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Bundesrat und Parlament greifen den Zivildienst an drei Fronten an. Der erste Angriff will den Zivildienst schwächen, der zweite will ihn beschädigen, der dritte abschaffen. Zum Glück schreiten die Angriffe nicht an allen Fronten planmässig voran.
Der erste Kampf, allerdings, ist leider faktisch verloren: Zivildienstpflichtige (Zivis) sollen gezwungen werden, Ausbildungs- und Wiederholungskurse des Zivilschutzes zu absolvieren.
Es muss leider davon ausgegangen werden, dass der Nationalrat die entsprechende Revision des Bevölkerungs- und Zivilschutzgesetzes (BZG) und weiterer Gesetze ohne Differenzen besiegeln wird. Das Ergebnis wäre präzendenzlos: Noch nie zuvor wurde auf Gesetzesebene der zivile Ersatzdienst geschwächt.
Die bürgerliche Mehrheit begründet diese Revision damit, den Personalbestand des Zivilschutzes sowie die Zusammenarbeit zwischen Zivildienst und Zivilschutz stärken zu wollen. Beides wäre möglich ohne diese Revision, die zudem kontraproduktiv ist: Zivildienst und Zivilschutz werden insgesamt weniger Leistungen im öffentlichen Interesse erbringen (vgl. meinen Beitrag in der NZZ vom 17.9.2024).
Aufgrund der – sehr dürftigen – Angaben des Bundesrates muss damit gerechnet werden, dass in Zukunft jährlich 800 Zivis (rund 12 % der Zulassungen) gezwungen werden, 80 Zivildiensttage (mehr als ein Fünftel ihrer Zivildienstpflicht) in Wiederholungskursen des Zivilschutzes zu leisten. Jedes Jahr werden folglich 8000 Zivildiensttage dort fehlen, wo sie tatsächlich gebraucht werden: in Spitälern, Heimen und zahlreichen weiteren Institutionen zur Pflege und Betreuung von Menschen, in Schulen, in Umwelt- und Naturschutz, in Land- und Alpwirtschaft, in der Kulturgütererhaltung, in der Entwicklungszusammenarbeit…
Vor diesem Hintergrund ist es unverständlich, dass in der Vernehmlassung die Kantone die Vorlage unterstützt haben. Denn eigentlich hätten praktisch sämtliche Regierungsräte – ausser denjenigen für Militär, Zivilschutz und Feuerwehr –opponieren müssen. Auch von den grossen Verbänden der betroffenen Bereiche kam kaum Widerstand.
Zum zweiten Angriff – der Revision des Zivildienstgesetzes mit einschneidenden, grundrechtswidrigen Massnahmen – hat der Bundesrat die Botschaft am 19 Februar verabschiedet. Hier ist die Begründung: Die Alimentierung der Armee sei eine «Herausforderung». Der Bundesrat gibt damit indirekt zu, dass die Armeebestände nicht gefährdet sind bzw. mit armee-internen Massnahmen gesichert werden können. Deshalb schiebt er eine andere Begründung in den Vordergrund: Man müsse der «verfassungsrechtlichen Vorgabe Nachachtung» verschaffen, dass «keine Wahlfreiheit zwischen Militärdienst und Zivildienst» bestehe. Dieses Geschwurbel ist allerdings längst widerlegt, vom Bundesrat selbst in seinen Berichten zu den Auswirkungen der Tatbeweislösung 2010 und 2012: Der Tatbeweis in seiner aktuellen Form ist verfassungskonform. Es ist sehr zu hoffen, dass an dieser Front die Verteidigung des Zivildienstes die notwendige Unterstützung erhalten wird.
Der dritte Angriff will den Zivildienst faktisch abschaffen. Begründung, einmal mehr: Alimentierung von Armee und Zivilschutz. Aufgrund des Drucks von armeenahen und bürgerlichen Kreisen war zu erwarten, dass der Bundesrat in seinem Bericht zur Reform des Dienstpflichtsystems die Variante «Sicherheitsdienstpflicht» empfehlen würde: Zivildienst und Zivilschutz würden in einem «Katastrophenschutz» fusioniert. Der Bericht des VBS kam nun aber zum Schluss, dass dieser «Katastrophenschutz» exorbitante Mehrkosten zur Folge hätte – für weniger Leistung. Zudem hat ein juristisches Gutachten verfassungsrechtliche Bedenken angemeldet. Diese Ergebnisse haben Bundesrätin Amherd wohl zu einem Rückzieher gezwungen. Der Bundesrat hat am 15. Januar 2025 zwar entschieden, die Sicherheitsdienstpflicht weiter zu «behandeln». Und er hat das VBS damit beauftragt, «Antrag zum weiteren Vorgehen zu stellen»: bis Ende 2027. Die Sicherheitspolitische Kommission des Nationalrats wollte sich damit allerdings nicht zufriedengeben: Sie will per Motion den Bundesrat auffordern, die Sicherheitsdienstpflicht «schnellst möglich» einzuführen. Dem Land droht also weiterhin die Katastrophe eines «Katastrophenschutzes». In ihrem Furor dreht die Sicherheitspolitische Kommission zudem das Rad um Jahrzehnte zurück: Per Postulat will sie den Bundesrat beauftragen, die Wiedereinführung der Gewissensprüfung zu prüfen. Es besteht wenig Anlass darauf zu vertrauen, dass der Nationalrat mehr Vernunft zeigen wird…
Lukas Stoffel arbeitete von 2003 bis 2020 für das ZIVI, das im Departement für Wirtschaft, Bildung und Forschung WBF angesiedelt ist. Bis zur Einführung des Tatbeweises 2009 war er für die Gewissensprüfung verantwortlich, danach bis Ende 2017 stellvertretender Leiter des ZIVI.