Wenn der Lastwagen dich abholt

Zwei Aktivistinnen der kolumbianischen Organisation ACOOC (Acción Colectiva de Objetores y Objetoras de Conciencia / Kollektive Aktion der VerweigerInnen aus Gewissensgründen) besuchten uns auf ihrem Weg zur Uno in Genf. Ein Bericht über Militarismus in Kolumbien.

Was in der Schweiz die Aushebung ist, spielt sich in Kolumbien vor einem Lastwagen ab. Mehrmals im Jahr fahren Militärcamions durch das Land und kontrollieren die jungen Männer, ob sie einen militärischen Ausweis haben. Einen solchen erhält nur, wer Militärdienst geleistet hat oder sich für etwa 5000 Dollar freikaufen kann. Pro Jahr werden Zehntausende junge Männer, vor allem aus ärmeren Schichten, bei solchen Kontrollen von der Strasse weg in die Lastwagen gepackt und in eine Kaserne verfrachtet. Dort beginnt der Militärdienst, der in Kolumbien 18 Monate dauert.

Allein im Dezember 2009 wurden 90’000 Jugendliche auf diese Weise rekrutiert. Nach kurzer Ausbildung werden die jungen Männer in den verschiedenen Konfliktgebieten innerhalb Kolumbiens eingesetzt, vor allem gegen die Guerillas der Farc und der ELN. Die Möglichkeit, Zivildienst zu leisten, kennt Kolumbien nicht. Ohne Militärausweis lebt man nicht nur in der ständigen Angst, bei einer Rekrutierungsaktion eingepackt zu werden. Ohne diese Identitätskarte ist es auch nicht möglich, einen Universitätsabschluss zu erhalten. Für viele Arbeitgeber ist der Militärausweis zudem eine unabdingbare Voraussetzung für eine Anstellung.

Militarisierter Staat

Die Armee spielt in der kolumbianischen Gesellschaft eine zentrale Rolle. Der Staat gibt 6.8 Prozent des BIP für das Militär aus, rund sechsmal mehr als die Schweiz. Der Konflikt zwischen Staat und Guerillas wütet nun schon seit mehr als 40 Jahren und wird mit unverminderter Brutalität ausgeführt. Juan Manuel Santos, der neue Präsident Kolumbiens, war in seiner früheren Rolle als Verteidigungsminister tief in den Skandal um die so genannten «Falsos Positivos» verwickelt. Seit 2005 hatten Soldaten junge Zivilisten entführt, in Uniformen der Guerilla gesteckt und erschossen. Es ging den Militärs darum, die Statistik der Armee aufzubessern und Erfolgsprämien zu kassieren. Mittlerweilen ermittelt die kolumbianische Justiz in mehr als 2000 derartigen Mordfällen.

In diesem vom Krieg geprägten Klima versucht die ACOOC, Alternativen zum Militarismus aufzuzeigen und diejenigen zu unterstützen, die sich dem Dienst in der Armee entziehen wollen. Die Organisation setzt dabei auf gewaltlose direkte Aktionen und den Kampf vor Gerichten. Sie betreut und berät Betroffene und fördert die Selbstorganisation der Militärdienstverweigerer. Ziel ist es, die Verweigerung von der individuellen Ebene auf die kollektive Ebene zu führen, um so einerseits die Verweigernden in ihrer Haltung bestärken zu können und andererseits durch die gemeinsamen Aktionen und Diskussionen den Druck von ihnen zu nehmen. Immer wieder musste sich die Organisation gegen repressive Massnahmen durch die Regierung oder Vereinnahmungsversuche der Guerillas zur Wehr setzen. Die AktivistInnen konnten ihre Unabhängigkeit wahren.

Dienstverweigerer-Ausweise

Die jüngste Kampagne von ACOOC beinhaltet das Ausstellen von Dienstverweigerer-Ausweisen, mit denen sich Verweigerer bei einer allfälligen Militärkontrolle ausweisen können. Sie können so von Anfang an klar machen, dass sie den Dienst verweigern und organisiert sind. Diese Karten zeigen konkrete Wirkung: Das Militär schreckt davor zurück, solche Leute zu rekrutieren, weil es die nachfolgenden Proteste fürchtet. Im Zusammenhang mit Berichten über die Menschenrechtslage in Kolumbien haben die beiden Aktivistinnen vor der Uno über die Zwangsverpflichtungen und die Auswirkung der Wehrpflicht auf das Land berichtet. Sie sind skeptisch, was die Auswirkungen ihres Besuches angehen, erhoffen sich aber verbesserte internationale Zusammenarbeit und Druck auf die kolumbianische Regierung.

Strassentheater der ACOOC am Rande einer Militärparade in Bogotá.