat uns der Sturz Saddam Husseins weder neuen Freiheiten, noch Freude und Solidarität gebracht», meint auch Azar Majedi von der «Iraqi Women’s Right Coalition»: «Der Grund dafür ist einfach. Der Sturz des Unterdrückungsregimes ist kein Resultat einer Revolution, von organisierten Menschen, sondern die militärische Aggression einer Supermacht. Diese verhindert nicht nur jegliche aktive Beteiligung der Bevölkerung, sondern drängt sie in Hilflosigkeit, Verzweiflung und fördert ein Klima von Hoffnungslosigkeit und Angst. Das Machtvakuum dient einzig dem kurdischen und arabischen Nationalismus und dem politischen Islam.»
Konkreter Druck notwendig
Die Zivilbevölkerung ist zersplittert, bestätigt auch Nadia Mahmood von der «Organization of Women’s Freedom in Iraq» (OWFI). Opportunistische reaktionäre Bewegungen wüssten die berechtigte Ablehnung gegen die anglo-amerikanische Besetzung aufzufangen und zu eigenen Zwecken zu manipulieren. Der politische Islam werde zum Symbol des Widerstands. Das sei alarmierend. Denn das Machtvakuum würde nun von Politikern gefüllt, die versuchen rückwärtsgewandte islamische Moral als Staatsgrundlage zu verankern.
OWFI versucht nun Frauen zu mobilisieren und kämpft für Frauenrechte und den Einbezug in alle ökonomischen, politischen und sozialen Entscheidungsgremien. Sie stellt sich ausdrücklich gegen die Einführung der Sharia und fordert eine humanistische Gesetzgebung und bedingungslose Gleichberechtigung, die auf dem Selbstbestimmungsrecht für Frauen basiert, eine säkulare Verfassung, mit Trennung von Religion und Staat, und die ausdrückliche Verurteilung und Verfolgung von Gewalt gegen Frauen und «Ehre-Morden».
Ohne Unterstützung breiter internationaler Bewegungen und Druck auf die Zivilverwaltung Bremers, werden die Frauen weder den geforderten Zugang zu allen Entscheidungsgremien noch Einsitz im neu geschaffenen Verfassungsrat erhalten. Man möchte glauben, Erfahrungen aus Bosnien, Kosovo, Afghanistan, etc. hätten internationale Organisationen auf die spezielle Situation von Frauen in Kriegssituationen sensibilisiert. Die Durchsetzung der Resolution 1325 in der UNO war zwar ein Etappensieg. Darauf dürfen wir uns aber nicht ausruhen. Die Umsetzung von Frauenrechten ist nur durch konkreten Druck zu erreichen.