Kompensationsgeschäfte

Die wirtschaftliche Bedeutung der schweizerischen Rüstungsindustrie ist seit dem zweiten Weltkrieg markant gesunken. Heute profitiert die schweizerische Industrie statt vom Verkauf aber vom Kauf von Rüstungsgütern – mittels der Kompensationsgeschäfte.

Von Stefan Luzi*

Die geplante Beschaffung neuer Kampfflugzeuge für die Schweizer Armee hat in den letzten Monaten das Interesse der Schweizer Industrie geweckt. Diese erhofft sich vom Kauf eine ähnliche Beteiligung wie beim Kauf der F/A-18 im Jahr 1993, als über 350 Schweizer Firmen vom Kauf profitiert haben. Möglich geworden ist dies damals durch Kompensationsgeschäfte, die durch den Kauf des Waffensystems in die Wege geleitet wurden.

Kompensationsgeschäfte sind eine der Möglichkeiten, wie Anbieter von Waffen Käuferländern den Kauf ihres Produktes nahezulegen versuchen: Die Geschäfte sind ökonomische Transaktionen, in denen das Käuferland eines Rüstungsgutes Forderungen nach einem indirekten Ausgleich seiner finanziellen Leistung erheben kann. Sie unterscheiden sich von denjenigen Geschäftspraktiken, mittels derer das Käuferland direkt an der Beschaffung beteiligt wird, zum Beispiel in Form einer Co- oder Lizenzproduktion oder eines Unterlieferantenverhältnisses.

Kompensationsgeschäfte sind also Industriebeteiligungen, die in keinem direkten Zusammenhang mit dem gekauften Produkt stehen. Mit ihnen verpflichtet sich die Herstellerfirma/ das Herstellerland des Waffensystems, der Industrie im Käuferland als Ausgleich zum Kauf Gegenaufträge zu beschaffen. Diese Aufträge müssen in der Regel in «sicherheitspolitisch relevanten» Industriesektoren getätigt werden, können in einzelnen Ländern – wie der Schweiz – aber auch Güter oder Dienstleistungen umfassen, die nicht zur Produktion von Waffen benötigt werden.

Geheime Geschäfte

Die Konkurrenz auf den internationalen Rüstungsmärkten hat dazu geführt, dass heute alle grossen Rüstungsfirmen gezwungen sind, Kompensationsgeschäfte anzubieten. Die Schweiz, in der die Koordination der Kompensationsgeschäfte gemeinsam durch das Beschaffungszentrum des VBS (Armasuisse) und die Swissmem, die Interessenvertretung der schweizerischen Maschinen-, Metall- und Elektroindustrie, erfolgt, fordert von den Herstellerfirmen Gegenaufträge über 100 Prozent des Kaufwertes der Waffen. Sie kann dies, obwohl Gegengeschäfte im Rahmen der WTO eigentlich verboten wären. Wären, wenn nicht Artikel 23 Gegengeschäfte bei der Beschaffung derjenigen Güter erlauben würde, die für die Erhaltung der «nationalen Sicherheit» gekauft werden…

Die Schweizer Industrie profitiert munter vom Kauf von Rüstungsgütern: So betrugen die Kompensationsverpflichtungen ausländischer Firmen zur Beteiligung der Schweizer Industrie im Zeitraum von 1995 bis 2004 8.7 Milliarden Franken. Und kurz zuvor schuf der Kauf von F/A-18-Kampfflugzeugen weitere Industriebeteiligungen in der Höhe von 2 Milliarden Franken. Welche Firmen diese Aufträge erhalten, wird von den zuständigen Stellen unter Verschluss gehalten.

In gegenseitiger Absprache zwischen Industrie und Armee werden Waffen dort gekauft, wohin die Schweizer Industrie exportieren möchte. Ein diesbezüglich «erfolgreiches» Geschäft war die Beschaffung schwedischer Schützenpanzer im Jahr 2000, die – obwohl günstigere Offerten vorlagen – gekauft wurden, um der Schweizer Industrie mit zugesicherten Gegenaufträgen über eine halbe Milliarde Eintritt in den schwedischen Markt zu verschaffen. Aus demselben Grund steht momentan der Eurofighter zuvorderst auf der Wunschliste der schweizerischen Industrie und der Schweizer Armee: Er bietet als Produkt eines gesamteuropäischen Rüstungskonzerns die besten Kompensationsgeschäftsmöglichkeiten, da zur Firma etwa auch der Flugzeughersteller Airbus gehört. Das weiss auch die Firma und hat sich für Gespräche mit der Schweizer Industrie die Dienste des ehemaligen Informationschefs des Bundesrates Cotti gesichert (siehe Absturz möglich).

Kompensationsgeschäfte führen zu höheren Preisen für die Rüstungsgüter. Dies hat die European Defence Industries Group (EDIG), die Interessenvertretung der europäischen Rüstungsindustrie in Brüssel, im Jahr 2001 in einem Papier festgestellt: «Offsets (Kompensationsgeschäfte, sl) frequently impose added costs on suppliers (…). Where such costs are incurred they can lead to increases in the price of defence goods». Die Herstellerfirmen können also höhere Preise verlangen, die Industrie in den Käuferländern profitiert von höheren Gegenaufträgen. Kompensationsgeschäfte sind damit für alle Beteiligten ein gutes Geschäft – ausser für die SteuerzahlerInnen, die über höhere Preise die Industrie subventionieren.

