Wer produziert hier Sicherheit?

Am 15. Mai gab die Schweizer Armee bekannt, sich vermehrt auf den Raum- und Objektschutz, also auf den Einsatz im Inneren zu konzentrieren. Gleichzeitig heuern Gemeinden private Sicherheitsdienste an, die im gesetzlichen Graubereich als Dorfpolizeien fungieren. Zwei Anzeichen für eine gefährliche Entwicklung.

Von Andreas Cassee

Armee und Private attackieren polizeiliches Gewaltmonopol

Das Gewaltmonopol der Polizei wird in der Schweiz zur Zeit durch zwei Entwicklungen in Frage gestellt: Einerseits werden die inneren Einsätze der Schweizer Armee zunehmend vom (in der Verfassung verankerten) Sonder- zum (verfassungswidrigen) Normalfall, andererseits kontrollieren private Sicherheitsdienste immer grössere Teile des öffentlichen Raumes. Beide Entwicklungen sind aus unterschiedlichen Gründen problematisch: Die inneren Einsätze, weil sie die militärische Freund-Feind-Logik auf das zivile Leben übertragen, die Wehrpflicht auf die Gewaltanwendung gegen die eigenen MitbürgerInnen ausdehnen und ein Sicherheitsrisiko darstellen, da die Milizsoldaten für polizeiliche Aufgaben schlicht nicht genug ausgebildet sind. Die privaten Sicherheitsdienste, weil sie jeder demokratischen Kontrolle und Legitimation entbehren.

Doch es gibt auch Gemeinsamkeiten, insbesondere ein gemeinsames Interesse von Militär und privaten Sicherheitsdiensten, die gewaltsame Durchsetzung des geltenden Rechts als gewöhnliche Dienstleistung darzustellen, die im Prinzip von beliebigen staatlichen oder nichtstaatlichen Organen erbracht werden kann. Dieses gemeinsame Interesse findet in der Tatsache ihren Niederschlag, dass die militärische Sicherheit im Verband Schweizerischer Sicherheitsdienstleistungs-Unternehmen (VSSU) vertreten ist, der unter anderem die Aufgabe hat, «gemeinsame Anliegen» zu fördern.

«Wir produzieren Sicherheit», pflegt Armee-Chef Christophe Keckeis in jedes Mikrophon zu plärren, und er meint: Messt uns an Effizienzkriterien wie andere Dienstleistungsunternehmen auch. Dass die gewaltsame Durchsetzung der rechtlichen Normen aber alles andere als eine gewöhnliche Dienstleistung ist, soll der folgende Abstecher in die politische Philosophie zeigen.

Wann ist staatliche Gewalt legitim?

Das staatliche Gewaltmonopol stand schon immer im Zentrum philosophischer Überlegungen zur politischen Legitimität: Die Legitimitätsfrage stellt sich überhaupt nur deshalb in ihrem ganzen Ausmass, weil der Staat sich das Recht herausnimmt, seine Regeln auf einem Territorium mit Gewalt durchzusetzen und andere Individuen und Gruppen daran zu hindern, ihre Konflikte selbst mit Gewalt auszutragen.

Thomas Hobbes erachtete im 17. Jahrhundert die staatliche Gewaltanwendung noch ganz grundsätzlich als legitim: Alles sei besser, so Hobbes, als der Zustand ohne staatliche Zentralgewalt, den er als Zustand des Krieges aller gegen alle beschrieb. Doch schon bald wurde die Legitimität staatlicher Gewalt an Bedingungen geknüpft. Eine solche Bedingung besteht darin, dass der Staat die individuelle Freiheit nicht unnötig einschränken soll. So ging der frühe Liberalist John Locke davon aus, dass die Menschen nur ihr Recht auf Selbstjustiz, nicht aber ihre «natürlichen Menschenrechte» beim Übergang vom vorstaatlichen zum staatlichen Zustand abgeben: Der Staat hat individuelle Freiheitsrechte zu konkretisieren und durchzusetzen, darf sie aber nicht verletzen. Eine andere Einschränkung der staatlichen Gewalt besteht in der demokratischen Forderung, dass sich die AdressatInnen der mit Gewalt durchgesetzten Normen auch als AutorInnen derselben verstehen können müssen. (Eine Forderung, die für die vielen ausländischen Menschen in der Schweiz noch nicht erfüllt ist.) Vorkehrungen gegen den Machtmissbrauch wurden gefordert und implementiert. Rechtsstaatliche Prinzipien wie die Gewaltentrennung und das Diskriminierungsverbot, aber auch die Prinzipien des Föderalismus könnte man in dieser Kategorie von Legitimitätsbedingungen staatlicher Gewalt zusammenfassen. Und schliesslich erlebte das 20. Jahrhundert das Aufkommen sozialer Rechte. Seither gilt die gewaltsame Durchsetzung und Aufrechterhaltung einer politischen Ordnung nur noch dann als legitim, wenn diese Ordnung auch gewissen Anforderungen der sozialen Gerechtigkeit genügt.

