«Ja, aber… » 

Ein Blogbeitrag von Noëmi Holtz

Facetten zum Nahostkonflikt,  

auch hier in Zürich:

Schlag auf Schlag,

Kein Moment zum Trauern.

Die Hamas mordet, schändet, entführt. Es ist Programm, Ideologie, das Ziel ist wichtig, Menschenrechte nicht.

Erinnerung an eine Tagung in Zürich während der 1. Intifada.    

Teilnehmende waren eine Ärztin vom Gaza Community Mental Health Programme GCMHP,  Ruchama Martens von den Physicians for Human Rights Israel.

Wir von der Olivenölkampage, Palästinenser:innen, Juden, Israeli, 

Schweizer:innen

Ich erinnere mich, wie gespannt ich war, jemanden aus Gaza kennenzulernen.

Bevor sie über ihre psychosoziale Arbeit erzählen könne, wolle sie ihre Situation kontextualisieren, sagte die Ärztin.

Sie zeigte eine Karte von Palästina: Das Gebiet war einfarbig eingefärbt, ohne Grenzen vom Meer zum Jordan. 

«Das ist Palästina», erklärte sie.

Ich war fassungslos. Neben ihr sass die Ärztin der Israeli Physicians for Human Rights, die unter enormem Aufwand gratis in ihrer Freizeit regelmässig nach Gaza gefahren war, um den Aufbau dieser psychologischen Gesundheitsversorgung zu ermöglichen. Sie existierte in diesem Narrativ nicht, auch nicht das Land, in dem sie wohnte.

Die Frau aus Gaza erzählte, was nach einem Selbstmordattentat geschieht. Dass Hamaskämpfer jubelnd zu den Familien kommen: der Sohn sei jetzt bei Allah, ein Held. Die Mutter, die Frauen müssten glücklich und stolz sein.  Sie betont: Trauer sei verpönt.

Sie beschrieb eindrücklich, wie sie dann dort sitze bei den Müttern, warte, bis die Gotteskrieger gegangen waren. Wie sie dann ganz behutsam die Frauen fragte, wie es ihnen gehe. 

Ich konnte fast nicht mehr zuhören, weil ich mich in die Lage dieser Mütter versetzte.

In der Pause sprach ich sie darauf an, dankte ihr für die eindrückliche Schilderung, sagte, wie sehr es mich berührt, dieses nicht Trauern dürfen.  Und dass ich verstehe, welche grauenhaften Folgen das hat.

Dann sprach ich sie auf die Kontextualisierung an. Fragte, ob es ihr bewusst war, dass Frau Dr. med. Marton, die sie über Jahre hinweg geschult und unterstützt hatte, im Raum war. Dass sie von Israel kommt. Dass mich das getroffen hat, dass Israel von der Karte ausgelöscht war. 

Sie schaute mich erstaunt an, sagte: «Ich habe es nicht gemerkt, dass Israel nicht eingezeichnet war. «

Ich bat sie, das nach der Pause richtigzustellen und sie tat es. Entschuldigte sich klar deutlich, eine Wohltat.

Trauernde und traumatisierte Menschen nehmen nur noch ihr eigenes Trauma wahr, mit ganz wenigen Ausnahmen. 

Das ist so, bei uns allen.

Auch bei Palästinenser:innen

Auch bei Israelis

Stell dir vor, jemand, den du liebst, stirbt. Jemand kommt zu dir und sagt:

«Ich kondoliere dir von Herzen, aber er hat ja geraucht».

Die Reaktion der Trauenden wäre vermutlich zynische Verachtung, Hass oder Wut.

Kein einigermassen sensibler Mensch würde so reagieren. 

Im politischen Kontext ist dieses «Ja, aber» anscheinend Norm.

Die Hamas mordet, schändet, entführt. Die Kommentare sind: 

Das ist schrecklich, aber….

Sogar der UNO Generalsekretair Antonio Guterres sagt es so am 24.10.2023.

Kein Platz für Trauer. Kein Innehalten. Kein Ernstnehmen.

Freitagabend 20.10.2023 in Zürich 

Zitternd wirft sich eine Freundin an meine Schultern und schluchzt:

«Ich halte diesen Hass nicht mehr aus».

Ich hatte sie zum Abendessen eingeladen, sie kam in der Stadt an der unbewilligten Palästinademo vorbei. Sie schilderte mir mit Entsetzen in den Augen:

Wütende Masse, Fahnen, Plakate mit “free Palestine from Jordan to the sea”.

Wir beide sind über das Vorgehen der Israeli Regierung entsetzt. Wir wünschen uns, dass die Geiseln heil zurückkommen, die Kämpfe beendet werden, der Konflikt diplomatisch angegangen wird. 

Aber diese Stimmung. Nicht einmal mehr ein «Ja, aber».

Trauer auf beiden Seiten hat keinen Platz. 

Trauernde brauchen Beistand. Ungeteilten Beistand. Und Zeit.

Menschen, denen das nicht gewährt wird, die stolz sein müssen, dass ihre Kinder Märtyrer wurden oder Menschen, deren Trauer nicht ernst genommen wird, reagieren mit Wut und Hass.

Das ist bei allen so, bei Palästinenser:innen und Israelis, isoliert im Leid.

Was ich im pazifistischen und linken Umfeld höre, ist oft: die Geiselnahmen der Hamas sind schlimm, aber was in Gaza passiert…

Sofern uns Juden überhaupt jemand darauf anspricht , fragt, ob wir Familie oder Freunde in Israel haben (was für die meisten zutrifft) wird es oft mit «ja, aber» formuliert. 

Antonio Guterres hatte in der Sache recht, nur reicht das nicht. 

Auch Politik hat eine Psycho-logik.  

Was Not tut ist die Anerkennung des Schmerzes, die Anerkennung des Traumas der Geiselnahme. Und ein volles Engagement, dass diese entführten Menschen lebend zurückkommen.  

Nur damit lässt sich Israels Strategie bewegen, wenn überhaupt.

Ebenso anspruchsvoll ist die Frage, was wir hier in der Schweiz zur Entspannung beitragen können. Meine Erfahrung ist, dass gerade im Ausland Begegnungen stattfinden können, die vor Ort wegen des Kriegszustandes schwerer möglich sind. 

Voraussetzung ist Offenheit, es geht um Schmerz, den bodenlosen Schmerz – Raum für den Schmerz auf beiden Seiten. Eine Bereitschaft, dies allen Betroffenen zuzugestehen.

Ein wesentlicher Beitrag ist, allen Betroffenen zuzuhören, gut zuzuhören.  Das heisst nicht, deren Meinung zu teilen, keineswegs. 

Aber verstehen, damit klar wird, was für diesen speziellen Menschen das Zentrale ist. Das variiert oft beträchtlich.

Es braucht Empathie für beide Seiten. Das scheint auch hier eine rare Fähigkeit zu sein.

Dazu dienen sicher nicht Demos, die die Kluft erweitern, die nur die eine Sicht bekräftigen und keinen Platz für Trauer geben.

Unterstützen wir die GSoA, die Combatants for Peace, JVJP, Amnesty und viele mehr, die Brücken bauen, auch wenn es im Moment noch Regenbogenbrücken sind. 

Stehen wir den Trauernden bei, das vor und über allem.

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