Kein Einsatz der Armee gegen Geflüchtete!

Die Pläne, die Armee im Falle einer Asyl-Krise einzusetzen, erinnert an die militärische Flüchtlings-Abwehr während des Zweiten Weltkriegs.

Seit dem 24. Februar besteht die konkrete Gefahr, dass die Armee gegen Geflüchtete eingesetzt wird. Das VBS teilte 5’000 Soldaten die Verschiebung ihres Wiederholungskurses mit. Am Rande einer Pressekonferenz erklärte der Armeechef André Blattmann, «Ziel der Verschiebungen» sei es, «dass die Armee über das ganze Jahr immer genug Verbände für einen allfälligen Einsatz im Zusammenhang mit der Flüchtlingskrise bereit hat.» Blattmann betonte weiter, dass «schon jetzt Tätigkeiten wie Bewachen, Überwachen und Beobachten geübt» würden. Ausserdem sei es denkbar, «dass Armeeformationen hinter der Grenze Flüchtlinge in Empfang nehmen und in Auffanglager bringen.» Bereits heute kann die Armee in 48 Stunden rund 2’000 Soldaten aufbieten. Dabei handle es sich um Militärpolizeiformationen, ein Bataillon Infanterie-Durchdiener und zwei WK-Bataillone, die in Bereitschaft seien.

Die Vorstellung von bewaffneten und uniformierten Offizieren und Soldaten, welche Geflüchtete an der Grenze abweisen oder zuweisen, ist ein Albtraum. Aber selbst wenn die Armee nur hinter der Grenze eine Rolle spielen sollte, wäre das mehr als fragwürdig. Die meisten Geflüchteten kommen aus Kriegsgebieten. Militär-Uniformen und erst recht Waffen haben eine retraumatisierende Wirkung. Der Zivilschutz und allenfalls der Zivildienst sind für den Empfang und die Betreuung von Geflüchteten besser geeignet.

Militärische Scharfmacher

Die Armeepläne rufen die katastrophale Rolle der Schweizer Armee im Zweiten Weltkrieg in Erinnerung. Damals wurden 30’000 jüdische Geflüchtete in den sicheren Tod zurück geschickt. Trotz Hauptverantwortung des Bundesrates haben die Armee und ihr General eine Scharfmacher-Rolle gespielt. Dazu ein Zitat aus dem «Schlussbericht der Unabhängigen Expertenkommission Schweiz – Zweiter Weltkrieg» (Zürich, 2002) zur «Verantwortung der Armee» vom Herbst 1942, als die Judenvernichtung bereits im Gange war: «Oberstleutnant Jakob Müller von der Heerespolizei schlug Rothmund (Chef der Fremdenpolizei) (…)‚ scharfe Grenzbewachung mit grossem Truppenaufwand,VerwendungvonSchusswaffen, Scheinwerfern, evtl. Gas, Erstellung von Drahthindernissen auf der ganzen Strecke vor. Rothmund leitete die Vorschläge an Bundesrat von Steiger mit dem Kommentar weiter, er könne mit dem Schreiben ‹des alten Haudegens Müller› nicht viel anfangen. ‹Immerhin enthält es gute polizeiliche Hinweise für die zukünftige Organisation des Grenzschutzes (ohne Gas!).› Die Idee, an der Grenze Tränengas gegen Ge- flüchtete einzusetzen, ist zweifellos krass; sie illustriert jedoch, mit welchen Vorstellungen das EJPD von seitens der Armee konfrontiert werden konnte.» Dieser Aussage fügt der sogenannte Bergier-Bericht bei: «Dass die Armee zu den Hauptverantwortlichen für die restriktive Flüchtlingspolitik zählt, wurde lange Zeit nicht wahrgenommen.» (S. 137)

Die Härte der Armee gegenüber den jüdischen Geflüchteten hatte auch mit dem grassierenden Antisemitismus insbesondere unter der konservativen Mehrheit des Offizierskorps zu tun. So unterbreitete General Henri Guisan dem Bundesrat im Mai 1940 einen Bericht, der die «grosse Masse jüdischer Emigranten, denen das Asylrecht eingeräumt würde, als eine nicht unbedeutende Gefahrenquelle» bezeichnete. «Mitleid und Nachsicht sind bei der heutigen Lage der Schweiz nicht mehr am Platze, allein Härte tut Not.» (S. 129)

Basel humaner als Bundesrat und Armee

Wie negativ sich der ab 1940 gewachsene Einfluss der Armee auswirkte, zeigt das Beispiel Basel. Unter dem Titel «Humaner als Bern» veröffentlichte der Historiker Jean-Claude Wacker 1992 in Basel eine Lizenziatsarbeit über die «Schweizer und Basler Asylpraxis gegenüber den jüdischen Flüchtlingen von 1933 bis 1943 im Vergleich». Solange die zivilen Basler Behörden das Sagen hatten, war es für bedrohte Menschen leichter, über die Grenze zu gelangen. Je grösser der Einfluss der Armee in diesem Grenzgebiet war, desto schwieriger wurde es: «Während des Krieges beeinflusste und erschwerte die Armee mit ihrem sicherheitspolitischen Konzept die Flüchtlingspolitik.» (S. 64) Allerdings gab es auch Soldaten und Offiziere an der Jura-Grenze, welche ab 1943 Geflüchteten den Weg ins «sozialdemokratische Basel» wiesen. (S. 197) Den Hauptunterschied zwischen Basler und Schweizer Behörden sieht Wacker im Antisemitismus, der in der Rheinstadt weniger stark war als andernorts und in der Armee.

Auch heute fliehen die Schutzsuchenden vor massiver Gewalt. Diese Gewalt wird im Nahen und Mittleren Osten mit Waffen ausgeübt, die vor allem aus dem Westen stammen. Zu den wichtigsten Kriegsmaterial-Liefernden gehört die Schweiz. Gescheiter als Soldaten gegen Geflüchtete an die Grenze zu stellen, wäre es auf die Exporte und die Finanzierung von Waffen zu verzichten.