Privatsheriffs auf Patrouille

Weder die inneren Einsätze der Armee noch die privaten Sicherheitsdienste erfüllen die anspruchsvollen Legitimitätsbedingungen, an die staatlich sanktionierte Gewalt im modernen Rechtsstaat geknüpft ist. Das soll nicht heissen, dass die Gewaltanwendung durch die Polizei immer legitim ist: Machtmissbrauch oder die übertrieben repressive Programmierung der Polizeiorgane kommen durchaus vor. Doch immerhin gibt es dafür politische Verantwortliche – im ersten Fall die Exekutive (PolizeivorsteherIn), im zweiten Fall der Gesetzgeber – die in einer funktionierenden Demokratie versuchen werden, solche Missstände zu beheben. Diese politische Verantwortlichkeit gibt es bei den privaten Sicherheitsdiensten nicht. Wenn Privatsheriffs auf zweifelhafter rechtlicher Grundlage im Auftrag von Gemeinden durch die Strassen patroullieren – aktuell z.B. in den Aargauer Gemeinden Berikon, Widen, Oberwil-Lieli und Bellikon (NZZ am So. vom 24.4.) sowie in Murgenthal und Zollikofen (Medienmitteilungen der Securitas AG) – oder im Auftrag von Privaten halböffentliche Räume wie Bahnhöfe kontrollieren, so unterstehen sie Vorgesetzten in der entsprechenden Firma, nicht gewählten Mitgliedern der Exekutive.

Natürlich unterstehen auch private Sicherheitsdienste demokratisch festgelegten Gesetzen. Doch nicht nur, was überhaupt einen Gesetzesverstoss darstellen soll, sondern auch, mit welchen und wie viel Mitteln welche Gesetzesverstösse unterbunden werden sollen, ist eine genuin politische Frage. Man könnte ja beispielsweise der Meinung sein, dass Marihuana illegal bleiben soll, kleine Konsumenten aber nicht unnötig schikaniert werden sollten. Solche politische Präferenzen können nicht mehr demokratisch vermittelt und umgesetzt werden, wenn repressive Funktionen an Private abgegeben werden. Besonders problematisch ist in diesem Zusammenhang die 1996 gegründete Bahnpolizei, die oft wegen ihres repressiven Umgangs mit Randgruppen kritisiert wird. Denn diese «PolizistInnen» sind nicht etwa vom Staat, sondern von der privaten Securitrans AG angestellt, die zu 51% der SBB und zu 49% der Securitas gehört. Dabei stützt sich die Bahnpolizei auf ein Gesetz aus dem Jahr 1878, nach dem jede Bahngesellschaft für «ihr» Territorium eigene Sicherheitsleute mit polizeilichen Hoheitsrechten aufstellen darf.

Verpflichtet zur Gewalt gegen MitbürgerInnen?

Im Fall der inneren Einsätze ist vor allem die freiheitliche Legitimitätsbedingung staatlicher Gewalt einschlägig. Da die inneren Einsätze der Schweizer Armee im Kontext der Wehrpflicht stattfinden, können alle männlichen Schweizer Bürger in einer gewissen Altersspanne zumindest theoretisch gezwungen werden, gegen ihre MitbürgerInnen Gewalt anzuwenden. Das ist eine viel grössere Einschränkung individueller Freiheit, als sie die Rechtsdurchsetzung durch die Polizei erfordert, da der einzelne nicht gezwungen werden kann, Polizist zu werden, sondern höchstens, durch seine Steuern einen Teil der Polizeikosten zu übernehmen. Und insofern sie nicht nötig ist, ist diese grössere Einschränkung individueller Freiheit illegitim. Ausserdem steht das regulative Prinzip der Armee – die bewaffnete Verteidigung gegen äussere Feinde – im Widerspruch zu den Prinzipien, nach denen im zivilen Leben Konflikte beigelegt werden sollten. Insbesondere gilt das für den Einsatz der Armee gegen Demonstrierende. Geht man davon aus, dass der zivile Ungehorsam unter bestimmten Umständen durchaus legitim sein und zum positiven Wandel der politischen Ordnung beitragen kann, so ist es verheerend, Soldaten gegen ungehorsame BürgerInnen einzusetzen: Es führt zur unnötigen Militarisierung von Konflikten und schliesst wichtige Ventile, die helfen, auch radikalere Bewegungen in den politischen Prozess zu integrieren.

Die wohl verbreitetste Argumentation zur Rechtfertigung der subsidiären Armeeeinsätze – dass nämlich die kantonalen Polizeien ihre Aufgaben aufgrund von Sparmassnahmen nicht mehr erfüllen können und deshalb die Armee einspringen müsse, die ohnehin über die entsprechenden Mittel verfüge – ist leicht zu widerlegen: Man kann nicht gleichzeitig die immensen Kosten der Armee im Rückgriff auf die inneren Einsätze legitimieren und behaupten, die Armee sei die billigste Variante zur Erfüllung gewisser Aufgaben im Bereich der inneren Sicherheit, weil der entsprechende Bestand an Truppen und Material sowieso bereits bestehe. Würde man die Armee abschaffen, so würde dadurch mehr als genug Geld freigesetzt, um die kantonalen Polizeien entsprechend aufzustocken. Es scheint also mehr als zweifelhaft, ob Effizienzkriterien tatsächlich für den subsidiären Einsatz der Armee im Inneren sprechen -abgesehen davon, dass dieser Einsatz aus anderen Gründen illegitim ist.

*Andreas Cassee studiert Philosophie an der Universität Zürich.
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