“Demokratisches” Saudi-Arabien und andere Blüten des Abstimmungskampfes

Wer im privaten Rahmen wissentlich einem Mörder eine Waffe verschafft, wird wegen Beihilfe zum Mord bestraft. Wer wissentlich Waffen an einen Staat liefert, der die Menschenrechte verletzt, kann mit der Unterstützung des Bundesrates rechnen.

Diese Doppelmoral führt uns die aktuelle Kriegsmaterial-Statistik erneut vor Augen: Das Geschäft mit dem Krieg floriert – oder besser: grassiert – wie nie zu vor. Und zweitgrösster Kunde der Schweizer Rüstungsindustrie war in den ersten neun Monaten dieses Jahres ausgerechnet Saudi-Arabien. Ein totalitärer Staat, der Minderjährige hinrichten lässt und jede politische Opposition im Keim erstickt.

Beim Versuch, die Bewilligung solcher Waffenexporte zu rechtfertigen, nimmt es die zuständige Bundesrätin mit der Wahrheit nicht so genau. In einem Interview mit dem Tages-Anzeiger am 17. Oktober behauptete Doris Leuthard etwa: “Die saudische Regierung ist vom Volk gewählt.” Sie könnte falscher kaum liegen. Tatsache ist, dass Saudi-Arabien eine Erbmonarchie ist. Der König ist zugleich Staatschef und Premierminister. Und auch das beratende Parlament ist vom König eingesetzt.

Wir wollen hier nicht unterstellen, dass Leuthard bewusst lügte. Eine bessere Erklärung solcher Blüten der politischen Auseinandersetzung liefert der amerikanische Philosoph Harry Frankfurt in seinem lesenswerten Buch “On Bullshit”: Die Verzerrung der Wahrheit in der öffentlichen Debatte sei weniger auf bewusste Lügen zurückzuführen als auf “Bullshit”. Im Gegensatz zum Lügner, der absichtlich unwahre Behauptungen aufstellt und die Wahrheit dafür zumindest kennen muss, interessiert sich der “Bullshitter” gar nicht für die Wahrheit. Er behauptet einfach, was ihm gerade in den Kram passt und hofft, dass niemand die Behauptung überprüft.

Diese Einstellung legte Bundesrätin Leuthard auch am 26. Oktober bei einer Podiumsdiskussion in Zürich an den Tag. 70 Rechtsprofessorinnen und -professoren hatten kritisiert, dass ein Grossteil der Schweizer Kriegsmaterial-Exporte illegal seien. Denn die neue Kriegsmaterial-Verordnung verbietet eigentlich Waffenexporte an Staaten, die in einen internen oder internationalen bewaffneten Konflikt verwickelt sind oder die Menschenrechte systematisch und schwerwiegend verletzen. Darauf reagierte Leuthard nun mit der Behauptung, bei der Verordnungsänderung habe sie niemand darauf hingewiesen, dass man die Verordnung so interpretieren müsste. Tatsache ist: Selbst der Branchenverband Swissmem hatte damals in einer Medienmitteilung beklagt, dass mit der geänderten Verordnung alle Waffenexporte in die USA illegal würden.

An derselben Podiumsdiskussion behauptete Leuthard auch, man habe nicht ahnen können, dass das tschadische Regime sein Pilatus-Flugzeug mit Waffen ausstatten würde. Es sei bei der Erteilung der Ausfuhrbewilligung nicht abzusehen gewesen, dass das Flugzeug für etwas anderes als fürs Training eingesetzt würde. Tatsächlich wurde das Flugzeug bekanntlich mit Splitterbomben ausgerüstet, die dann auf ein Flüchtlingslager in Darfur abgeworfen wurden. Und offenbar interessierte sich Leuthard nicht im geringsten dafür, was mit der Maschine passieren würde. Denn der Tschad verfügt über keine Kampfjets, für die man ein separates Trainingsflugzeug brauchen würde. Die PC-9 der Pilatus ist das technisch fortgeschrittenste Flugzeug, über das die tschadische Luftwaffe überhaupt verfügt. Dass die tschadische Regierung mitten in einem bewaffneten Konflikt als teuerste Maschine ein reines Trainingsgerät kaufen sollte, ist völlig unplausibel.

Geradezu klassisch ist der Bundesrätin vielleicht grösster Geniestreich, den Kashmir-Konflikt zwischen Indien und Pakistan als “innerstaatlichen Konflikt” zwischen den beiden Staaten (???) zu bezeichnen:

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