Zwei Jahre sind vergangen seit den schrecklichen Attentaten vom 11. September 2001. Der «Krieg gegen Terror», den die USA als Folge darauf ausgerufen haben, hat keine Sieger hervorgebracht. Aber viele VerliererInnen. Als Teil der Schweizer Friedensbewegung stellen wir die Frage, was die offizielle Schweiz getan hat, um diese Entwicklung zu verhindern.
Drei Tage nach den Anschlägen vom 11. September 2001 führte das Meinungsforschungsinstitut «Gallup International» in 33 Ländern eine Umfrage zur folgenden Frage durch: «Wenn die Identität der Terroristen bekannt ist, sollte die amerikanische Regierung einen Militärangriff auf das Land/die Länder starten, in denen die Terroristen ihre Basis haben, oder sollten die Terroristen vor Gericht zur Verantwortung gezogen werden?» Lediglich in drei Ländern sprachen sich Mehrheiten für einen Militärangriff aus: In Israel (77%), Indien (72%) und den USA (54%). Der Friedensforscher Johann Galtung kommentierte dieses Resultat mit den Worten: «Es gibt in der Weltbevölkerung zu dieser Frage eine solide Basis für eine Regelung nach Gesetz sowie für eine Nord-Süd-Friedensbewegung und nicht für eine Regelung nach Macht.»
Zwei Jahre später stellen wir fest: Den Mächtigen dieser Welt war die Forderung nach einem Stoppen der Gewaltspirale egal – im Gegenteil nahmen sie einen enormen Schaden in Kauf: Was rechtfertigte die Tausenden toten ZivilistInnen in Afghanistan und im Irak? Was die Marginalisierung der Uno, die Repression, die Einschränkung der BürgerInnenrechte und Verschärfung der sozialen Gegensätze im Innern angreifender und angegriffener Länder, die Kontrolle unabhängiger Medien, die rechtswidrige Gefangenhaltung von Hunderten von Menschen? Was die krassen Lügengebilde, die durch rassistische Äusserungen verletzten religiösen Gefühle und die «Neben- und Auswirkungen» des «Krieges gegen Terror» auf andere Konflikte?
Und welchem Zweck dienten die zwei Kriege, wenn das erklärte Ziel – die Terroristen zu fassen, die Massenvernichtungswaffen zu finden (im Fall von Irak) und die Frauen zu «befreien» (im Fall von Afghanistan) – offensichtlich nicht erreicht wurden und die Welt, wie die zahlreichen Terroranschläge der letzten zwei Jahre zeigen, nicht «sicherer» geworden ist? Welche andere Antwort kann es auf diese Fragen geben ausser derjenigen, dass die Mächtigen dieser Welt diese Schäden bewusst in Kauf nahmen und nehmen, weil sie sich davon die Erfüllung anderer Ziele und Interessen versprechen? Aber wo wirtschaftliche und strategische Interessen im Vordergrund stehen – und dies lässt, denkt man an die Zukunft Iraks und Afghanistans, Schlimmes befürchten -, hat der Frieden schlechte Karten.
Enttäuschende Haltung der offiziellen Schweiz
«Hass, Terror, Krieg sind nie die Mittel, um Konflikte zu lösen und schon gar nicht, um Gerechtigkeit herzustellen.» Diese Worte faxte der damalige Bundespräsident der Schweiz, Moritz Leuenberger, am Tag nach den Anschlägen vom 11. September 2001 an US-Präsident Bush. Sie sollten die klarsten Worte bleiben, welche die offizielle Schweiz gegenüber dem «Krieg gegen den Terrorismus» der USA fand. Als Bundesrätin Micheline Calmy-Rey am WEF-Treffen in Davos mit US-Aussenminister Collin Powell ebenfalls Klartext sprechen wollte, wurde sie als diplomatisch ungeschickt gerügt und ausgebremst. Bundesrat Joseph Deiss hingegen fand verständnisvolle Worte gegenüber den brutalen Bombardierungen Afghanistans: «Der Bundesrat ist der Meinung, dass der massive Terror gegen die USA, der Tausende von Todesopfern forderte, eine entschlossene und gezielte Antwort erfordern, um weitere terroristische Grossangriffe zu verhindern.» Und Bundesrat Pascal Couchepin liess sich einen Tag nach Beginn des Krieges gegen den Irak gar zu einer Rede hinreissen, die der «Tagesanzeiger» als «devot gegenüber den Amerikanern» bezeichnete. Darin gab er