Der helvetische «militärisch-industrielle Komplex»

Eingeführt wurden die Kompensationsgeschäfte in der Schweiz im Jahr 1975 mit der Beschaffung der Tiger-Kampfflugzeuge. Die enge Zusammenarbeit zwischen der Schweizer Armee und der Industrie, wie sie seitdem in der gemeinsamen Entwicklung von Offset-Bestimmungen zum Ausdruck kommt, existiert in der Schweiz indes schon seit Einführung der Luftwaffe.

In der Zeit der beiden Weltkriege besass die Schweiz eine florierende Kampfflugzeug-Industrie. Insbesondere der zweite Weltkrieg bedeutete mit Aufträgen über 500 Militärflugzeuge eine Hochkonjunktur für die heimische Flugzeugindustrie. Zu dieser Zeit teilten sich das staatliche Flugzeugwerk Emmen (F+W), das 1943 aus der Eidgenössischen Konstruktionswerkstätte Thun hervorging, die Flug- und Fahrzeugwerke AG Altenrhein (FFA), die 1948 aus den früheren deutschen Dornier-Werken hervorgingen, und die nach Kriegsausbruch gegründeten Pilatus Flugzeugwerke AG in Stans den Markt.

Als sich die Schweizer Armee im Jahr 1947 infolge der technischen Entwicklung vom Kolben- zum Düsenantrieb gezwungen sah, aus den Restposten der US-Armee Vampire-Flugzeuge zu kaufen (ab 1949 in Lizenzbau), fühlte sich die schweizerische Flugzeugindustrie übergangen. Vorstösse im Nationalrat und ein Beschluss der Landesverteidigungskommission im Jahr 1947, der die Entwicklung eines schweizerischen Düsenflugzeuges als notwendig ansah, führten dazu, dass die Schweizer Armee die Beschaffung von Schweizer Düsenjets ins Auge fasste und Vorgaben an die Flugzeugwerke F+A und FFA stellte, die ab 1946 im Sinne einer Arbeitsteilung die Entwicklung der Flugzeuge N-20 (F+A) sowie P-16 (FFA) vorantrieben. Doch diese Flugzeuge hoben entweder nicht ab (N-20) oder stürzten mit Vorlieben in den Bodensee (P-16), so dass der Schweizer Armee nichts anderes übrig blieb, als Flugzeuge im Ausland zu beschaffen – obwohl die Forderung nach einer Neuaufnahme des Entwicklungsprogrammes P-16 noch bis ins Jahr 1969 durch die Presse geisterte.

Von der Eigenentwicklung zur Einführung der Kompensationsgeschäfte

Nach dem Abbruch des Projektes P-16 stieg der Druck auf das Parlament, einen alternativen Einbezug der Schweizer Flugzeugindustrie anzustreben. Die Auswahl des im Jahr 1961 beantragten französischen Mirage III entsprach diesen Anforderungen, da sie eine Lizenzproduktion möglich machte. Doch die Möglichkeit, die Flugzeuge in der Schweiz «à la carte» mit den teuersten Teilen auszurüsten, führte zum «Mirage-Skandal» (massive Kostenüberschreitungen, die zum Rücktritt des Bundesrates Chaudet führten). Hohe Kosten infolge von Lizenzproduktionen wollte man im EMD in der Folge unter allen Umständen vermeiden. Daher wurde das nächste Kampfflugzeug, der Tiger F-5, nicht mehr aufgrund seiner Möglichkeiten zur Lizenzproduktion, sondern aufgrund seines niedrigen Preises ausgesucht. Insbesondere der damalige Rüstungschef war nicht mehr bereit, zugunsten der Industrie Kompromisse einzugehen, wie der folgende Ausschnitt aus dem «Protokoll der 7. Sitzung der Rüstungskommission vom 19.5.1969» illustriert: «Herr Schulthess ist eindeutig der Auffassung, dass es nicht angängig sei, eine Industrie nur damit am Leben zu erhalten, dass man ein Flugzeug wählt, das nicht als optimale Lösung angesehen werden kann. Er sieht eine Möglichkeit zur Stützung der inländischen Flugzeugindustrie eher darin, dass man ihr zu Exporterleichterungen verhilft.» Bei diesem Entscheid blieb das EMD auch trotz der empörten Reaktion der schweizerischen Flugzeugindustrie und rückte die Idee in den Vordergrund, der Flugzeugindustrie – als Trost – mit der Forderung nach Kompensation zu Gegenschäften zu verhelfen.

Zunehmend begann sich aber die konjunkturelle Verschlechterung der Schweiz im Jahre 1974 auf die Diskussionen auszuwirken. Aufgrund der wirtschaftlichen Situation der gesamten Industrie kam die Idee auf, nicht nur die Flugzeugindustrie von den Kompensationsgeschäften profitieren zu lassen, wie etwa die NZZ vom 27.5.1975 forderte: «Die Öelkrise im Winter 1973/74 und die im Jahre 1974 einsetzende wirtschaftliche Rezession haben nun aber eine Modifikation der Betrachtungsweise erzwungen.» Man verzeichne «ein wachsendes Interesse in der Exportindustrie an allfälligen Kompensationsgeschäften, und zwar nicht nur in der flugzeugbauenden Industrie (…), sondern auch in anderen Branchen, welche den Konjunkturabschwung zu spüren bekommen.» Damit schuf sich die Industrie, am Sterbebett der Flugzeugindustrie, mit den Kompensationsgeschäften das Mittel zur Fortsetzung des militärisch-industriellen Komplexes in der Schweiz.

* Der Artikel basiert auf einer Arbeit von Stefan Luzi, die im Sommersemester 2004 im Rahmen des Seminars «Kriegswirtschaft, Wirtschaftskriegsführung und Ökonomie des Krieges im 19. und 20. Jahrhundert» bei Prof. J. Tanner, Universität Zürich, verfasst wurde.