Unter dem Namen “Krieg gegen Terrorismus” haben die USA und ihre Alliierten nach dem 11. September 2001 einen Rache-Feldzug gegen die “Schurkenstaaten” dieser Welt ausgerufen. Doch wozu wird dieser Krieg in Wirklichkeit geführt?
Armin Köhli, Auslandredaktor der WoZ
“Der Feind ist der Terrorismus – vorsätzliche, politisch motivierte und gegen Unschuldige gerichtete Gewalt”, heisst es in der neuen Nationalen Sicherheitsstrategie der USA. “Der Terrorismus” ist für seine Feinde eine praktische Sache. Er exisitiert, doch niemand weiss genau, was ihn eigentlich ausmacht. Das Völkerrecht kennt ihn nicht, und es gibt keine international anerkannte Definition dafür. Krieg gegen den Terrorismus ist deshalb auch eine praktische Sache. Die Krieger bestimmen selber, was Terrorismus ist. So weise und friedliebende Zeitgenossen wie George Bush, Ariel Scharon und Wladimir Putin entscheiden, wer Terrorist ist. Sie haben die Macht dazu.
Der Krieg gegen den Terrorismus pervertiert das Recht auf Selbstverteidigung zum Recht auf “Präventivschläge”, also zum Recht auf Angriffskrieg. Am Anfang stand Afghanistan. Das afghanische Regime der Taliban hatte den USA gewiss nicht den Krieg erklärt. Die Taliban weigerten sich bloss, Usama Bin Laden bedingungslos auszuliefern (aber sie offerierten beispielsweise immerhin die Auslieferung in ein islamisches Drittland). Niemand weint dem Taliban-Regime eine Träne nach, doch was ihnen Ende 2001 geschah, war grauenhaft. Die Armee der Supermacht USA griff die bewaffneten Bergler mit aller Gewalt an. Die Taliban sollten getötet werden, genauso wie die ausländischen Kämpfer an ihrer Seite. Die kalten Zahlen des Pentagon laut einem ARD-Bericht im Frühling 2002: In insgesamt 6500 Angriffseinsätzen wurden 17 400 Bomben abgeworfen, darunter auch 750 sogenannte Clusterbomben (Streubomben). Jede Streubombe enthält 200 kleine, gelbe Splitterbomben. Streubomben sind als besonders grausam geächtet. Viele explodieren nicht beim Abwurf – und gefährden, Minen gleich, auf Jahre die Bevölkerung. Doch US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld verteidigte den Einsatz von Streubomben: Sie würden an der Front eingesetzt, um Taliban- und al-Kaida-Kämpfer zu töten.1
Der doppelte Ground Zero
“Ground Zero” heisst das Sinnbild des Terrorismus, und es bezeichnet die schreckliche Leere an Stelle der Twin Towers. Doch Ground Zero existiert nicht erst seit dem 11. September 2001. Ground Zero, der Ground Zero, entstand am 6. August 1945 in Hiroshima, als die erste Atombombe explodierte. US-Präsident Harry Truman erinnerte bei der Bombardierung Hiroshimas an den japanischen Überfall auf Pearl Harbour und implizierte damit, dass die Japaner nun endlich ihre gerechte Strafe bekommen hätten.2 Die Atombomben über Hiroshima und drei Tage später über Nagasaki, die rund 300 000 Menschen töteten, erschienen so als Rache an Japan für Pearl Harbour – und waren damit gewissermassen legitimiert. Auch in der Folge des 11. Septembers 2001 wurde oft an Pearl Harbour erinnert – und Rache damit vorbeugend legitimiert. Rache, nicht Prävention oder Abwendung von Gefahr. Das Bedürfnis nach Rache in den USA – wo staatlicher Mord als “Todesstrafe” in den Gesetzbüchern immer noch festgeschrieben ist – verwandelte sich in eine Menschenjagd: lieber tot als lebendig. Und den Lebendigen, die im Krieg gefangen wurden, wird noch nicht einmal der Status Kriegsgefangener zugestanden.
Für den Krieg gegen den Terrorisms setzte George Bush einen Erlass von 1974 ausser Kraft, der der CIA verbot, ausländische Führungspersönlichkeiten zu ermorden, und lässt dem Geheimdienst damit freie Hand, auf blossen Verdacht hin zu töten. In Afghanistan galt die Order, al-Kaida-Mitglieder umzubringen, auch wenn sie sich ergeben hatten. US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld erklärte am 16. November 2001: “Spezialeinheiten töten Taliban, die nicht aufgeben wollen und Al-Kaida-Terroristen, die von einem Ort zum nächsten ziehen.” Und er äusserte unverblümt den Wunsch, gefangene Taliban-Kämpfer zu töten.
Ground Zero, Hiroshima, und Ground Zero, New York: Bemerkenswert äusserte sich Hiroshimas Bürgermeister Tadatoshi Akiba am 6. August 2002, am Jahrestag der Atombombe, zur neuen US-Aussenpolitik. “Die Regierung der Vereinigten Staaten hat kein Recht, uns in eine ‘Pax Americana’ zu zwingen oder unilateral über das Geschick der Welt zu bestimmen.” Akiba, der lange in den USA lebte und sich zum westlichen Demokratieverständnis bekennt, sprach für die Überlebenden Hiroshimas.5 “Hiroshimas wichtigste Sorge sind Nuklearwaffen. Doch Waffen werden nicht in einem Vakuum benutzt”, so Akiba, “sondern in einem Krieg. Man kann nicht über Nuklearwaffen reden, ohne auch über Krieg zu reden.”
Irak und Terrorismus
Auch für den geplanten Angriffskrieg gegen den Irak wird Krieg gegen Terrorismus als Rechtfertigung beigezogen. Hier zeigt sich, wie beliebig der Begriff Terrorismus ist. Krampfhaft werden nicht existierende Verbindungen zwischen al-Kaida und dem irakischen Regime konstruiert (unter US-AmerikanerInnen heisst das dann vereinfacht “Osama and Saddam want to bomb us”). Dass kürzlich Sabri Chalil al-Banna, genannt Abu Nidal, Inbegriff des Terrorismus in den siebziger und achtziger Jahren, und gleichzeitig Handlanger aller Geheimdienste, in Bagdad verstarb, nahmen die Anti-Terror-Krieger öffentlich kaum zur Kenntnis. Dabei war in diesem Fall die Verbindung des Irak zum “internationalen Terrorismus” offensichtlich. Doch der Westen hat wohl selber allzu viele Leichen Abu Nidals im Keller. Selbst Bin Laden gehörte ja einst zu den von den USA unterstützten Kämpfern gegen die Sowjetunion. Die USA führen ihren Krieg gegen den Terrorismus vorgeblich zum Wohle der ganzen Menschheit. Dabei entlarvt sie schon ihre Sprache. Die Wortwahl der US-Regierung gleicht aufs Haar der Rhetorik des Kolonialismus, der den Kolonisierten Entwicklung und Fortschritt verhiess. Eine globale Drohung liegt in den Worten George Bushs, mit denen er die neue Sicherheitsstrategie präsentierte: “Schliesslich werden die Vereinigten Staaten die Gunst der Stunde nutzen, um die Vorzüge der Freiheit in der ganzen Welt zu verbreiten. Wir werden uns aktiv dafür einsetzen, die Hoffnung auf Demokratie, Entwicklung, freie Märkte und freien Handel in jeden Winkel der Erde zu tragen.”
Fussnoten
2 Die Begriffsgeschichte von “Ground Zero”: http://www.freitag.de/2002/19/02191101.php