vor, nach welchen Kriterien sich die Schweizer Aussenpolitik in Bezug auf den Krieg im Irak seiner Meinung nach richten sollte: «Der Bundesrat verfolgt die Entwicklung des Konfliktes mit grösster Aufmerksamkeit, um nachteiligen Folgen für die Schweizer Wirtschaft vorzubeugen. Er sorgt namentlich dafür, dass die Versorgung mit Erdöl und Lebensmitteln sichergestellt ist». Wer hier mit «Erdöl und Lebensmitteln» versorgt werden sollte – die IrakerInnen oder die SchweizerInnen -, bleibt auch beim nochmaligen Durchlesen der Äusserung unklar und ist bezeichnend für eine Haltung der (offiziellen) Schweiz, die sich in erster Linie auf mögliche ungünstige Auswirkungen auf die Schweiz konzentrierte. Wie anders lässt sich sonst erklären, dass die Schweiz die Rüstungszusammenarbeit mit den USA und Grossbritannien auch während des Krieges nicht einstellte – mit der (haarsträubenden) Begründung, die gelieferten Waffenteile wären beim stattfindenden Krieg sowieso nicht einsetzbar? Da konnte es auch nicht wirklich verwundern, dass die Schweiz bereits 11 Monate nach dem Beginn der Bombardierungen von Afghanistan den Ausschaffungsstopp afghanischer AsylbewerberInnen/Flüchtlinge aufhob, auch wenn in Afghanistan die Bombardierungen, internen Clan-Kämpfe und brutalen Gefangenenbehandlungen bis heute anhalten.
Friedlicher ist diese Welt nicht geworden
Tausende von Menschen in der Schweiz waren mit den Kriegsreden und -Handlungen von George W. Bush und seinen Alliierten und mit der Haltung des Bundesrates nicht einverstanden, forderten auf Demonstrationen eine klare Verurteilung des völkerrechtswidrigen Krieges gegen Irak und zeigten (und zeigen) mit den PACE-Fahnen, wofür sich auch die Schweiz einsetzen sollte. Auch die Redaktion der Zeitung «KeinKrieg» hat durch ungezählte Telefonanrufe erfahren, wie nahe dieser Krieg vielen Menschen in der Schweiz wirklich ging. Dass nun, nachdem der Krieg im Irak offiziell für «beendet» erklärt worden ist, die Erschöpfung auch bei vielen friedenspolitisch Engagierten in der Schweiz gross ist, ist verständlich. Man möchte – nach dem Motto: «zum Glück ist das alles vorbei» – einen Schlussstrich hinter die Unsicherheiten und Ängste der letzten Monate ziehen.
Doch friedlicher ist diese Welt nicht geworden: Die USA haben bewiesen, dass sie zur Durchsetzung ihrer Interessen jederzeit einen Krieg führen werden – auch wenn die Uno, das Völkerrecht und die Mehrheit der Menschen dieser Welt dagegen sprechen. Russland erhielt seit den Anschlägen auf die Oper in Moskau quasi eine «carte blanche», um die tschetschenischen «Terroristen» zu bekämpfen. Und der erste militärische Einsatz der EU in Afrika (vgl. auch Seite 5) wie auch der erste «out of area»-Einsatz der NATO in Afghanistan deuten darauf hin, dass – als Folge des «Krieges gegen Terror» – die Bedeutung der Uno immer kleiner zu werden droht, während im Gegenzug regionale Machtgefüge ihren Einfluss verstärken. Ein Schritt hin zu einem funktionierenden System kollektiver Sicherheit auf globaler Ebene ist das sicher nicht – eher ein Rückschritt zu einem System, in der die Macht der Stärkeren sich gegenüber der Stärke des Rechtes durchsetzt.
Als friedenspolitisch interessierte Menschen in der Schweiz sind wir daher aufgefordert, die Rolle der Schweiz in dieser Entwicklung kritisch zu hinterfragen: Ist die aktuelle Sicherheits- und Friedenspolitik der Schweiz wirklich ein Beitrag zu einer gerechteren und damit friedlicheren Welt? Und trägt die Schweiz zu mehr Sicherheit auf dieser Welt bei, wenn sie die Sicherung von wirtschaftlichen Interessen höher gewichtet als das Unrecht, das unzähligen Menschen in den Kriegen dieser Zeit geschieht? Zu tun, dies zeigen auch die folgenden Artikel, gäbe es vieles. Denn Frieden schafft man nicht mit Waffen – sondern mit Menschen, die für eine gerechtere und solidarischere Welt eintreten.